5G: Game-Changer für die Industrie
Author: Markus Strehlitz
5G bringt nicht nur Katzen-Videos schneller auf das Smartphone. Gerade in der digitalisierten und vernetzten Industrie bietet sich großes Potenzial für den Mobilfunkstandard.
Die Fakten beeindrucken: 10 bis 20 Mal schneller als LTE, Reaktionszeiten von bis zu einer Millisekunde und große Bandbreiten – 5G bietet eine ganze Reihe von deutlichen Vorteilen gegenüber den bisherigen Mobilfunkstandards. Meist geht es in der öffentlichen Diskussion aber darum, was diese den Privatnutzern bringen. Doch 5G bietet weitaus mehr als nur die Möglichkeit, noch schneller Katzen-Videos mit dem Smartphone laden zu können.
Großes Potenzial gibt es in der Industrie. Das gilt vor allem für die digitalisierte Produktion beziehungsweise Industrial IoT – also die Vernetzung der dortigen Maschinen und Anlagen. Dabei sind Eigenschaften, wie sie 5G bietet, besonders gefragt. „Industrielle Anwendungen erfordern hohe Konnektivität“, sagt Professor Robert Schmitt, einer der Direktoren des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen. Er sieht daher in 5G „einen Game-Changer für die Industrie“. IoT-Anwendungen könnten durch die neue Mobilfunkgeneration „auf neue Art und Weise gelöst werden“, glaubt Robert Schmitt.
5G bringt Roboter auf Trab
Zahlreiche große Unternehmen aus dem Fertigungsbereich haben damit begonnen, die Potenziale zu erschließen. Dazu zählen etwa Autobauer wie VW, Daimler und BMW oder auch Technikanbieter wie Bosch und Siemens. Sie haben Campusnetze – also eigene 5G-Netze – für ihre Werke aufgebaut, um die Möglichkeiten des Mobilfunkstandards zu testen. So sind sie unabhängig bei der Entwicklung eigener 5G-Anwendungen. Auch DEKRA testet in Málaga und Klettwitz die Möglichkeiten des 5G-Standards.
Wenn man sich die konkreten Einsatzszenarien anschaut, stellt man fest, dass 5G vor allem in der mobilen Robotik seine Stärken ausspielt. In vielen Projekten wird die Technologie für die Kommunikation mit fahrerlosen Transportsystemen oder Logistikrobotern genutzt. Denn wichtig für deren Einsatz ist eine unterbrechungsfreie Funkabdeckung. Wenn die mobilen Roboter durch die Fabrikhallen fahren, benötigen sie ein Funknetz, in dem sie ohne Verzögerungen navigieren können. Mit anderen Kommunikationstechniken wie W-LAN besteht die Gefahr, dass beim Wechsel von einer Funkzelle in die nächste die Verbindung abbricht und die Geräte stehen bleiben.
Zudem bietet 5G laut Robert Schmitt die Möglichkeit, dass Rechenleistung, die sonst für die Steuerung auf dem Roboter installiert wird, ausgelagert werden kann. Die Steuerungen werden quasi virtualisiert und auf bestimmte Knoten im Firmennetz verschoben. Ein Beispiel dafür findet sich bei der Firma Osram, die für ihr Werk in Schwabmünchen ein 5G-Netz aufgebaut hat. Die komplette Steuerung und Navigation der mobilen Roboter ist dort in sogenannte Edge-Computing-Systeme ausgelagert – also auf eine Hardware, die sich direkt in der Produktionsumgebung befindet.
Das hat eine Reihe verschiedener Vorteile. Um eine Steuerung auszutauschen, muss dies nicht an jedem einzelnen Roboter gemacht werden. Stattdessen lässt sich ein Update zentral durchführen. Das erleichtert die Inbetriebnahme der Roboter und spart viel Zeit.
Doch 5G spart nicht nur Zeit, sondern auch Energie. Wenn der Roboter selbst weniger Rechenpower benötigt, muss er auch seltener geladen werden. Es gibt Berechnungen, wonach sich die Betriebszeit damit um bis 20 Prozent verlängern lässt.
KI unterscheidet Mensch von Palette
Zudem lässt sich dank 5G auch Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel bringen. Mobile Roboter, die mit Kameras ausgestattet sind, können dann nicht nur Hindernisse wahrnehmen, sondern diese auch identifizieren. Sie erkennen zum Beispiel, ob es sich um eine Palette oder einen Menschen handelt, bei dem der Sicherheitsabstand größer sein muss. Die dafür nötige KI ist auf einem Rechner in der Edge installiert, der Datenaustausch mit dem Roboter findet per 5G in Millisekundenschnelle statt. So ist dieser in der Lage, rechtzeitig zu reagieren.
