Innovativ, vernetzt und effizient
Auf dem 2. DEKRA Zukunftskongress Nutzfahrzeuge haben Experten und Praktiker rund um das Nutzfahrzeug diskutiert.
2. DEKRA Zukunftskongress Nutzfahrzeuge
9. Nov. 2017
Auf dem 2. DEKRA Zukunftskongress Nutzfahrzeuge am 7. und 8. November 2017 in Berlin haben Experten und Praktiker aus Politik, Industrie und Forschung die Potenziale innovativer Technologien rund um das Nutzfahrzeug diskutiert. Im Fokus der Vorträge und Podiumsgespräche standen Themen wie Fahrzeugsicherheit, automatisiertes Fahren, intelligente Vernetzung, Platooning, Kraftstoffeinsparung, Schadstoffemissionen und alternative Antriebe sowie die neuesten Vorschriften zu Maßen und Gewichten von Nutzfahrzeugen.
Bis zum Jahr 2040 wird nach Angaben des jüngsten World Transport Reports der Prognos AG die Güterverkehrsleistung allein in Deutschland um 25 Prozent von rund 640 auf dann fast 860 Milliarden Tonnenkilometer steigen – der mit Abstand wichtigste Verkehrsträger bleibt auch dann noch der Straßengüterverkehr. Damit verbunden sind zahlreiche Herausforderungen für die Nutzfahrzeughersteller und die Zulieferindustrie sowie die gesamte Transport- und Logistikbranche ebenso wie für Politik und Wissenschaft unter anderem in Bezug auf Effizienz, Klima, Umwelt und Verkehrssicherheit. Wo in diesen Punkten größter Handlungsbedarf für eine nachhaltige Optimierung besteht, diskutierten namhafte Referenten beim 2. DEKRA Zukunftskongress Nutzfahrzeuge in Berlin.
Zukunft der Logistik
Seitens der Politik verwies Norbert Barthle MdB auf das große Potenzial beim automatisierten und vernetzten Fahren. „Natürlich sind in erster Linie die Unternehmen gefragt, die Chancen der neuen Technologie zu ergreifen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln“, so der Parlamentarische Staatssekretär. Aber die richtigen Rahmenbedingungen seien mindestens ebenso wichtig, weswegen das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit dem weltweit innovativsten Straßenverkehrsrecht für einen verlässlichen Rechtsrahmen für hoch- und vollautomatisierte Fahrfunktionen gesorgt habe. Im Wandel befinde man sich ebenso bei den Antrieben – im Hinblick auf die zunehmende Elektrifizierung des Verkehrs habe der Bund in den vergangenen Jahren bereits rund 4,7 Milliarden Euro in die Förderung der Elektromobilität mit Batterie und Brennstoffzelle investiert. Potenzial haben nach Ansicht von Barthle aber auch die erdgasbasierten Antriebe CNG und LNG oder synthetische Kraftstoffe. Ein klares Statement gab er außerdem in Richtung Verbrennermotoren ab: „Benziner und Diesel werden wir in den kommenden Jahrzehnten dringend brauchen.“
Unbestritten ist, dass der weiteren Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs sowie der CO2-Emissionen in Zukunft eine zentrale Bedeutung zukommt. „Schwere Nutzfahrzeuge müssen einen gewichtigen Beitrag zu den CO2-Reduktionszielen der EU im Jahr 2030 leisten“, forderte Nikolaus Steininger, Policy Officer in der Generaldirektion Climate Action innerhalb der EU-Kommission, bezüglich der geplanten systematische Erfassung der CO2-Emissionen. Grundlage hierfür ist das von der EU-Kommission in enger Zusammenarbeit mit Industrie und Wissenschaft entwickelte Simulationsprogramm VECTO (Vehicle Energy Consumption Calculation Tool). „Dadurch erhöht sich die Transparenz, gleichzeitig lassen sich damit marktgetriebene Minderungspotenziale besser ausschöpfen“, ist Steininger überzeugt. Da dies aber nicht ausreichen werde, beabsichtige die EU-Kommission, bis Mitte 2018 CO2-Standards vorzuschlagen.
