Vom Umdenken zum Selbstläufer

Author: Dr. Katja Gußmann

17. Jan. 2020 Nachhaltigkeit

Wie Nachhaltigkeitsstrategien gelingen und was Unternehmen, die beim Thema Nachhaltigkeit in den Startlöchern stehen, im Blick haben sollten.

„In einer zerstörten Welt kann man auch nicht erfolgreich wirtschaften.“ Ein schlichter Satz aus dem Mund des Dalai Lama. Eines Mannes, der gern lächelt und Zuversicht ausstrahlt, auch wenn er Dinge sagt wie: „Ohne Menschen ginge es der Erde besser.“ Kriege, Klimawandel, wirtschaftliche Not einerseits, Wegwerfgesellschaft und Werteverfall andererseits: In der Weltgesellschaft rumort es mit Blick auf die Zukunft, nicht nur an Freitagen.
Und das Rumoren stößt auf offene Ohren. Wenn sich Manager europaweit der Kampagne #ManagersForFuture anschließen, organisiert vom europäischen Dachverband der Führungskräfte CEC European Managers mit Sitz in Brüssel, dann wollen sie ein Zeichen setzen für Sustainable Leader­ship: eine gleichermaßen ökologisch, ökonomisch und sozial verantwortliche Unternehmensführung. Dieser Ansatz geht weit über die Klimadebatte hinaus. Ihm liegen die 17 „United Nations’ Sustainable Development Goals“ zugrunde, ergänzt um „Personal Goals“, die sowohl die eigene, persönliche Entwicklung als auch das konstruktive Miteinander im Arbeitsleben im Blick haben. Zum Kampagnenstart im September 2019 betonte CEC-Präsident Ludger Ramme: Immer mehr Manager würden den Wert erkennen, über die richtigen Kompetenzen im Bereich der Nachhaltigkeit zu verfügen. Die heutige betriebswirtschaftliche Bildung, Unternehmensstrukturen und Managementpraktiken sind jedoch nicht zweckgemäß, da sie keine ausreichende Nachhaltigkeitswirkung haben. In einer Welt, die durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUKA) gekennzeichnet ist, sind ganz neue Führungsqualitäten erforderlich.
Mitarbeiter einbeziehen
Dies ist ein Statement, das ganz im Sinne von Prof. Dr. Axel Kölle ist. Er leitet das Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten/Herdecke und sagt: „Nachhaltigkeit funktioniert nur, wenn sie von ganz oben gewollt ist, vom Geschäftsführer, dem Vorstand.“ Mehr noch: Es müsse im Unternehmen eine Kombination sein von Top-down und Bottom-up. Die Führung müsse die Mitarbeiter für den Gedanken des nachhaltigen Wirtschaftens gewinnen, sie einbeziehen, damit sie Nachhaltigkeit zur eigenen Sache machten. Reaktiv ein bisschen nachhaltiger sein, weil es der Kunde verlange, das ergebe keinen Sinn. Nachhaltig – der Begriff stützt sich auf drei Säulen: ökonomische, ökologische und soziale Verantwortung.
Langfristiger Erfolg
Doch für ein Umdenken in Vorstandsetagen sorgen neben dem gesellschaftlichen Druck noch ganz andere handfeste Gründe: Seit 2017 sind Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten verpflichtet, neben einem Finanz- auch einen Nachhaltigkeitsbericht, den Corporate-Social-Responsibility-(CSR-)Bericht, zu erstellen. Damit hat Deutschland eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2014 in nationales Recht umgesetzt. Eine weitere starke Triebfeder für mehr Nachhaltigkeit dürfte in Finanzierungsfragen liegen. Bereits seit knapp über 20 Jahren spiegelt das der Dow Jones Sustainability Index wider. 1999 etablierte das Verlagshaus Dow Jones in Zusammenarbeit mit dem Züricher Unternehmen Sustainable Asset Management (SAM) den Aktienindex, der neben ökonomischen auch ökologische und soziale Faktoren berücksichtigt und entsprechende Orientierung bietet. Nicht zuletzt die Finanzkrise ab 2007 verhalf dem Nachhaltigkeitsaspekt zu größerer Aufmerksamkeit. Kurzfristiges Gewinnstreben ist out. Banken vergeben Kredite deutlich vorsichtiger, um Ausfallrisiken gering zu halten. Genauso schätzen Investoren und Fondsmanager langfristig erfolgreiche Unternehmenskonzepte.
