Arbeitsmarkt-Report 2022 DEKRA Akademie
Qualifikationsbedarfsanalyse auf der Basis von mehr als 12.900 Stellenangeboten

DEKRA Arbeitsmarkt-Report 2022

Zum fünfzehnten Mal beschäftigen wir uns mit den Entwicklungen in den einzelnen Berufs- und Tätigkeitsfeldern. Im Fokus steht die Frage, welche Fachkräfte Arbeitgeber am häufigsten suchen und wie sich der Bedarf gegenüber den Vorjahren verändert hat. Für die aktuelle Analyse wurden insgesamt 13.097 Stellenangebote untersucht, mit denen Arbeitgeber in zehn deutschen Tageszeitungen sowie zwei Online-Jobportalen Verstärkung suchten.

Die detaillierte Analyse berücksichtigt jedoch nur 12.912 Stellenangebote, da Anzeigen mit unvollständigen Angaben ausgeschlossen werden. Stichtag für die Erhebung der Stellenangebote aus Tageszeitungen war der 26. Februar 2022. Die regionalen und überregionalen Tageszeitungen decken das Bundesgebiet gut ab. Für die Online-Stellenangebote gilt der Kernerhebungszeitraum von 21. bis 27. Februar 2022.
In diesem Jahr standen zudem Data Scientists und Ingenieure im Bereich Automotive im Fokus der vertiefenden Analysen. Hierfür wurden jeweils 350 Stellenangebote im Volltext untersucht. Ziel der berufsbezogenen Auswertungen war es, Erkenntnisse zu den Anforderungen an Jobsuchende zu gewinnen. Die Wahl fiel auf diese Berufe, weil hier der Fachkräftebedarf enorm steigt, während Ingenieure momentan einen tiefgreifenden Wandel ihrer Arbeitswelt erleben. Darauf wollten wir ein Blitzlicht werfen.
Für einen Exkurs zu „mobilem Arbeiten“ haben wir zwei Wissenschaftler befragt, die sich intensiv mit dem Thema befassen. Uns interessierte ihre Einschätzung, ob und wie sich die Homeoffice-Pflicht während der Pandemie längerfristig auf Arbeitsmodelle auswirkt und welche Strategien Unternehmen diesbezüglich verfolgen.
In den Texten verwenden wir entweder die männliche und weibliche oder eine neutrale Sprachform. Damit sind alle Geschlechter (m/w/d) ohne Diskriminierungsabsicht einbezogen. Die gewählte Fassung dient allein der besseren Übersichtlichkeit und der leichteren Verständlichkeit des Inhalts.

Inhalte des Arbeitsmarkt-Reports

  • Frühjahr belebt Einstellungsabsichten
  • Die Berufsfelder im Überblick
  • Data Scientist: Umsetzer der Datenökonomie
  • Interview mit Karin Immenroth: Mit komplexen Themen per Du
  • Ingenieure: Arbeiten im realen und virtuellen Umfeld
  • Interview mit Dr. Uwe Horn: Veränderungsbereitschaft ist ein Muss
  • Neues Arbeiten: Die Zukunft wird hybrid
  • Tabellarischer Überblick: Berufe und Berufsfelder

DEKRA Arbeitsmarkt-Report 2022

Frühjahr belebt Einstellungsabsichten

Nach fast zwei Jahren Pandemie blickten Unternehmen zu Jahresbeginn optimistischer nach vorn. Die Konjunktur belebte sich etwas und für das Frühjahr standen Lockerungen der Corona-Beschränkungen im Raum. Das machte sich auch am Arbeitsmarkt bemerkbar. Neben Elektronikern sowie Fachkräften in der Gesundheits- und Krankenpflege suchen Arbeitgeber aktuell für verschiedenste Bereiche dringend Verstärkung; zum Beispiel im Vertrieb, der IT oder der Lagerlogistik. Der Bedarf geht dabei quer durch alle Anforderungsniveaus, wie der aktuelle DEKRA Arbeitsmarkt Report zeigt: Die Hälfte der Top-Ten-Berufe sind gewerbliche Tätigkeiten. Ingenieure konnten sich im Gesamtranking zwar wieder etwas verbessern, der Sprung unter die ersten zehn Berufe ist ihnen aber nicht gelungen, wie die Analyse von 12.912 Stellenangeboten ergeben hat.
Im Februar schien die Welt fast in Ordnung: Der Arbeitsmarkt befand sich beinahe wieder auf Vor-Corona-Niveau, wie die Bundesagentur für Arbeit feststellte. Außerdem meldete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für das vierte Quartal 2021 sogar den höchsten Stand offener Stellen seit Durchführungsbeginn der Stellenerhebung.
Der DEKRA Arbeitsmarkt-Report zeigt: In diesem Jahr machen sich mehr Arbeitgeber selbst auf die Suche nach neuem Personal. Bei fast sechs von zehn der 12.912 untersuchten Vakanzen ist dies der Fall (58,4 %). Sie suchen demnach Fachkräfte in Festanstellung. Gleichzeitig blieb der Anteil der Stellenangebote von Zeitarbeitsunternehmen hoch (28,2 %). Im Jahr vor der Pandemie enthielt die Stichprobe deutlich weniger Vakanzen in der Zeitarbeit (2019: 19,2 %). Vergleichsweise selten beauftragten Unternehmen eine Personalberatung, um neues Personal zu finden (7,9 %). Nur 2011 wurden die Dienstleister noch seltener hinzugezogen. Das deutet darauf hin, dass sich Unternehmen beim Recruiting zunehmend selbst professionalisieren.

Maschinenbau und Elektroindustrie legen zu

Drei von vier Positionen in der Stichprobe sind eindeutig einer Branche zuordenbar. Im Gesundheits- und Sozialwesen finden besonders viele Fachkräfte ein neues Betätigungsfeld (12,3 %), auch wenn der Anteil von Stellenangeboten in dieser Branche vergleichsweise stark gesunken ist (-4,3 Prozentpunkte). Offerten im Maschinen- und Fahrzeugbau sowie in der Elektroindustrie haben hingegen zugelegt; 8,9 bzw. 7,7 % der Kandidatinnen und Kandidaten sind später in einem der beiden Wirtschaftsbereiche tätig. Zuletzt waren diese zwei Arbeitgeberbranchen 2018 vergleichbar stark in der Stichprobe vertreten.