Der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, lobte die Nutzfahrzeughersteller und Zulieferer für ihren Anspruch, den Straßengüterverkehr mit innovativen Lösungen effizienter und noch sauberer zu machen. „Durch die Vernetzung der Fahrzeuge untereinander und mit der Umgebung wird der Verkehr flüssiger und die Arbeit von Transportunternehmen erleichtert“, erklärte Wissmann. Autonome Fahrfunktionen würden zukünftig auf der „letzten Meile“ eine wichtige Rolle spielen und alltägliche Aufgaben in der urbanen und industriellen Anwendung übernehmen. „Damit diese Innovationen greifen können, bedarf es aber auch einer engagierten Politik, die dem Einsatz von Zukunftstechnologien die passende Infrastruktur und einen rechtssicheren Rahmen zur Verfügung stellt“, forderte der VDA-Präsident. Was die alternativen Antriebsarten anbelangt, muss seiner Meinung nach das Prinzip der Technologieneutralität walten. Nur ein breites Spektrum an Antrieben und Kraftstoffen biete den Unternehmen der Nutzfahrzeugindustrie die Möglichkeit, weiter für Wachstum und Wohlstand in Deutschland zu sorgen.
Hohe Sicherheitspotenziale durch automatisiertes Fahren
Zentrale Aspekte an den beiden Kongresstagen waren die aktive Sicherheit und der Weg hin zum autonomen Fahren. „Die Automatisierung des Fahrens sehen wir als Expertenorganisation zuallererst aus dem Blickwinkel der Verkehrssicherheit“, betonte Wolfgang Linsenmaier, Mitglied der Geschäftsführung der DEKRA Automobil GmbH. Schließlich gehen nach wie vor fast 90 Prozent aller Straßenverkehrsunfälle auf menschliches Versagen zurück. „Hier bieten Fahrerassistenzsysteme und automatisierte Fahrfunktionen ein großes Sicherheitspotenzial, indem sie Fehler des Menschen verhindern oder deren Folgen vermindern.“ In diesem Zusammenhang muss seiner Ansicht nach aber gewährleistet sein, dass die Systeme im Lauf der Entwicklung und im Rahmen der Typgenehmigung umfassend getestet und geprüft werden. „Zum anderen müssen die Systeme über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs hinweg zuverlässig funktionieren, also auch im Rahmen der Periodischen Fahrzeugüberwachung geprüft werden können.“
„Dank zahlreicher Helfer fahren moderne Lkw schon heute auf einem hohen Sicherheitsniveau“, erläuterte Alexander Banerjee, Projektleiter ADAS CV bei ZF Friedrichshafen. Die Vision eines unfallfreien Fahrens („Vision Zero“) vor Augen, hat der Technologiekonzern mit dem ZF Innovation Truck aktuelle Assistenzsysteme praxisorientiert weitergedacht. Die Ergebnisse sind der Highway Driving Assist (HDA), der versehentliche Spurwechsel verhindert, sowie der in Kooperation mit WABCO entwickelte Evasive Maneuver Assist (EMA) – eine Technologie, die einen Lkw ausweichen und bremsen lässt. Darüber hinaus rangiert das Konzeptfahrzeug mit der autonomen Manövrierfunktion SafeRange selbstständig an die Laderampe.
„Seit vielen Jahren arbeiten wir an der Vision vom unfallfreien Fahren“, unterstrich Dr. Andreas Schwarzhaupt, Senior Manager Driver Assistance Systems and Automated Driving bei der Daimler AG, die Sicherheit als ein Kernthema des Unternehmens. Mit dem Notbremsassistent Active Brake Assist 4 mit Fußgängererkennung und dem Abbiege-Assistent habe Mercedes-Benz Lkw bereits zur IAA 2016 zwei neue Assistenzsysteme auf die Straße gebracht, mit denen die schwächsten Verkehrsteilnehmer, also Radfahrer und Fußgänger, besser geschützt werden können. Der Active Brake Assist 4 reagiere auch auf querende Fußgänger und könne eine Teilbremsung durchführen. Der Abbiege-Assistent erkenne beim Richtungswechsel an Kreuzungen Fußgänger und Radfahrer und könne den Fahrer optisch und akustisch vor einer Kollision warnen.
Lang-Lkw, alternative Antriebe und Digitalisierung
Diskutiert wurde auf dem Kongress außerdem die Frage, welche Klimaeffekte mit dem verstärkten Einsatz von Lang-Lkw verbunden wären. Im Auftrag des Landes Baden-Württemberg und der Daimler AG haben hierzu die Prognos AG und die thinkstep AG unlängst eine Studie erstellt. Die Ergebnisse zeigen, dass der Einsatz solcher Fahrzeuge mit einer Länge von 25,25 Metern nur für den Transport von vergleichsweise leichten beziehungsweise voluminösen Gütern sinnvoll ist, sowohl wirtschaftlich als auch aus Sicht des Klimaschutzes. „Aufgrund des größeren Ladevolumens ersetzt ein Lang-Lkw beim Transport dieser Güter bei gleicher Ladungsdichte etwa 1,5 konventionelle Lkw und verbraucht dabei je Tonnenkilometer oder Palettenstellplatz zirka 15 Prozent weniger Kraftstoff“, bilanzierte Dr. Stefan Eckert, Senior Consultant von thinkstep.
