Wer macht das Rennen?

Author: Michael Specht

01. Okt. 2019 Mobilität der Zukunft / Nachhaltigkeit / Automobil

Komfortabel, schnell und flexibel soll sie sein, die mobile Zukunft – doch vor allem auch umweltverträglich. Welche Antriebe haben das Zeug dazu, diese Anforderungen zu erfüllen? Ein Überblick über die alternativen Antriebe.

Mobilität gehört zu den Grund­bedürfnissen des modernen Menschen. Der weltweite Bestand aller Kraftfahrzeuge wächst kontinuierlich. Waren es 2005 noch 892 Millionen gewesen, lag die Zahl laut der Organi­sation Internationale des Constructeurs d’Automobiles (OICA) zehn Jahre später schon bei 1,28 Milliarden. Doch vor dem Hintergrund der Klimaschutzdebatten um Emissionen und den Verbrauch an fossilen Ressourcen stell sich die Frage, wie die mobile Zukunft aussehen könnte. Welche nachhaltigen Alternativen gibt es zu den Millionen von Benzin- und Dieselmotoren, die heute weltweit unterwegs sind?
Bevölkerungswachstum, verbunden mit einem gesteigerten Verkehrsaufkommen, lässt den Energieverbrauch weiter steigen. 2050 werden laut den Vereinten Nationen (UN) 9,8 Milliarden Menschen auf der Erde leben. „Der Bestand an Fahrzeugen dürfte dann bei knapp zwei Milliarden, die Zahl der Erstzulassungen bei jährlich über 120 Millionen liegen“, schätzt Peter Fintl, Manager des Beratungs- und Engineering-Konzerns Altran. Laut einer Statistik des Verbands der Automobilindustrie (VDA) in Deutschland lag die weltweite Zahl der Erstzulassungen 2018 noch bei rund 84 Millionen.
  • 59,4 Gramm pro Kilometer – so viel CO2 darf der Flottenausstoß der ab 2030 in der EU verkauften Neuwagen eines Herstellers maximal betragen
Auch wenn wir seit vielen Jahrzehnten komfortabel konventionelle Kraftstoffe tanken, um nahezu grenzenlos mobil zu sein: Ein Umdenken findet statt. Allesamt stehen die Fahrzeughersteller unter politischem wie gesellschaftlichem Druck, saubere alternative Antriebe für ihre Produkte zu entwickeln. Schon für Ende 2020 schreibt die EU-Kommission einen durchschnittlichen Flottenausstoß von 95 Gramm CO2 pro Kilometer vor. Und dies wird längst nicht das Ende der Fahnenstange sein. Fahrzeugherstellern, die ihre Zielwerte nicht einhalten, drohen Hunderte Millionen Euro Strafen – ganz zu schweigen vom Imageverlust. „Vor allem umweltbewusste wie auch preissensitive Kunden dürften sich von Marken abwenden, die es nicht schaffen, ihre CO2-Vorgaben einzuhalten. Drohende Strafzahlungen werden den Blick der Verbraucher auf das Thema schärfen“, sagt Klaus Schmitz, Leiter des Automotive-Geschäfts in Zen­traleuropa bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little.
Batterieantrieb: Optimierungs- und Investitionspotenziale
Die derzeit größten Erwartungen werden in den Elektroantrieb gesetzt. „Batterieautos sind gut, aber nicht für alle Anforderungen“, sagt Bert Hellwig, Spezialist für Elektromobilität bei ZF. Die Gründe sind hohes Batterie­gewicht, hohe Kosten, ein – bezogen auf die Masse – äußerst geringer Energie­inhalt und damit verbunden eine relativ geringe Reichweite. In Kompaktmodellen wie dem BMW i3 wiegt der Akku rund 300 Kilogramm. In Mittelklasse-SUVs wie dem Audi e-tron, Jaguar I-Pace, Mercedes EQC oder auch in der Limousine Tesla Model S kann er auch das Doppelte wiegen. Pläne bei Toyota sehen vor, schon in den kommenden Jahren die Feststoffbatterie serienreif zu haben. Sie soll bei deutlich weniger Gewicht mehr Energie speichern können. Ein konkretes Datum hat der japanische Hersteller allerdings noch nicht genannt.