Top Ten mit fünf neuen Berufen

Die zehn am häufigsten gesuchten Berufe machen allein mehr als ein Viertel aller Stellenangebote aus (27,3 %). Elektronikerinnen und Elektroniker sowie Fachkräfte für die Gesundheits- und Krankenpflege befinden sich im Gesamtranking seit Langem vorn. Bei den zehn Spitzenreitern gibt es dennoch immer wieder Überraschungen: In diesem Jahr suchen Unternehmen auffällig viele Fachkräfte mit einer gewerblichen Ausbildung bzw. entsprechenden Erfahrungen.
Produktionshelfer sowie Lager- und Transportarbeiter haben sogar Plätze gutgemacht und liegen so weit vorne wie nie seit Erhebungsbeginn 2008. Arbeitgeber benötigen offensichtlich viel neues Personal für ihre Lagerlogistik: Personen, die Gabelstapler und andere Transportgeräte beherrschen, können ebenfalls aus vielen offenen Positionen wählen. Gabelstaplerfahrerinnen und -fahrern ist der Sprung auf den achten Platz gelungen (2021: Platz 16). Sie waren bisher erst einmal unter den ersten zehn Berufen zu finden. Die Tatsache, dass zwei weitere Lagerlogistik- Spezialisierungen unter den Top-25-Berufen vertreten sind, unterstreicht den hohen Personalbedarf.
Maschinen- und Anlagenführer waren noch nie so gefragt wie in diesem Jahr. Sie zählen erstmals zu den zehn am häufigsten gesuchten Fachkräften. Zum Vergleich: Im letzten Jahr belegten sie noch Position 31. Die positiven Konjunkturaussichten haben vermutlich zu der hohen Nachfrage geführt. Angesichts der besseren Stimmung sehen Arbeitgeber auch Potenzial im Verkauf und verstärken ihre Vertriebsteams: Gleich drei Spezialisierungen aus diesem Metier gehören zu den gefragtesten Berufen in der Gesamtstichprobe. Dies war zuletzt im Jahr vor der Pandemie der Fall (2019).
Gesundheits- und Pflegeberufe sind hingegen auf den vordersten Plätzen nicht so präsent wie im letzten Jahr. Altenpflegerinnen und Altenpfleger sind von Rang 2 auf Rang 17 zurückgefallen – allerdings konnten sie sich auch erst zweimal einen Platz unter den Top- Ten-Berufen sichern. Die überdurchschnittlich hohe Nachfrage nach Ärzten scheint ein Einmaleffekt gewesen zu sein, denn sie befinden sich nun wieder weit hinten im Gesamtranking (Position 53). Für Ingenieurinnen und Ingenieure ist eine Platzierung unter den ersten zehn Positionen nicht mehr selbstverständlich, wie die aktuelle Analyse zeigt. In den Erhebungsjahren 2019 und 2020 war hier erstmals keine Ingenieurdisziplin vertreten. Architekten und Bauingenieure haben sich dieses Jahr um drei Plätze verschlechtert (Platz 13) und liegen nun hinter den Elektroingenieuren.

Tätigkeitsfelder: Personal in vielen Bereichen knapp

Die 12.912 Stellenangebote lassen sich 28 Tätigkeitsbereichen zuordnen. Fast zwei von drei Offerten schreiben Arbeitgeber in den ersten zehn von ihnen aus (64,7 %). Erstmals erreicht keines der Tätigkeitsfelder einen zweistelligen Anteil an der Stichprobe, was zeigt, dass Fachkräfte in vielen Bereichen knapp sind.
Es liegt in der Natur der Sache, dass branchenübergreifend eingesetzte Berufsgruppen weit vorne liegen. Vertriebs-, IT- oder Sachbearbeitungsspezialisten sind Beispiele hierfür. Doch auch branchenspezifische Einsatzbereiche, wie das Ingenieurwesen oder die Elektroindustrie, benötigen dringend Verstärkung und befinden sich im Vergleich zu 2021 im Plus. Fast alle der ersten zehn Tätigkeitsfelder liegen sogar über ihrem Niveau von 2019.

Vertrieb nimmt wieder Fahrt auf

Die Maßnahmen zum Infektionsschutz haben die Arbeit von Vertriebs- und Verkaufsabteilungen erheblich beeinflusst. In kaum anderen Berufen sind der Aufbau und die Pflege persönlicher Kontakte so wichtig wie im Vertrieb. Nach zwei Jahren ist die Verkaufsberatung nun wieder an die Spitze aller Tätigkeitsbereiche vorgerückt. Nicht ganz jede zehnte Vakanz richtet sich an Jobsuchende mit Vertriebserfahrung (9,5 %). Damit ist der Tiefststand des letzten Jahres zwar überwunden, der Anteil von 2019 jedoch noch unerreicht (2019: 12,1 %). Dennoch: Drei der zehn Berufe auf den vordersten Plätzen gehören in den Tätigkeitsbereich Vertrieb und Verkauf.
Es bleibt spannend, wie sich die Pandemie längerfristig auf die Arbeit von Fachpersonal im Vertrieb auswirken wird. Manches deutet darauf hin, dass auch Beschäftigte im Außendienst zukünftig nicht mehr so viel „auf der Straße“ sein werden wie vor der Pandemie. Vermutlich hält auch hier eine hybride Arbeitsweise Einzug, d. h. mit vielfältigeren Modellen des Kundenkontakts und einem geringeren Reisepensum.