Daneben finden sich aber noch weitere mögliche Anwendungen für 5G in der Industrie – zum Beispiel in Augmented-Reality-Projekten. Dabei werden den Werkern in der Fabrik über eine Datenbrille Zusatzinformationen für ihre Tätigkeit angezeigt. Solche Anwendungen benötigen kurze Reaktionszeiten und eine hohe Datenrate, weil auch Bilder oder Videos von einem Server auf die Datenbrille übertragen werden.
Weltweites Interesse an 5G
Um die Möglichkeiten von 5G in der Fertigung zu nutzen, sind die Bedingungen hierzulande recht günstig. Durch die frühzeitige Vergabe von privaten Lizenzen an Industrieunternehmen hat Deutschland durchaus eine Vorreiterrolle eingenommen.
Das Interesse an 5G in der Industrie ist jedoch weltweit vorhanden. In einer Studie von Cap Gemini haben schon 2019 zwei Drittel der Firmen gesagt, dass sie 5G innerhalb von zwei Jahren nach Verfügbarkeit einführen möchten. Befragt wurden dabei weltweit mehr als 800 Führungskräfte von Industrieunternehmen. Diejenigen, die bereits 5G nutzen, bestätigen das Nutzenpotenzial. Sechs von zehn dieser Early Adopters geben an, dass sie mit 5G ihre Effizienz gesteigert haben. 43 Prozent berichten von mehr Flexibilität.
Allerdings werden diese Benefits wohl zunächst eher größeren Unternehmen vorbehalten bleiben. Der Aufbau eines Campusnetzes ist mit viel Aufwand und großen Investitionen verbunden. Das Gleiche gilt für die Infrastruktur, die für das Edge Computing benötigt wird. Zudem sind die entsprechenden Projekte komplex, weil viele Technologien und Anbieter involviert sind – vom Netzwerkausrüster über Hardware- und Software-Hersteller bis zu Dienstleistern, die sich um die Integration des Ganzen kümmern.
„Wir brauchen extrem kurze Reaktionszeiten“
DEKRA baut auf seinem Prüfgelände am Lausitzring ein 5G-Campusnetz auf. Uwe Burckhardt, Leiter Test und Event DEKRA Lausitzring, erklärt, wofür die Mobilfunktechnik eingesetzt wird und welche Vorteile sie bringt.
Herr Burckhardt, wofür brauchen Sie ein 5G-Campusnetz am Lausitzring?
Burckhardt: Es gibt mehrere Themen rund um das Testen hochautomatisierter Fahrzeuge, für die wir 5G-Technologien nutzen wollen. Dazu zählen etwa die Übermittlung von Test- und Sensordaten aus den Testfahrzeugen an unsere Kunden und das Testen von Vehicle-to-X-Systemen. Das wichtigste Einsatzfeld eines 5G-Campusnetzes auf dem DEKRA Lausitzring ist aber das szenarienbasierte Testen. Wir untersuchen dabei reproduzierbar, wie sich ein hochautomatisiertes Fahrzeug in komplexen Fahrsituationen verhält. Im Vorfeld werden diese Situationen am Computer simuliert. Um diese Simulationen zu validieren, werden besonders kritische Fälle auf dem Prüfgelände nachgestellt. Dabei bewegt sich das automatisierte Fahrzeug in einem Schwarm von bewegten Objekten. Alle Objekte im kritischen Pfad des Testfahrzeugs sind sogenannte Soft Targets. Das sind Fahrzeuge aus Schaumstoff, die auf fahrbaren Platten mit Rädern – also mobilen Robotern – montiert sind und im Schwarm über das Testgelände fahren. Diese werden von einem Leitstand kontrolliert beziehungsweise orchestriert. Für die dazu notwendige Kommunikation benötigen wir ein 5G-„Stand-Alone“-Campusnetz.
Warum?
Burckhardt: Dank 5G erreichen wir Latenzen von unter 10 Millisekunden. Wir brauchen diese extrem kurzen Reaktionszeiten, denn die Objekte im Schwarm sind mit bis zu 130 km/h unterwegs und müssen dabei vom Leitstand sicher gesteuert werden können.
Wie weit sind Sie mit dem Aufbau des Campusnetzes?
Burckhardt: Wir haben im letzten Jahr mit einer Testfrequenz und einer Testanlage Vorversuche gemacht und die Tauglichkeit der Technologie für unseren Einsatzzweck bewiesen. Mit dieser Anlage können wir ungefähr anderthalb Kilometer in Nord-Süd-Ausdehnung abdecken und auch schon produktiv mit einem Schwarm testen. Das vollständige 5G (SA)-Campusnetz soll dann 17 Antennen umfassen und das komplette Prüfgelände mit 540 Hektar abdecken. Ich gehe davon aus, dass wir dieses Ziel in einem Jahr erreichen werden.