Alle an Bord – Sicherheit auf Schiffen
Die Sachverständigen von DEKRAmaritim, allen voran Urgestein Jochen „Jo“ Becker, sind vor allem in Werften, Häfen oder auf See anzutreffen. Sie begutachten Schiffe im Auftrag von Besitzern oder Versicherungen. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn nicht immer überbringen sie gute Nachrichten.
Sie misst 19,36 Meter Länge, ist vier Meter breit und hat eine Segelfläche von 180 Quadratmetern: Die SAMYRAH ist ein Charterschiff und an diesem Tag der Arbeitsort von DEKRAmaritim Experte Jo Becker. Das Schiff liegt vor der Werkstatt von Manfred Zappe in Eckernförde, der ihr kürzlich eine neue Hauptmaschine verpasst hat. Die SAMYRAH wurde im Laufe des Jahres umfassend saniert. Becker hat den Fortschritt begleitet, die Besitzer beraten und wird am Ende der Arbeiten ein Gutachten über das Boot für die Versicherung und die Dienststelle Schiffsicherheit der BG Verkehr verfassen.
Außen Teak, innen dunkle Mahagoni-Verkleidungen und Olivenholz-Parkett: Die SAMYRAH wurde aus edlen Hölzern gefertigt. Aber im Laufe der Jahre litt das Material. Die ursprüngliche Rumpfbeplankung zeigte zunehmend Schwachstellen auf: Beim Verleimen der Bordwand des Bootes hatte man die Leisten getackert, die Eisenklammern blieben drin – und rosteten. Das ging nach und nach an die Substanz, weshalb die Rumpfbeplankung erneuert werden musste. Außerdem hat die SAMYRAH einen neuen Fockmast – das ist bei Zweimastern der vordere Mast – bekommen, der hintere, der Großmast, wurde verbessert. Dann waren noch die Zinkanoden am Unterwasserschiff des Bootes locker, was bei Seegang dazu führen könnte, dass undichte Stellen in der Beplankung entstehen; sie wurden neu befestigt.
„Die größte Überarbeitung war die Maschine“, erklärt Jo Becker im offengelegten Maschinenraum unter Deck. Der Abgassammler hatte ein Leck und gab permanent Seewasser in die Brennräume ab. Reparaturversuche brachten nicht die gewünschte Lösung – und so wurde der alte Ford-Lehman-Motor am Ende von Werkstattmeister Manfred Zappe durch einen neuen Mitsubishi mit 96 PS ersetzt.
Dauergast in Häfen und Werkstätten
Für Jo Becker waren die Reparaturarbeiten keine große Überraschung. Der 66-Jährige hat ein geübtes Auge und viel Erfahrung im Bootsbau – und er ist es gewohnt, dass er den Eignern manchmal unangenehme Nachrichten überbringen muss. Becker begann seine Karriere als Karosseriebauer bei Mercedes-Benz, studierte Fahrzeugbau und war danach als selbstständiger Bootsbauer tätig. 2003 kam er als Prüfingenieur zu DEKRA und baute den Schiffsektor dort selbst auf. Denn bis dato hatte DEKRA in diesem Bereich nicht allzu viel Erfahrungen gesammelt. Becker engagierte sich für das Thema und wurde von seinem Niederlassungsleiter Stephan Kramer unterstützt. Im Laufe der Zeit kamen mehr und mehr Aufträge und Beckers Tätigkeit verlegte sich zunehmend in die Häfen an der Nord- und Ostsee und in den Mittelmeerraum. Heute unterhält er unter dem Namen DEKRAmaritim ein Netzwerk aus 27 weiteren Sachverständigen, die Bootsgutachten im Auftrag von Versicherungen oder Eignern durchführen. Die Arbeit der Kollegen umfasst Schadengutachten nach Havarien, Gutachten bei der Inbetriebnahme neuer Boote oder nach deren Restaurierung, wie im Falle SAMYRAH.
Viel Erfahrung mit Booten
Boote begleiten den gebürtigen Hamburger seit seiner Kindheit. „Das war damals ein olfaktorisches Erlebnis. Mit einem Schulfreund reparierte ich an der Alster ein Dingi. Den Geruch in dem alten Bootsschuppen habe ich noch heute in der Nase. Danach war ich angefixt“, erzählt Becker. Ein Dingi ist ein kleines Beiboot; einer von vielen Fachbegriffen aus der Seefahrt, die man hört, wenn man sich mit Jo Becker unterhält. Dabei erklärt er alles mit einer solchen Seelenruhe und nordischen Gelassenheit, die sicherlich auch in den Gesprächen mit erfahrenen und weniger erfahrenen Bootsbesitzern von Vorteil ist.
Becker kennt sie alle: reiche Yachtbesitzer, waschechte Seemänner und Hobbysegler. Vor allem in Coronazeiten wurde das Segeln immer beliebter. Was für Hunde oder Vans gilt, war auch bei den Booten zu beobachten: „Viele haben sich während der Pandemie ein Boot gekauft, ohne viel Vorerfahrung. Und so langsam merken die Leute, dass ein Boot eben doch viel Arbeit ist, und manche wollen es jetzt wieder loswerden.“
Becker weiß, wovon er spricht. Auch er hat, gemeinsam mit seiner Frau Rune Becker, ein Boot. Die „SCHLICHTING“ ist ein klassisches Holzboot und wurde 1923 gebaut, wird also im nächsten Jahr stolze 100 Jahre alt. Und so ein altes Boot braucht viel Zuwendung. „Man sagt nicht umsonst: Im Winter streicheln wir das Boot, im Sommer streichelt es uns.“ Jo Becker ist beruflich und privat ständig auf dem Wasser.
Austausch zwischen Bootsgutachtern
DEKRA Kollege Benedikt Ruhkamp von der Niederlassung Schwerin ist an diesem Tag auch dabei in Eckernförde. Dem 31-jährigen geht es ganz ähnlich wie Becker: Er liebt Boote. Selbst hat er zwei. Und als der Schadengutachter mal einen Fall mit Schiffen hatte, kontaktierte er seinen Hamburger Kollegen. Jo Becker möchte sein Wissen weitergeben, er schult ohnehin schon Kollegen. Und er kann sich gut vorstellen, dass „der Bene“ seine Arbeit mal fortführen wird. Im Dezember dieses Jahres sollen die Arbeiten an der SAMYRAH fertiggestellt sein. Dann treffen sich alle wieder zur Probefahrt. Danach wird Jo Becker ein Gutachten inklusive Rumpfzeugnis erstellen. Das Schiff ist also auf Kurs.
Den Geruch in dem alten Bootsschuppen habe ich noch heute in der Nase.
Jo Becker, Sachverständiger für Bootsbau bei DEKRAmaritim