Gesundheit und Pflege normalisieren sich auf hohem Niveau

Jobsuchenden in einem Gesundheits- oder Pflegeberuf stehen viele Türen offen. Der Anteil entsprechender Offerten ist gegenüber der letzten Analyse zwar etwas gesunken, aber im Bereich Gesundheit und Pflege besteht dennoch der zweithöchste Personalbedarf. Der Rückgang gleicht vor allem den starken Anstieg von vor zwei Jahren aus (2020: 10,1 %).
Aktuell befindet sich nur ein Beruf aus dem Gesundheits- und Pflegebereich unter den Top-Ten-Berufen. Altenpflegefachkräfte sowie Medizinerinnen und Mediziner haben ihre Platzierung unter den vordersten Plätzen nicht gehalten. Dies ändert jedoch nichts an den bestehenden Engpässen: Laut KOFA Studie gibt es gut 57.000 offene Stellen für Altenpflegefachkräfte und die Fachkräftelücke ist hier so groß wie in keinem anderen Beruf. Die zuletzt positive Entwicklung bei der neuen Ausbildung Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann dürfte Arbeitgeber in Kliniken und Pflegeeinrichtungen nur teilweise beruhigen, da die Zahl der über 55-Jährigen gerade in den Gesundheits- und Pflegeberufen überdurchschnittlich hoch ist.
Arztpraxen benötigen im Erhebungszeitraum ebenfalls mehr neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Der Stellenanteil für Medizinische Fachangestellte hat sich fast verdoppelt. Dadurch ist der Beruf im Gesamtranking an die fünfzehnte Stelle vorgerückt (2021: Platz 36) – so weit nach vorn wie zuletzt 2015. Auch nichtmedizinische Gesundheitsberufe, zum Beispiel in der Physiotherapie, bieten angesichts des steigenden Altersdurchschnitts eine gute Perspektive, wie die Stellenauswertung zeigt.

IT: Rückgrat aller Branchen

Gut jede zwölfte Offerte in der Stichprobe wirbt für eine Position in der IT (8,0 %) – im letzten Jahr war es noch jedes zehnte Stellenangebot. Insbesondere Personen, die Software entwickeln oder programmieren können, sind heiß begehrt. Softwareentwicklerinnen und -entwickler befinden sich an fünfter Stelle im Gesamtranking und ein Drittel aller IT-Jobs geht auf ihr Konto. Kein Wunder, sie werden in fast allen Branchen benötigt: Gut jede zweite Position für sie schreibt ein IT-Unternehmen aus (51,0 %). Aber auch Recruiter aus der Elektroindustrie (15,6 %) oder dem Maschinen- und Fahrzeugbau (11,2 %) suchen Fachkräfte mit Expertise in der Softwareentwicklung. Das weiter stark wachsende Einsatzgebiet des Maschinen- und Fahrzeugbaus dürfte den Engpass weiter verschärfen.
Im letzten Jahr hatten Spezialisierungen wie Systemadministration, IT-Beratung oder IT-Security dem Platzhirsch am Stellenmarkt einige Anteile abgenommen. Diese mussten sie in diesem Jahr fast alle wieder an die Softwareentwicklung abtreten. Beschäftigte in der IT-Systemadministration haben seit Pandemiebeginn alle Hände voll zu tun. Sie verteidigen ihren Platz an der zweiten Stelle der IT-Berufe erfolgreich seit 2020. Die Berufsaussichten der Administratorinnen und Administratoren dürften auf absehbare Zeit sehr gut bleiben. Autonome Systeme sind noch Zukunftsmusik und bereits jede vierte Fachkraft in der Systemadministration ist über 55 Jahre alt.
Für mehr als jede zehnte IT-Stelle ist interdisziplinäres Fachwissen aus den Bereichen Wirtschaft und Informatik gefragt. Offerten für Wirtschafts- und Fachinformatikerinnen haben im Vergleich zu 2021 kräftig Anteile dazugewonnen. Ihr Wert liegt aber noch unter dem vor der Pandemie (2019: 15,2 %). Auch wenn der Stellenanteil in der Stichprobe geschrumpft ist, gilt: Am IT-Arbeitsmarkt gibt es keine Entspannung und viele Betriebe suchen dringend Fachkräfte mit IT-Expertise.

Sachbearbeiter für verschiedene Abteilungen benötigt

Arbeitgeber können auf eine professionelle Personalabteilung nicht mehr verzichten, da es ihnen immer schwerer fällt, qualifizierte Fachkräfte zu finden und zu halten. Das Personalwesen ist in diesem Jahr erneut die gefragteste Spezialisierung im Bereich Sachbearbeitung. HR-Manager sind unter die Top-Ten-Berufe zurückgekehrt und belegen hier zum zweiten Mal nach 2019 den zehnten Platz.
Mit den Kaufleuten für Speditions- und Logistikdienstleistungen befindet sich eine weitere Spezialisierung aus dem Bereich Sachbearbeitung unter den ersten 25 Berufen (Rang 23). Der gestiegene Bedarf an Fachkräften mit dieser Ausbildung geht mit der Entwicklung im Tätigkeitsfeld Lager und Logistik einher. Auch die Nachfrage nach dem Know-how von Einkäufern ist momentan hoch: Sie befinden sich im Gesamtranking auf Position 29 und damit so weit vorn wie seit 2011 nicht. Ihre Expertise ist gefragt, wenn es um die Beschaffung von Rohstoffen oder Teilen geht oder für eine reibungslose Abstimmung mit Zulieferern zu sorgen – eine anspruchsvolle Aufgabe angesichts von zunehmend störungsanfälligen Lieferketten.

Lagerlogistik bleibt personalintensiv

E-Commerce boomt. Um die bestellten Waren schnell zum Kunden zu bringen, sind viele Prozesse in der Lagerlogistik automatisiert. Sie bleibt dennoch personalintensiv. Noch nie suchten Arbeitgeber für diesen Bereich so viele neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Der Anteil von Jobangeboten in der Lagerlogistik befindet sich mit 7,1 % auf dem höchsten Stand seit Erhebungsbeginn 2008. Wie hoch der Personalbedarf ist, beweist schon die Tatsache, dass Lager- und Transportarbeiter sowie Gabelstaplerfahrerinnen und -fahrer zu den zehn am häufigsten gesuchten Berufen gehören.
Arbeitgeber benötigen hier jedoch nicht nur gewerbliches Personal: Auch Kandidatinnen und Kandidaten mit der Ausbildung Fachkraft für Lagerlogistik oder Fachlagerist können aus vielen Stellenangeboten wählen. Ein starkes Plus verzeichnen Fachkräfte für Lagerlogistik, ihnen ist der Sprung auf Position 16 gelungen (2021: 41). Der Ausbildungsberuf war noch in keiner Stichprobe so stark vertreten wie in diesem Jahr.
Das Arbeitsaufkommen in der Lagerlogistik unterliegt starken konjunkturellen und saisonalen Schwankungen. Arbeitgeber setzen hier verstärkt auf temporäres Personal. Sieben von zehn der Offerten schreiben Zeitarbeitsunternehmen aus, d. h. die Jobsuchenden sind später in unterschiedlichen Unternehmen tätig.