Positiver Beitrag
Ganz besonders detailliert schaut sich auch die weltweit operierende Nachhaltigkeits-Ratingagentur ISS ESG Unternehmensdaten an. Für das Unternehmen, das seinen deutschen Sitz in München hat, ist eines klar: „ESG Environmental Social Government hat sich von einer Nische zu einem notwendigen Teil der institutionellen Investitionen und Vermögensmanagement entwickelt.“ Dabei blicken die Experten auf 30 Jahre Erfahrung zurück. In ihrem jüngsten Bericht stellen sie fest, dass sicherlich strengere Regularien zu einem Umdenken in Unternehmen führen. „Nicht zuletzt aber zeigen sowohl Investoren als auch die bewerteten Unternehmen selbst ein erhöhtes Bewusstsein für die Wesentlichkeit der ESG-Faktoren und verstehen zunehmend, dass diese einen positiven Beitrag zum Unternehmenserfolg liefern.“ Dabei gibt es Unterschiede nach Branchen. Während Haushalts- und Körperpflegeproduktehersteller mit rund 28 Prozent den höchsten Anteil an Unternehmen aufweisen, die im Rating am besten abgeschnitten haben, bilden Öl, Gas sowie Betriebskraftstoffe (6 Prozent) und Einzelhandel (4,8 Prozent) die Schlusslichter.
Logistik optimieren
Solange Waren per Lkw transportiert würden, bleibe das Problem mit dem CO2-Ausstoß bestehen, lautet dann eine der Annahmen. Doch auch in der Transport- und Logistikbranche finden sich Beispiele, die Mut machen. Eines davon ist die in Kornwestheim bei Stuttgart ansässige Spedition Große-Vehne, die an sieben Standorten rund 2.200 Mitarbeiter beschäftigt und circa 250 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. Alle Bemühungen, den Spritverbrauch niedrig zu halten, die Fahrweise zu optimieren, Leerfahrten zu vermeiden und den Lkw optimal zu beladen, können nicht darüber hinwegtrösten, dass jede Fahrt CO2-Emissionen verursacht. Deswegen pflanzt Unternehmenschef René Große-Vehne Bäume – auf der fernen mexikanischen Halbinsel Yucatán, organisiert von der NGO Plant for the Planet. 140.000 Bäume kompensieren dort den CO2-Ausstoß der Spedition des Jahres 2018. Große-Vehne kennt die Vorwürfe des „Ablasshandels“. Doch für den Manager zählt, dass das Bäumepflanzen nur ein Teil der Strategie ist, die zunächst alle Unternehmensprozesse analysiert, um sie nach CSR-Gesichtspunkten zu optimieren. Die Kompensation ist das letzte Mittel der Wahl für die Geschäftsbereiche, deren Potenzial ausgereizt ist.
Nachhaltigkeit in all ihren Facetten
Angesichts der CO2-Debatte sehen viele Menschen die Mobilität der Zukunft auf der Schiene. Pro Tonnenkilometer errechnete das Umweltbundesamt Treibhausgasemissionen von 103 Gramm eines Diesel-Lkw gegenüber 19 Gramm der Güterbahn (Quelle TREMOD 5.82). Doch auch hier geht es noch besser, wie einer der weltweit führenden Zughersteller zeigt. Alstom mit Sitz in Saint-Ouen-sur-Seine bei Paris erzielt für sein Nachhaltigkeitsmanagement beste Noten. „Vom Zughersteller zum nachhaltigen Mobilitätsanbieter“ ist die Devise des Unternehmens, das den Claim „Mobility by nature“ unter dem Markennamen trägt. CEO Henri Poupart-Lafarge lässt sich gern zitieren: „Als weltweit führender Anbieter nachhaltiger Mobilität tragen wir eine große Verantwortung gegenüber unseren Kunden, Partnern, Mitarbeitern, Passagieren und letztlich der Gesellschaft als Ganzes.“
Die Kommunikationsstrategie rückt Nachhaltigkeit in all ihren Facetten ins Zentrum. Unter den öffentlich erklärten Zielen von Alstom bis 2025 finden sich: 25 Prozent weniger Energieverbrauch der Mobilitätslösungen, 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien, 100 Prozent der Zulieferer kontrolliert nach CSR und Ethics-and-Compliance-Standards (E & C). Das Denken mündet in Produktinnovationen wie dem Null-Emissionen-Zugsystem Coradia iLint: Der Antrieb erfolgt per Wasserstoff-Brennstoffzelle, die lediglich Dampf und Kondenswasser verursacht. Nach einem ersten Testbetrieb in Niedersachsen sind bereits Züge für das Rhein-Main-Gebiet geordert, und auch die Niederlande starten ein Pilotprojekt in Groningen.
Veränderte Einstellung
In einer ganz anderen Sparte, Electrical Components & Equipment, steht der Beleuchtungsspezialist Signify NV an erster Stelle im Dow Jones Sustainability Index. Künstliches Licht ist ein Stromfresser, doch ohne Beleuchtung geht in der modernen Welt nichts. Hier liegt die Chance in der Technologie: Beleuchtung macht rund 13 Prozent des weltweiten Strombedarfs aus. Durch die Umstellung auf LED könnte nach Angaben von Signify der Verbrauch bis 2030 auf 8 Prozent reduziert werden. Signify selbst hat für das eigene Unternehmen mit mehr als 29.000 Mitarbeitern in über 100 Ländern das Ziel der Kreislaufwirtschaft ausgerufen: null Kohlenstoff, null Abfall auf Deponien, Verhindern von Verletzungen, nachhaltige Lieferketten. Interessant ist der Blick in die Zukunft des Geschäfts – nicht nur mit dem Licht –, denn hier wird deutlich, dass Nachhaltigkeit tatsächlich die Einstellung zum Wirtschaften grundlegend verändert: Circular Economy löst das lineare Geschäftsmodell ab.
Das ist eine Herkulesaufgabe, mag man denken angesichts dieser unzähligen Aspekte, die der Nachhaltigkeitsgedanke umfasst. Wer privat einmal probiert hat, keine Lebensmittel wegzuwerfen, die Kaufentscheidung aufgrund des Herstellungsorts im Etikett des Pullovers zu fällen, vom Auto aufs Fahrrad umzusteigen und beim Einkauf Verpackungsmüll zu vermeiden, der weiß, wie anstrengend ein nachhaltiges Verhalten sein kann. Das wissen auch die Vereinten Nationen, die für diese große Zielgruppe einen Ratgeber herausgegeben haben: „The Lazy Person’s Guide to Saving the World“. Darin sind unter anderem Tipps aufgeführt, wie man selbst „von der Couch aus“ etwas für Nachhaltigkeit tun kann. Betriebe wiederum sind selten faul, nur manche scheuen noch den Aufwand. Axel Kölle, der mit seinem Institut derzeit rund 70 vorrangig mittelständische Unternehmen berät, beobachtet: „Viele Firmen machen schon sehr viel, aber unsystematisch. Sie müssen ihre Perlen putzen.“ Dazu gehört, nachhaltige Prozesse einzuführen, sie zu messen, zu dokumentieren und zu kommunizieren. Und zwar in einem gesamtheitlichen Prozess. Wer das richtig anpackt, motiviert im Idealfall seine Mitarbeiter, und nachhaltiges Handeln wird zum Selbstläufer. Selbst wenn ein Umdenken im Unternehmen durch äußeren Druck einsetzt, sieht Kölle das pragmatisch: „Der Umwelt ist es letztlich egal, aus welchen Motiven heraus sie gerettet wird.“
Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen
Die Ziele dienen als Blaupause für eine bessere und nachhaltigere Zukunft für alle. Die 17 Ziele sind miteinander verbunden und sollen weltweit bis 2030 erreicht werden.
So durchzieht der Nachhaltigkeitsgedanke alle Bereiche eines Unternehmens
• Personal: Ein attraktiver Arbeitgeber sorgt für Work-Life-Balance, um auch für die Generation Z attraktiv zu sein; er zahlt faire Gehälter, dafür bekommt er zufriedene Mitarbeiter, einen geringeren Krankenstand und eine niedrige Fluktuationsrate.
• Unternehmensstandort: Energieeffiziente Gebäude senken den Energieverbrauch und damit auch die Betriebskosten.
• Produktlebenszyklus: Die Zeiten der Wegwerfmentalität sind vorbei, heute zählt die Verantwortung für das Produkt von der Lieferkette über die Produktion bis zum Verkauf und schließlich dem Recycling. Dafür steigt das Vertrauen des Kunden in das Produkt über das reine Produktversprechen hinaus – ein Mehrwert, der im Wettbewerb immer wichtiger wird.
• Image und Kommunikation: Positive Außendarstellung, tue Gutes, rede darüber und stärke deine Marktposition.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Deutlich wird daran, dass Nachhaltigkeit nicht nebenbei geschieht, sondern im Kern des unternehmerischen Denkens verankert sein muss. Dann zahlt sie sich aus.
Signify geht mit seinem „Circular Lightning“-Programm einen enormen Schritt:
• von transaktional zu relational: Licht als Service
• von Consumables zu Durables: Produktlebensverlängerung durch Design und Service
• vom Besitz zur Performance: Zugriff auf Nutzen wichtiger als Besitz/Eigentum
• von Take-Make-Use zu Reduce-Reuse-Recycle: mehrere Lebenszyklen bedienen