Prof. Dr. Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterverkehr, Logistik und Entsorgung e.V., machte klar, dass eine weitere Verbrauchsreduktion für Transportunternehmer und Spediteure ein wichtiges Unternehmensziel sei. Eine aktuell dringende Herausforderung sei aber vor allem der Fahrermangel. Deshalb würden viele Unternehmer die Wahl des Lkw dem jeweiligen Fahrer überlassen, um die offenen Stellen überhaupt besetzen zu können. Um dem Fahrermangel zu begegnen, ist der Lang-Lkw nach Ansicht von Wolfgang Thoma, Geschäftsführer der Spedition Ansorge GmbH & Co. KG, auf jeden Fall ein geeignetes Mittel. In Deutschland würden allerdings die anhaltenden Diskussionen rund um Gewichtsbegrenzungen und das Positivnetz, also die für Lang-Lkw freigegebenen Straßenkilometer für Lang-Lkw, eine größere Marktdurchsetzung verhindern. Klemens Große-Vehne, Inhaber der KGV Fuhrparkservice GmbH und Gründer der Große-Vehne Speditions GmbH, sieht vor allem im verlängerten 15-Meter-Auflieger ein Modell der Zukunft. „Der Lang-Lkw bleibt auch in den nächsten Jahren ein Nischenprodukt, dagegen könnte der 15-Meter-Zug ökologisch, ökonomisch und in Bezug auf die Verkehrssicherheit schon heute einen hohen Mehrwert bieten.“ Er sollte daher die Standardsattellänge in Europa werden.
Ein weiteres Thema: In Zukunft werden immer mehr Menschen in Großstädten und Metropolregionen mit mehreren Millionen Einwohnern leben und arbeiten. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Luftreinhaltung und Lärmreduzierung. Es ist absehbar, dass mehr und mehr Ballungszentren in Zukunft Null-Emissionszonen einführen werden. Dann dürfen nur noch solche Fahrzeuge in diese Zonen einfahren, die in der Lage sind, eine definierte Fahrtstrecke emissionsfrei und besonders lärmarm zurückzulegen. Eine Lösung für diese Herausforderungen präsentierte auf dem Kongress unter anderem MAN Vice President Felix Kybart in Form des MAN eTruck. Neben dem elektrischen Antrieb werden dabei auch Nebenaggregate wie Servolenkung, Luftkompressor und Klimaanlage elektrisch betrieben. „Ein Schlüssel für den Erfolg für die MAN eTrucks liegt in der sehr frühen und engen Entwicklungspartnerschaft mit unserem Partner CNL (Council für nachhaltige Logistik), in dem sich 17 namhafte Logistikfirmen und Lebensmittelversorger zusammengeschlossen haben“, erläuterte der Leiter Alternative Antriebe bei MAN Truck & Bus.
Wenn es um eine effizientere Fahrzeugnutzung geht, gewinnen schließlich auch die Vernetzung und Digitalisierung mehr und mehr an Bedeutung. Ein Beispiel: Mercedes-Benz Uptime. „Damit machen wir die Digitalisierung bei Trucks greifbar und können Pannen verhindern, bevor sie entstehen“, erklärte Michael Kimmich, Leiter Customer Services & Parts Medium Duty Technik & Diagnose Mercedes-Benz Lkw. Das neue Konnektivitätsmodul Truck Data Center überprüfe zu diesem Zweck fortlaufend in Echtzeit den Status der Fahrzeugsysteme, ermögliche ein frühzeitiges Erkennen von kritischen Zuständen und ordne konkrete Handlungsempfehlungen zu. Überhaupt dürfte der vorausschauenden Wartung anhand von im Fahrzeug erhobenen Daten in Zukunft noch sehr viel mehr Bedeutung zukommen als heute schon. „Entscheidend hierbei wird es sein, dass der Kunde die Daten entsprechend gut aufbereitet zur Verfügung gestellt bekommt, um schnell handlungsfähig zu sein“, sagte Matthias Stenau, Global Account Director bei DEKRA.
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