In der Kritik stehen Batterien auch aufgrund ihres sogenannten CO2-Rucksacks. Denn zu ihrer Herstellung wird sehr viel Energie benötigt. Bei großen Elektrofahrzeugen fällt dies wegen der deutlich größeren und leistungsstärkeren Batterien stärker ins Gewicht als bei kleinen. Doch werden die Umweltbilanzen über den gesamten Lebenszyklus – bestehend aus Herstellung, Nutzung über 200.000 Kilometer und Verwertung – betrachtet, dreht sich das Ganze mit der Zeit zugunsten des Battery Electric Vehicles (BEV). Dies hat zumindest Mercedes-Benz in seiner Analyse „Lifecycle Compact“ ermittelt. Der Stuttgarter Fahrzeughersteller verglich die Umweltverträglichkeit seiner Modelle und die Umweltbilanzen verschiedener Antriebskonzepte über ihren gesamten Lebenszyklus. In die Berechnung flossen Rohstoffgewinnung, Produktion, Nutzung und Verwertung ein. Danach liegen batterieelektrische Modelle – bei einer durchschnittlichen Laufleistung von 200.000 Kilometern – hinsichtlich der CO2-­Bilanz im Vorteil gegenüber konventionellen Antrieben. Denn selbst beim heutigen EU-Strom-Mix kommen sie auf etwa 45 Prozent der Gesamtemissionen und gleichen so den höheren Energiebedarf bei der Produktion aus. „Die Optimierung der Batterietechnologie und -produktion bietet ein großes Potenzial für weitere Einsparungen“, sagt Jochen Hermann, Leiter Entwicklung CASE (Connected, Autonomous, Shared, Electric) und Entwicklung eDrive bei Mercedes-Benz Cars.
Die größte Elektro-Offensive der Branche geht momentan allerdings von Volkswagen aus. Der Wolfsburger Konzern begann 2016 mit der Entwicklung einer komplett neuen Architektur, ausschließlich gedacht für den batterieelektrischen Antrieb. Rund sieben Milliarden Euro investierte Volkswagen bislang. Die Modularer Elektrifizierungsbaukasten (MEB) genannte Plattform soll ab 2020 nicht nur konzernweit für die Marken VW, Audi, Seat und Skoda genutzt werden und dadurch die gewünschten Skalen­effekte erzielen, sondern auch anderen Marken als offene Architektur zur Verfügung stehen. Als Erster nahm kürzlich Ford die Chance wahr und entwickelt auf Basis des MEB nun ein kompaktes Elektroauto für den europäischen Markt.
  • 80 neue E-Modelle will VW bis 2025 auf den Markt bringen
Brennstoff­zellenantrieb: Vielversprechende Technologie
Eine interessante Alternative zum Batterieauto stellt nach wie vor der Brennstoffzellenantrieb dar. Bei der Energiebilanz kommt er auf ähnlich gute Werte. In einer Brennstoffzelle entsteht durch das Zusammenbringen von Wasserstoff und Sauerstoff Strom. Der treibt einen Elektromotor an. Als Emissionsprodukt fällt lediglich Wasserdampf an. Wasserstoff gilt als ideales Speichermedium, er lässt sich mithilfe erneuerbarer Energien direkt aus Wasser abspalten, aber auch aus Klärschlamm und Biomasse gewinnen. Zudem brauchen Autofahrer ihr Nutzungsprofil fast nicht zu ändern, der Tankvorgang dauert wie bei Diesel oder Benzin nur wenige Minuten. „Auf lange Sicht wird sich das Brennstoff­zellenfahrzeug durchsetzen“, glaubt ZF-Experte Hellwig.
Die von McKinsey im Auftrag des Hydrogen Councils Ende 2017 durch­geführte Studie „Scaling up Hydrogen“ zeigt, dass im Jahr 2050 knapp 20 Prozent des weltweiten Energiebedarfs durch Wasserstoff gedeckt werden könnten.
Den Ton in dieser Technologie geben momentan Mercedes-Benz, Hyundai, vor allem aber Toyota an. Alle drei Marken haben schon Serienfahrzeuge mit Brennstoffzelle auf dem Markt. Bei Toyota fällt dem Wasserstoff eine Schlüsselrolle zu. „Brennstoffzellenfahrzeuge sind der vielversprechendste Weg zum umweltfreundlichen Auto“, sagt Yoshikazu Tanaka. Der Chefingenieur des Toyota Mirai sieht Wasserstoff besonders für Nutzfahrzeuge als die beste Alternative zum Diesel an, weil die Brennstoffzellentechnik bei gleicher Reichweite deutlich weniger Platz und Gewicht einnehme, als Batterien es täten. Schon vor zweieinhalb Jahren startete Toyota zusammen mit dem Lkw-Hersteller Kenworth ein Pilotprojekt im Hafen von Long Beach. Seitdem legten die beiden US-Hauber mit Brennstoffzellenantrieb laut Unternehmensangaben mehr als 22.500 Kilometer lokal emissionsfrei und nahezu lautlos zurück. Ende 2019 soll der weiterentwickelte Fuel Cell Electric Truck (FCET) an den Start gehen. Die Brennstoffzellentechnologie des Lkw stammt aus der Limousine Mirai. Hyundai und das Schweizer Unternehmen H2 Energy sind im April 2019 das Joint Venture Hyundai Hydrogen Mobility eingegangen und wollen bis 2025 insgesamt 1.600 Brennstoffzellen-Elektro-Lkw – vornehmlich in der Schweiz – einführen.
Auch auf der Schiene kristallisieren sich die Vorteile von Wasserstoff und Brennstoffzelle heraus. In Niedersachsen pendelt seit September 2018 auf einer Nebenstrecke ohne elektrische Oberleitung im Elbe-Weser-Netz ein Regio­nalzug mit einem Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieb. Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) hat mit dem Coradia iLint des französischen Bahnkonzerns Alstom den weltweit ersten wasserstoffbetriebenen Personenzug im Linien­verkehr im Einsatz. „Diesel hat seine Zukunft hinter sich, Wasserstoff seine Zukunft noch vor sich“, sagt Rainer Peters, Sprecher der LNVG. 2021 soll eine fest in­­stallierte Wasserstofftankstelle in Betrieb gehen und Alstom 14 weitere Wasserstoffzüge an die LNVG liefern.
  • 1839 präsentierte der britische Physiker und Jurist Sir William Grove seine Idee: elektrische Energiegewinnung durch Oxidation von Wasserstoff mit Sauerstoff
E-Fuels: Maßgeschneiderte Kraftstoffe
Ein weiterer Ansatz zur CO2-Reduzierung wäre, die Vielfalt der verwendeten Energiequellen zu erhöhen. Heute fahren wir zu mehr als 96 Prozent mit konventionellen Motoren, die mit fossilen, also erdölbasierten Brennstoffen angetrieben werden. Was läge also näher, als Benzin und Diesel synthetisch und gleichzeitig CO2-neutral herzustellen? Dies ginge zum einen über regenerativ erzeugten Wasserstoff, zum anderen über organische Abfälle. Synthetische Kraftstoffe, auch E-Fuels genannt, lassen sich prinzipiell maßgeschneidert durch reine Molekülketten zusammensetzen und verbrennen damit deutlich sauberer als ihre raffinierten Pendants. Das Problem bisher: Die Herstellung ist noch teuer. Dennoch könnten E-Fuels zu einer festen Größe im Verkehrswesen werden und einen immensen Beitrag zum Klimaschutz leisten, so eine Studie der Deutschen Energie-Agentur (Dena). Demnach kann der Energiebedarf aller Verkehrsträger der EU – dazu gehören auch Lkw, Schiffe und Flugzeuge – im Jahr 2050 zu mehr als 70 Prozent von E-Fuels gedeckt werden.
Erdgas: Regenerative Energiegewinnung
Unter den restlichen 30 Prozent befindet sich Erdgas. Mit Compressed Natural Gas (CNG) betriebene Motoren emittieren im Vergleich zu Diesel und Benzinern rund 20 Prozent weniger CO2 und bis zu 95 Prozent weniger Stickoxide (NOx). Zudem werden im direkten Vergleich kaum Rußpartikel ausgestoßen. Nahezu CO2-neutral sähe die Energiebilanz mit synthetisch erzeugtem Erdgas aus. Zum Beispiel ginge dies durch regenerativ erzeugten Strom über die Zwischenstation Wasserstoff. Audi etwa geht diesen Weg. Die Ingolstädter speisen seit über fünf Jahren ihr e-Gas in das deutsche Erdgasnetz ein. Es stammt aus einer eigenen Power-to-Gas-Anlage im Emsland. Den Strom liefern Windkraftanlagen.
Alternativen zu fossilem Erdgas lassen sich auch aus organischen Abfällen erzeugen. Hierbei entsteht Bio-Methan. Auch dieses ließe sich effizient in die vorhandene Infrastruktur einbinden. „Mit einer Betankung durch Bio-CNG sind Fahrzeuge nahezu klimaneutral unterwegs“, sagt Stephen Neumann, Volkswagen-Konzernbeauftragter CNG-Mobilität. Aktuell sind laut Bio-­Energieproduzent Verbio in Deutschland bereits 23 Prozent Bio-Erdgas aus Reststoffen im Netz. „Damit ließe sich die derzeit vorhandene CNG-Flotte von circa 100.000 Fahrzeugen komplett mit Bio-CNG versorgen“, sagt Ulrike Kurze, Marketingleiterin bei Verbio.
Dennoch gilt CNG als Problemkind der Autoindustrie. Trotz eines recht großen Modellangebots – allein der Volkswagen-­Konzern hat 19 CNG-Fahrzeuge – haben Autofahrer Vorbehalte gegenüber der Gastechnik. „Nur vier Prozent der potenziellen Käufer finden diese Kraftstoffe inte­ressant“, so die Studie „Autotrends 2018“ im Auftrag der Creditplus Bank. Manch einem ist ein 700-Bar-Drucktank unter dem Wagen nicht geheuer, einem anderen das dünne Versorgungsnetz Europas – eine Ausnahme bilden hier Italien und Deutschland. Auch ist der gegenüber einem Benziner höhere Fahrzeugpreis für viele nicht gerade verlockend. „Dafür sind in der Praxis Einsparungen bei den Kraftstoffkosten von 34 Prozent im Vergleich zum Diesel und 49 Prozent im Vergleich zum Benziner möglich“, heißt es bei Seat. Die spanische Volkswagen-Tochter setzt verstärkt auf CNG.
Bio-Ethanol: Herstellungsprozess im Fokus
Einen deutlich stärker reduzierenden Einfluss auf die CO2-Emissionen könnte Bio-Ethanol haben. Europa müsste dazu dem Beispiel Brasiliens folgen und den alternativen Kraftstoff nicht nur zu zehn Prozent (E10) beimischen, sondern ihn auch als Reinkraftstoff (E100) anbieten. In dem südamerikanischen Land ist reines Ethanol an rund 32.000 Tankstellen verfügbar. Allerdings erfordert dies eine technische Anpassung der Motoren. Und: Damit Ethanol einen positiven Beitrag zur Energiebilanz leisten kann, müssen besonders beim Herstellungsprozess möglichst wenig Energie und Wasser verbraucht werden, muss der Anbau der Biomasse frei von Stickstoffdüngemitteln sowie Pestiziden sein und darf der Landschaftsverbrauch nicht auf Kosten der Erschließung neuer Nutzflächen gehen.
  • 1860 verwendete Nikolaus August Otto Äthylalkohol (Ethanol) als Kraftstoff für den Betrieb des Prototyps seines Verbrennungsmotors
Alternative Antriebe im Fokus
Batterie, Wasserstoff, E-Fuels, Erdgas, Ethanol: Welcher alternative Energieträger sich letztlich als Antriebsform im Lauf der nächsten Jahrzehnte durchsetzen wird, bleibt selbst für Fachleute schwierig vorherzusagen. „Dies ist stark vom technischen Fortschritt und von Regulierungen abhängig und von daher mit Unsicherheit behaftet“, sagt Klaus Schmitz. Der Automotive-­Experte von Arthur D. Little sieht zudem in der staatlichen Unterstützung einen höchst relevanten Faktor. „Subventionen und Regulierung nehmen entscheidenden Einfluss auf die Verbreitung von Technologien“, sagt Schmitz. Er erläutert: „Während dies in Deutschland eher unter Klimagesichtspunkten betrieben wird, erfolgt es beispielsweise in China als sehr konsequente Industriepolitik. Es wundert nicht, dass das Reich der Mitte zum größten Markt für Elektroautos aufgestiegen ist – und diese Position wohl auch langfristig beibehalten wird.“
Illustration: DEKRA