MINT-Berufe: Rückkehr der Elektroingenieure

Ingenieurstellen haben wieder etwas zugelegt und befinden sich nach ihrem Tiefststand im letzten Jahr wieder auf dem Niveau von 2019 (5,6 %). Unter den Top-Ten-Berufen ist aktuell zwar keine Ingenieurdisziplin vertreten, aber Arbeitgeber benötigen wieder mehr Elektroingenieurinnen und -ingenieure. Sie sind auf die elfte Position vorgerückt und haben Architektinnen und Bauingenieure zwei Plätze hinter sich gelassen. Zum Vergleich: 2021 waren Elektroingenieure auf Position 23 zurückgefallen.
Der Anteil an Stellenangeboten für Maschinen- und Fahrzeugbauingenieure hat sich nach dem Tiefststand im letzten Jahr zwar etwas erholt, bleibt aber deutlich hinter den Werten der Jahre vor 2021 zurück. Im Gesamtranking machten sie einen Platz wett und belegen nun Platz 32. Auch für Wirtschaftsingenieure wurden mehr Offerten gezählt als bei der letzten Analyse.
Laut VDI erreichte das Stellenangebot in den Ingenieur- und Informatikberufen im vierten Quartal 2021 mit 140.000 offenen Stellen einen Rekordwert seit Aufzeichnungsbeginn 2011. Die Elektro- und Metallberufe liegen hinter dem Ingenieurwesen auf dem siebten bzw. achten Platz der 28 Tätigkeitsfelder. MINT Fachkräfte mit einer akademischen oder dualen Ausbildung im Bereich Elektronik haben hervorragende Chancen am Arbeitsmarkt. Sie spielen beispielsweise bei der Weiterentwicklung und Umsetzung der E-Mobilität oder der Energiewende eine wichtige Rolle. Neben den erstplatzierten Elektronikerinnen und Elektronikern ist die Nachfrage nach Mechatronikern und Elektrotechnikern wieder gestiegen.
Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizung und Klimatechnik ist der gefragteste Metallberuf. Seinen Höchststand und den siebten Platz vom letzten Jahr hat er nicht gehalten. Mit Platz 12 rangieren die Fachkräfte im Ranking dennoch weit vorn, was den weiterhin hohen Bedarf beweist. Daneben konnten auch Metallbauer und Schweißerinnen Ende Februar aus vielen Jobangeboten wählen. Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf den Stellenmarkt in der Metallbranche sind noch schwer einzuschätzen. Faktoren wie Rohstoffknappheit bei Metallen und gestiegene Energiekosten werden sich mittelfristig sicher bemerkbar machen.

Wartungspersonal sichert störungsfreien Betrieb

Personen, die Maschinen oder Fahrzeuge prüfen, instand setzen und reparieren können, arbeiten sowohl im industriellen als auch handwerklichen Umfeld. Sie sorgen dafür, dass Fahrzeuge sicher funktionieren und Maschinen nicht stillstehen. Offerten für Kraftfahrzeugmechatroniker und Industriemechaniker liegen aktuell fast gleichauf (Position 23 bzw. 24).
Beide Berufe haben mit Blick auf die Gesamtstichprobe Anteile verloren, liegen aber deutlich über ihrem Vor-Corona-Wert von 2019. Außerdem wurden viele Stellen für „Mechaniker“ gezählt, ohne dass die Recruiterinnen präzisieren, ob sie eine bestimmte Spezialisierung wünschen.

Führung: Projekte laufen wieder an

Infolge der Pandemie gerieten viele Projekte ins Stocken oder wurden auf Eis gelegt. Nun scheinen Unternehmen wieder neue Projekte zu starten, wie die Analyse der Führungspositionen zeigt. Personalführung ist bei jedem zehnten Stellenangebot Teil der Aufgabenbeschreibung. Jobsuchende mit Erfahrung in der Projektleitung werden hier besonders oft fündig: Für mehr als jede dritte Führungsposition suchen Arbeitgeber Fachkräfte mit Planungs- und Organisationstalent (35,1 %). Ihr Anteil ist ungewöhnlich stark gestiegen und befindet sich nun auf dem höchsten Stand seit Erhebungsbeginn. 2021 war nur gut jede fünfte Offerte eine Projektleitungsstelle. Wer dagegen eine Herausforderung im mittleren Management sucht, dem stehen weniger Vakanzen zur Wahl als im Vorjahr: Ein Zehntel der Führungspositionen ist eine Abteilungs- oder Bereichsleitung (2021: 16,1 %).
Insgesamt ist schwer abzuschätzen, wie sich der Arbeitsmarkt in der zweiten Jahreshälfte entwickeln wird. Bis zum Frühjahr hat sich der Krieg in der Ukraine noch wenig auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt. Die Frühjahrsbelebung und die Aufhebung vieler Einschränkungen infolge der Pandemie machen sich positiv bemerkbar. Längerfristige Vorhersagen sind nicht nur aufgrund der politischen Lage schwierig, sondern auch, weil sich die Arbeitswelt und die Berufe generell verändern. In vielen Bereichen wirken die Pandemie und der Krieg in der Ukraine als Katalysator und beschleunigen den Wandel – von der Art wie wir arbeiten über die Digitalisierung bis hin zur Umsetzung der Energiewende.

Die Berufsfelder im Überblick

Die Rangfolge der sieben Berufsfelder, denen die 28 Tätigkeitsbereiche zugeordnet sind, war lange gesetzt. Bis 2020 befanden sich Entwicklung, Beratung und Service stets auf den vordersten drei Plätzen mit dem höchsten Stellenanteil. Was nicht weiter überrascht; sie beinhalten unter anderem Tätigkeitsfelder wie Vertrieb, Gesundheit und Pflege oder IT, in denen Arbeitgeber viele offene Positionen zu besetzen haben.
Im letzten Jahr wurde diese Serie erstmals unterbrochen. Die Entwicklung und Beratung haben sich auf den ersten zwei Plätzen gehalten, auch wenn beide Anteile verloren. Das Berufsfeld Beratung befindet sich sogar auf dem Tiefststand und unterschreitet seinen langjährigen Durchschnittswert von 22,3 % deutlich. Das Berufsfeld Service musste im letzten Jahr der Verarbeitung von der dritten auf die vierte Stelle weichen. Den vierten Platz belegt nun die Infrastruktur. Sowohl die Verarbeitung als auch die Infrastruktur sind in der Gesamtstichprobe so stark vertreten wie nie seit Erhebungsbeginn.

Lagerlogistik wächst weiter

Das Berufsfeld übersteigt seinen letztjährigen Höchststand noch einmal. Im Wesentlichen ist hierfür die positive Entwicklung in der Lagerlogistik verantwortlich; sie befindet sich fast auf Vor-Corona-Niveau (2019: 50,3 %).
Der Anteil der Transportberufe ist seit dem Tiefststand von 2019 jährlich gestiegen, liegt aber noch unter seinem Durchschnittswert von 20,4 %. Fahrerinnen und Fahrer für den Gütertransport und den KEP-Bereich bleiben hier die am stärksten umworbenen Kräfte. Offerten für Luftverkehrsberufe finden sich in der Stichprobe seit jeher vergleichsweise selten. Die aktuell etwas höhere Nachfrage steht vermutlich im Zusammenhang mit der Wiederbelebung des Flugverkehrs nach fast zwei Jahren Stillstand. Die Arbeitgeber im Transportwesen suchen Personal überwiegend in Festanstellung: Nur jede zehnte Stelle schreibt ein Zeitarbeitsunternehmen aus.
In der Sicherheitsbranche war noch keine Frühjahrsbelebung spürbar. Im Gegenteil, ihr Stellenanteil befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit Erhebungsbeginn. Die Arbeitgeber blieben trotz der Ankündigung von Lockerungen der Infektionsschutz-Maßnahmen noch abwartend.

Etwas Optimismus im Gastgewerbe?

Viele Arbeitgeber im Gastgewerbe mussten im letzten Jahr Personal entlassen. Nun sind sie optimistischer und suchen vor allem Service- und Empfangspersonal. Auch Fachkräfte in der Kinderbetreuung können aus vielen Angeboten wählen, was angesichts des Engpasses bei Erzieherinnen und Erziehern auch so bleiben dürfte.
Anfang 2021 befand sich Deutschland im zweiten Lockdown. Der Rückgang bei Verkaufspersonal seinerzeit wurde nun zu einem Gutteil ausgeglichen. Der Tätigkeitsbereich Körperpflege und Reinigung ist erstmals seit 2011 unter die 10-Prozent-Marke gefallen. Jobangebote für Raumreinigungspersonal haben hier noch einmal etwas Anteile verloren. Vermutlich ist diese Entwicklung darauf zurückzuführen, dass viele Beschäftigte noch im Homeoffice arbeiteten. Im Gegensatz dazu können sich Jobsuchende mit Erfahrung in der Gebäude- bzw. Glasreinigung über mehr Stellenangebote freuen.
In den Gesundheits- und Pflegeberufen gleicht der Rückgang den überdurchschnittlichen Anstieg im letzten Jahr teilweise aus. Der Personalbedarf in diesem Tätigkeitsbereich bleibt aber hoch.

Büroberufe im gewohnten Rahmen

Das Stellenangebot in den Büroberufen ist etwas gestiegen und bewegt sich in seinem gewohnten Rahmen. Im Assistenzbereich sollen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem allgemeine Büroaufgaben übernehmen.
Im Tätigkeitsbereich Bürokommunikation haben die Anteile von fast allen Berufen zugelegt. Die einzige Ausnahme sind Offerten für Kaufleute für Bürokommunikation. Sie sind im Gesamtranking um zehn Plätze zurückgefallen und befinden sich nun auf Platz 35. Kandidatinnen und Kandidaten mit dieser Ausbildung werden dennoch am häufigsten gesucht, gefolgt von Chefsekretärinnen und -sekretären, deren Stellenanteil sich gegenüber 2021 etwas mehr als verdoppelt hat.
Offerten in der Sachbearbeitung bleiben dominant innerhalb des Berufsfeldes. Sie gehört zu den fünf Tätigkeitsfeldern, in denen Recruiter die meisten offenen Stellen ausschreiben. Für ihre Verwaltung benötigen Arbeitgeber vor allem administrative Allrounder, die verschiedenste Aufgaben übernehmen können. Stellenangebote für Steuerfachangestellte sind in der Stichprobe aktuell nicht mehr ganz so häufig zu finden wie bei der letzten Erhebung.

Bauberufe auf Höchststand

Wer hierzulande bauen oder sanieren möchte, braucht einen langen Atem: Kunden im Bauhauptgewerbe warten durchschnittlich 14 Wochen, im Ausbaugewerbe 11 Wochen auf Handwerker, so der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Nicht nur die knappen Baustoffe bereiten den Betrieben Schwierigkeiten, sondern auch die Personalsuche. Jobangebote im Hoch- und Tiefbau überschreiten erstmals die 30-Prozent-Marke. Gesucht werden verstärkt Straßen- und Betonbauer sowie Maurer. Jede fünfte Stelle am Bau richtet sich an Straßenbauer.
In der Stichprobe befinden sich dagegen weniger Gesuche im Ausbaugewerbe, ihr Anteil liegt so niedrig wie seit 2015 nicht. Insbesondere Gesuche nach Malern und Lackiererinnen sind zurückgegangen; sie bleiben dennoch nach Schreinern die gefragtesten Fachkräfte im Bauhandwerk.
Der anhaltend hohe Bedarf an Gärtnern ist verantwortlich dafür, dass die Land- und Forstwirtschaft ihren Anteil gehalten hat. Im Bereich Ernährung suchen Arbeitgeber derzeit vor allem Verkaufspersonal im Nahrungs- und Lebensmittelhandwerk sowie Köche.

Positive Stimmung in der Industrie

Das Berufsfeld hält sich das zweite Jahr in Folge auf dem dritten Platz, was den Anteil an der Gesamtstichprobe betrifft. Sein derzeitiger Höchststand spiegelt die hoffnungsvolle Stimmung der Wirtschaft zu Beginn des Jahres.
Die Metall- und Elektroberufe liegen in der diesjährigen Stichprobe gleichauf. Im Metallbereich haben Schweißerinnen und Schweißer Anteile wettgemacht, nachdem der Beruf im letzten Jahr auf seinen bislang tiefsten Stand gefallen war. Innerhalb der Metallberufe richtet sich jede fünfte Offerte an diese Spezialisten.
Fertigungsbetriebe außerhalb der Metallbranche benötigen insbesondere Monteurinnen von Fertigteilen, Kunststoff- und Gummiverarbeiter sowie Biologisch-/Chemisch-technische Assistenten. Produktionshelferinnen und -helfer haben im Gesamtranking Plätze wettgemacht und befinden sich mit ihrer Position auf Platz 4 so weit vorne wie nie.
Die Verarbeitung ist das Berufsfeld, in dem besonders viele der Stellen temporär vergeben werden: Fast sechs von zehn der gesuchten Arbeitskräfte sind später bei einem Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt.

Fünftes Jahr an der Spitze

Die IT-Berufe sind erstmals seit 2013 unter die 40-Prozent-Marke gefallen. Der Bedarf an IT-Fachkräften bleibt dennoch hoch: IT ist das Tätigkeitsfeld mit dem drittgrößten Stellenanteil an der Gesamtstichprobe.
Der starke Zuwachs im Bereich Anlagensteuerung und Automatisierung geht vor allem auf Stellenangebote für Maschinen- und Anlagenführerinnen und -führer zurück. Die gestiegene Nachfrage hat zu ihrer Platzierung unter den Top-Ten-Berufen geführt. Auch Offerten für CNC-Fachkräfte haben kräftig zugelegt.
2021 befanden sich Ingenieurstellen in der Stichprobe auf Tiefststand. Nun hat das Tätigkeitsfeld wieder etwas zugelegt, wovon vor allem Ingenieurinnen und Ingenieure der Fachrichtung Elektrotechnik profitieren.
Der Stellenanteil für Technik-Fachpersonal ist leicht gestiegen. Der „E-Boom“ spielt der Spezialisierung Elektro- und Messtechnik in die Hände: Ihr Anteil am Berufsfeld liegt über dem Stand von 2019. Nur Servicetechnikerinnen und -techniker können aus einem noch größeren Jobangebot wählen. Zahntechniker können sich ebenfalls über eine größere Auswahl freuen.

Sozialpädagogen gesucht wie nie

Der Stellenanteil der Beratung befindet sich auf seinem Tiefststand, bleibt aber das zweitstärkste Berufsfeld der Gesamtstichprobe. Kein Wunder, immerhin befinden sich drei Berufe aus der Beratung unter den Top Ten und vier weitere unter den ersten 25 Berufen.
Die Verkaufsberatung ist an die Spitze aller Tätigkeitsbereiche zurückgekehrt: Fast jedes zehnte Gesuch in der Gesamtstichprobe ist ein Vertriebsberuf. Marketing und Vertrieb arbeiten eng zusammen; dementsprechend hat sich auch der Bereich Information und Gestaltung positiv entwickelt. Insbesondere Marketingfachleute sind gesucht wie lange nicht. Im Berufsfeld Beratung hat sich ihr Anteil an Offerten verdoppelt.
Der Rückgang der Gesundheits-, Sozial und Rechtsberatung gleicht vor allem den überdurchschnittlichen Anstieg im letzten Jahr aus. Die Nachfrage nach Ärztinnen und Ärzten im Vorjahr war vermutlich ein Einmaleffekt. Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen sind aktuell gesucht wie nie. Bei diesem Beruf besteht eine ähnlich hohe Fachkräftelücke wie bei Altenpflegekräften, konstatiert das Institut für Wirtschaftsforschung.

Data Scientist: Umsetzer der Datenökonomie

Jeder kennt es: Das Shopping-Portal schlägt Produkte vor, die exakt den eigenen Geschmack treffen oder ein virtueller Assistent beantwortet auf Zuruf Fragen. Hinter den Kulissen dieser Anwendungen steckt die Arbeit von Data Scientists und ihren Kollegen. Sie entlocken riesigen Datenmengen Informationen als Grundlage für Entwicklungen und Vorhersagen oder wie bei den vorliegenden Beispielen zum Nutzerverhalten. Auf Basis der Analysen treffen Unternehmen wichtige Entscheidungen oder entwickeln Produkte und neue Geschäftsfelder. Bei Trends, wie etwa dem autonomen Fahren ist die Expertise der Datenexperten unentbehrlich. Ihre Aufgaben im Bereich Data Analytics sind so komplex wie die Fachkräfte gesucht. Ideale Kandidatinnen und Kandidaten haben, neben mathematisch-statistischen Fähigkeiten, technisches Know-how, ein kommunikatives Wesen und eine Leidenschaft für komplexe Fragestellungen. Die begehrten Fachkräfte sind in einer sehr guten Verhandlungsposition, wie die Analyse von 350 Stellenangeboten zeigt. Arbeitgeber lassen sich attraktive Rahmenbedingungen und Benefits einiges kosten.
Unternehmen mit einem fähigen Data-Analytics-Team haben die Nase vorn. Sie verstehen ihre Kunden besser, entwickeln innovativere Produkte oder kommen in der Forschung schneller voran. Immer mehr von ihnen entdecken die Vorteile datenbasierter Geschäftsmodelle, aber der Fachkräfteengpass könnte zum Bremser auf dem Weg in Richtung Datenökonomie werden. Für den DEKRA Arbeitsmarkt-Report wurden 350 Stellenangebote analysiert, um herauszufinden, welche Aufgaben Data Scientists an ihrem neuen Arbeitsplatz übernehmen sollen und welche Qualifikationen und Soft Skills sie hierfür benötigen.

Viele Spielwiesen

Data Analytics ist nicht neu. Relativ neu ist, dass immer mehr Unternehmen das Potenzial erkennen, das in internen, aber auch externen Datenquellen schlummert. Sie können es jedoch nicht ohne die Expertise von Datenexperten unterschiedlicher Spezialisierung erschließen. In der Stichprobe finden sich Arbeitgeber quer durch alle Wirtschaftszweige: Am häufigsten arbeiten die gesuchten Fachkräfte später in der IT-Industrie (17,7 %), an zweiter Stelle folgen betriebswirtschaftliche Dienstleister (10,9 %). Jede zehnte Position ist im Maschinen- und Fahrzeugbau zu vergeben, einem riesigen Betätigungsfeld für Data Scientists. Allein durch die Sensoren von Maschinen fallen riesige Mengen an Betriebs- und Prozessdaten an, mit denen Unternehmen beispielsweise Ausfallwahrscheinlichkeiten berechnen oder die Beschaffung optimieren können. Weitere Einsatzgebiete sind Banken und Versicherungen, Einzel- und Onlinehandel oder Transport und Logistik. Erwartungsgemäß handelt es sich um Vollzeitstellen, in 33 Fällen ist beim zukünftigen Arbeitgeber auch Teilzeit möglich.

Benötigte Kenntnisse im Analyseprozess

Bei der Datenanalyse verfolgt jedes Unternehmen eigene Fragestellungen und in unterschiedlicher Tiefe. In vielen Anzeigen findet sich zunächst die sehr allgemein gehaltene Angabe, dass Jobsuchende erfahren in der Datenanalyse sein sollen (79,1 %). Konkreter werden Arbeitgeber, wenn es um fortgeschrittene Analysemethoden geht. Am häufigsten setzen sie Kenntnisse im Bereich Machine Learning voraus (71,7 %), das in den Bereich der künstlichen Intelligenz gehört. Mit diesen Verfahren und Werkzeugen lernen Computer, selbstständig Muster zu erkennen und automatisiert Entscheidungen zu treffen. Noch einen Schritt weiter geht Deep Learning, mit dem sich nicht ganz jeder fünfte Data Scientist am zukünftigen Arbeitsplatz befassen soll (18,3 %). In diesem Teilgebiet des maschinellen Lernens werden Technologien wie automatische Bilderkennung oder Spracherkennung eingesetzt. Erfahrung mit Data Mining benötigen nicht ganz drei von zehn der Jobinteressierten (27,7 %).
Viele der genannten Aufgaben gehören zum Tagesgeschäft von Data Scientists, sie decken den gesamten Analyseprozess ab. Data Scientists entwickeln statistische Modelle, mit denen sie anhand bestimmter Fragestellungen den vorhandenen Daten die gewünschten Antworten entlocken. In fast jeder zweiten Offerte erwähnen Arbeitgeber, dass Jobsuchende erfahren in der Modellentwicklung sein müssen. Fast ebenso oft sind sie gefordert, an ihrem neuen Arbeitsplatz Methoden, Werkzeuge und Algorithmen zu entwickeln, um die vorhandenen Daten sinnvoll zu analysieren.
Bevor die Experten Daten in die Analyse- Tools exportieren können, müssen sie zunächst aufbereitet und umgewandelt werden. Entsprechend oft findet sich diese Aufgabe in den Stellenbeschreibungen (46,6 %). Mit der eigentlichen Datengewinnung sowie Entwicklung von Pipelines und Tools für die Datenströme befassen sich eher Data Engineers. Dennoch benötigt ein Teil der Data Scientists auch Erfahrung hiermit (18,0 bzw. 16,0 %); die Abgrenzung der zwei Spezialisierungen ist in der Praxis nicht immer eindeutig. Außerdem legen die gesuchten Expertinnen und Experten Hand an und programmieren beispielsweise Schnittstellen oder implementieren Anwendungen.
Data Scientists und Statistik sind untrennbar miteinander verbunden. Vermutlich weisen Recruiter trotzdem auf Statistik-Kenntnisse als Voraussetzung hin, da Datenexperten aus verschiedenen Fachrichtungen kommen können. Bei einer sehr technisch orientierten Ausbildung sind Statistik-Kenntnisse unter Umständen nicht so ausgeprägt wie diese Arbeitgeber es sich wünschen.
Technisch-analytische Fähigkeiten von Data Scientists sind das eine. Einen Teil ihrer Arbeitszeit verbringen sie mit denjenigen, die später die Analysen nutzen, z. B. Fachkräfte anderer Abteilungen oder die Geschäftsführung. Ihnen müssen sie komplexe Frage- und Problemstellungen sowie die Ergebnisse verständlich erklären und präsentieren können. In der Regel arbeiten sie dabei mit Visualisierungen (34,9 %) oder entwickeln Dashboards, über die sie die benötigten Informationen und Kennzahlen bereitstellen.
Data Scientists sind idealerweise mit den branchenspezifischen Herausforderungen ihres Arbeitgebers vertraut. Hin und wieder fordern Arbeitgeber bestimmte Branchenerfahrungen, z. B. im Versicherungs- und Finanzsektor (5,1 %). Die meisten äußern diesen Wunsch erst gar nicht, um die Bewerberauswahl nicht noch mehr einzuschränken.

Die Analytics-Werkzeugkiste

Data Scientists benötigen ein gutes technisches Wissen. Im Bereich Data Analytics sind Cloud-Lösungen nicht mehr wegzudenken. Der Umfang strukturierter und unstrukturierter Daten wächst täglich. Unternehmen stoßen schnell an die Grenzen ihrer Speicherkapazitäten und verlegen sie in die Cloud oder verfolgen ein hybrides Modell. Geeignete Bewerber müssen sich deshalb mit Cloud Computing und Datenbanken auskennen. Frameworks wie Apache Hadoop und Spark setzen sie für Big Data Analytics ein, um besonders große Daten zu verarbeiten, zu verdichten und auszuwerten. In der Softwareentwicklung sind agile Methoden wie Scrum oder Agile Modeling fast Standard. Gut jeder zehnte gesuchte Data Scientist sollte mit den Konzepten und Methoden der Softwareentwicklung vertraut sein. In diesem Zusammenhang ist vermutlich auch die Nennung von Tools zur Versionskontrolle zu sehen.

Ohne Python geht nichts

Ohne Python geht nichts, es ist die geläufigste Programmiersprache im Bereich Data Analytics. Das spiegelt sich auch in den Anforderungsprofilen, wo sie sehr oft erwähnt wird (84,0 %). Außerdem zählen Arbeitgeber immer wieder bestimmte Python-Bibliotheken,-Plattformen und -Frameworks auf, die sie einsetzen. Am häufigsten sollten die gesuchten Data Scientists mit dem Framework SensorFlow umgehen können, das im Bereich des maschinellen Lernens eingesetzt wird (14,3 %) sowie die Bibliotheken scikit-learn (14,0 %) und PyTorch (11,1 %).
In jeder zweiten Stellenanzeige finden sich außerdem die Programmiersprachen R und SQL. Die Programmiersprache R wurde speziell für statistische Berechnungen und Grafiken entwickelt. Die Datenbanksprache SQL benötigen die Experten, um Datenbankstrukturen zu definieren oder Datenbestände zu bearbeiten. Vergleichsweise oft werden unkonkret „Programmierkenntnisse“ (38,0 %) und Erfahrung mit Skriptsprachen (10,0 %) gewünscht. Arbeitgeber gehen wohl davon aus, dass Jobsuchende, denen eine bestimmte Programmiersprache nicht geläufig ist, in der Lage sind, sie sich schnell anzueignen.

Wendig unterwegs in verschiedenen Welten

Data Analytics ist eine Teamaufgabe, deshalb sind Data Scientists auf eine enge Zusammenarbeit mit anderen Spezialisten angewiesen, wie etwa Data Engineers. In jeder dritten Offerte erwähnen Recruiter, dass ihr Datenteam agil arbeitet (34,9 %). Eine flexible Vorgehensweise ist für Data Scientists wichtig, um immer wieder kreative Lösungsansätze auszuprobieren und zu finden.
Drei von zehn Anzeigentexten beschreiben die Arbeit außerdem als cross-funktional und interdisziplinär. Data Analytics ist kein Selbstzweck; für gute Ergebnisse ist eine enge Kooperation mit anderen Bereichen erforderlich. Nur so lassen sich zielführende Fragestellungen entwickeln und geeignete Daten identifizieren. Oft findet sich die Angabe, dass Data Scientists mit „anderen Bereichen“ zusammenarbeiten werden (28,3 %). Daneben kommen die IT-Abteilung (23,1 %), die Geschäftsführung (7,1 %) und das Produktmanagement (6,6 %) noch etwas häufiger vor. Jeder fünfte Data Scientist ist zudem an seiner neuen Stelle für externe Kunden oder Partner tätig und einige der Experten erwartet ein internationales Umfeld (16,0 %).

Hochschulabschluss optimal

Eine akademische Ausbildung ist die optimale Basis für den Beruf. Viele Arbeitgeber sind aber offen gegenüber alternativen Werdegängen, wenn Jobsuchende ausreichend Erfahrungen vorweisen können (29,1 %). Ähnlich verhält es sich bei den 18 Fällen, wo auch eine Berufsausbildung infrage kommt. Fachspezifische Ausbildungen sind in Deutschland noch vergleichsweise jung und finden sich erst an neunter Stelle der Nennungen. Der Berufseinstieg erfolgt über verschiedenste Fachrichtungen: Anforderungsprofile, die darauf eingehen, beinhalten durchschnittlich 3,7 Studiengänge, die möglich sind.
Informatik ist die meistgenannte Fachrichtung; Mathematik, Statistik oder Physik bilden aber ebenfalls eine gute Basis für den Beruf. Nur vereinzelt benötigen Unternehmen die Expertise aus nicht-technischen Fächern, wie Biologie oder Geografie.
Für die meisten Positionen ist einschlägige Berufserfahrung erforderlich. Viele Anzeigentexte bleiben eher vage, wie tief ideale Kandidaten schon in die Datenwelt eingetaucht sein sollten. In diesen Fällen setzen Arbeitgeber allgemein „Berufserfahrung“ voraus (20,9 %). Fast ebenso häufig wünschen sie, dass die Data Scientists den Beruf schon seit vielen Jahren ausüben (19,1 %). Datenexperten am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn haben bei gut jeder zehnten Position eine Chance; hier werden mindestens 12 Monate bzw. „erste“ Berufserfahrung gefordert (12,3 %). Eines wird klar: Arbeitgeber hätten gern Mitarbeitende, die mit Data Analytics vertraut sind. Vermutlich gibt es aber einen gewissen Spielraum, denn Erfahrungen sind individuell und Expertise lässt sich nicht immer in Berufsjahren messen.
Auch das Thema Sprachkenntnisse sprechen viele Arbeitgeber an: Am häufigsten ist es Englisch. In gut sechs von zehn Stellenangeboten werden sie vorausgesetzt – in den meisten Fällen sehr gut bzw. „Englisch in Wort und Schrift“ (58,3 %).

Verantwortungsbewusste Data Scientists gewünscht

Wenn Data Scientists Algorithmen falsch programmieren oder Daten fehlinterpretieren, kann es zu Fehlentscheidungen mit fatalen Folgen führen. Das betrifft nicht nur wirtschaftliche, sondern auch ethische Aspekte. In Analysen fließen häufig persönliche Daten ein oder es steht sogar die Gesundheit von Menschen auf dem Spiel, zum Beispiel im Bereich autonomer Fahrzeuge. Arbeitgeber legen deshalb Wert auf verantwortungsbewusste Datenexperten. Fachkräfte benötigen Motivation und Eigeninitiative, wenn sie immer wieder neue Lösungswege suchen oder wieder verwerfen, um aus Daten das Beste herauszuholen. Außerdem zeichnen sich gute Datenwissenschaftler durch Kreativität und Neugier aus (28,3 bzw. 11,1 %).
Drei der zehn häufigsten Soft Skills beziehen sich auf ihre Kernaufgaben. Data Scientists müssen komplexe Aufgaben bewältigen können. Für ihre Hypothesen-getriebene Vorgehensweise benötigen sie eine analytische Denke und müssen strukturiert sowie ziel- und ergebnisorientiert arbeiten. Außerdem erleichtern kommunikative und teamfähige Expertinnen und Experten die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Im Umgang mit dem Management oder mit Kunden helfen ein sicheres Auftreten und Durchsetzungsfähigkeit.

Angekommen in New Work?

Der Wettbewerb um Datenexperten ist groß, was sich an den attraktiven Rahmenbedingungen bemerkbar macht, die Unternehmen bieten. An erster Stelle der langen Liste verweisen sie auf die Möglichkeit einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung (56,0 %); oft können Fachkräfte auch im Homeoffice oder hybrid arbeiten (46,6 %). Data Scientists sind bestrebt, bei technischen Trends vorn dabei zu sein. Arbeitgeber adressieren dieses Bedürfnis und stellen Weiterbildungsangebote und Zertifizierungen in Aussicht (53,1 %). Dieses Angebot ist eventuell auch als Einladung an Jobsuchende gedacht, die unsicher sind, ob ihre Qualifikationen für die Stelle ausreichen. