Alles im Blick – Unfallanalytik in 3D

12. Mai 2023

Neue digitale Methoden haben in der DEKRA Unfallanalyse in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gebracht. Die 3D-Photogrammetrie ist die neueste Evolutionsstufe. Sie ermöglicht Einblicke in Unfallorte, die bis vor Kurzem schlicht undenkbar waren. Unfallanalytiker Randy Stiegler, 33, gibt Einblicke in seinen Arbeitsalltag und erzählt, wie sich die Methoden im Laufe der Zeit gewandelt haben.

Die Zukunft von damals ist heute bereits Wirklichkeit: Randy Stiegler, Unfallanalytiker an der DEKRA Niederlassung Chemnitz, erstellt mittels 3D-Photogrammetrie ein virtuelles Abbild einer Unfallstelle. Die Szenerie zeigt einen Sattelzug, der seitlich durch die Leitplanke einer Brücke gebrochen und dann unter der Brücke im Boden eingeschlagen ist. Sie wirkt wie ein dramatischer Ausriss aus der Wirklichkeit. In der Computeranimation kann man die Darstellung in alle Richtungen frei drehen und wenden. Zoomt man hinein, sind durch die unglaublich gute Auflösung einzelne Scherben auf dem Boden dreidimensional erkennbar.

Gut ausgerüstet für die Unfallanalytik

„Das ist natürlich nur mit dem entsprechenden Equipment möglich“, ordnet der 33-Jährige ein. Aber alles, was man dazu heute braucht, sind ein leistungsfähiger Rechner, eine Action Cam oder eine normale Digitalkamera und die entsprechende Software. „Mit der Kamera an einem Hochstativ (z. B. Selfie-Stick) läuft man die Unfallstelle in einem bestimmten Muster ab und erzeugt dabei so viele Bilder wie möglich. Im Computer setzt die Software die Daten zu einem dreidimensionalen Modell zusammen“, erklärt er. So können Dinge auch noch nachträglich sichtbar gemacht werden, die mit herkömmlichen Methoden wie 2D-Draufsichten oder gar handgezeichneten Unfallskizzen nur annähernd oder gar nicht zu erkennen gewesen wären.

Photogrammetrie in der Unfallanalytik

Unfallanalytiker und Unfallanalytikerinnen vor 30 Jahren hätten ihren Augen nicht getraut, wenn ihnen jemand eine 3D-photogrammetrische Aufnahme gezeigt hätte. Damals kam neben Maßband und Messrad auch ein Klemmbrett für die Handskizzen zum Einsatz. Aber auch altgediente Profis sind heute mit der neuen Darstellungs- und Messmethode vertraut. Das Wissen um neue Verfahren innerhalb des Gutachtenbereichs wird in regelmäßigen Schulungen vermittelt. Randy Stiegler klärt dann über die Möglichkeiten der 3D-Photogrammetrie auf. Neue Methoden sind aber nicht automatisch den anderen Methoden überlegen. Denn eine 2D-Drohnenaufnahme im 90-Grad- Winkel kann bei einfachen Sachlagen schon zu ausreichenden Erkenntnissen führen. „Die 3D-Photogrammetrie spielt ihre Stärken vor allem bei komplizierten und aufwändigen Gutachten aus“, erklärt Stiegler, der sich seit 2016 regelrecht darauf spezialisiert hat. Als Beispiel nennt er Unfallsituationen, bei denen es wichtig ist, festzustellen, wie die Sicht der Beteiligten – oder auch von Zeugen und Zeuginnen – auf die Situation war: Konnte Person A auf dem Fahrrad, die von der Seite in den Pkw von B fuhr, diesen rechtzeitig sehen? Oder waren die Äste eines Busches oder eine Plakattafel im Weg? Konnte die Person im Pkw mehr sehen oder war das Blickfeld ebenfalls beeinträchtigt? Ein 3D-Modell, erstellt in etwa einer halben Stunde vor Ort, kann ein für alle Mal für Klarheit sorgen, indem die Juristen und Juristinnen im Gerichtssaal die eine oder andere Perspektive selbst einnehmen können. „Darin liegt der eigentliche Vorteil der Photogrammetrie: Sie ist unmittelbar für jeden Betrachtenden nachvollziehbar. Kein Verteidiger und keine Verteidigerin dieser Welt werden ein so belegtes Gutachten ernsthaft anzweifeln können.“
Auch bei unebenem Gelände spielen die 3D-Modelle ihre Vorteile aus. Denn Hügel und Senken können in der 2D-Draufsicht nicht dargestellt und manuell nur schwierig rekonstruiert werden. Ebenso hilfreich ist das Fotografieren mit dem Hochstativ, wenn beispielsweise eine Drohne wegen niedriger Bäume über der Unfallstelle nicht hoch genug fliegen kann. Andererseits kommt die „moderne“ Methode an ihre Grenzen, wenn die Lichtverhältnisse schlecht sind, beispielsweise bei Nacht. Doch der leidenschaftliche Tüftler Stiegler hat sogar dafür eine Lösung: spezielle Kamera-Einstellungen, die via QR-Code erst eingescannt und dann übernommen werden.

Auf der Höhe der Zeit mit der 3D-Photogrammetrie

Von Anfang an legte Stiegler eine Menge Enthusiasmus für das Thema an den Tag: Schon während seiner Mentorenzeit an der DEKRA Niederlassung Dresden begeisterte er sich für die Rekonstruktion eines spektakulären Unfalls, bei dem ein Auto innerorts über eine Böschung in ein Kirchendach geschanzt war. „Ich hatte mir dazu eine kostenlose Testlizenz der Software auf meinem Rechner installiert und habe etwa eine Viertelstunde lang mit meiner Digitalkamera vor Ort Fotos aufgenommen“, erinnert sich der junge Gutachter. „Nach Dienstschluss im Hotel habe ich so lange getüftelt und gerechnet, bis mir ein 3D-Modell gelungen ist, das es mir erlaubte, das virtuelle Auto mit verschiedenen Geschwindigkeiten über die Böschung schanzen zu lassen. Letztlich, um herauszufinden, wie schnell es sein musste, um die notwendige Flugbahn einzunehmen. Das Ergebnis lag bei 110 km/h.“
Mit der 3D-Photogrammetrie, die es mittlerweile schon an rund 25 Niederlassungen in Deutschland gibt, ist DEKRA absolut auf der Höhe der Zeit – aber sicher noch lange nicht am Ende der Evolution angelangt.

„Die 3D-Photogrammetrie ist vor allem bei komplizierten Gutachten mein Mittel der Wahl.“

Randy Stiegler, Unfallanalytiker und Gutachter an der DEKRA Niederlassung Chemnitz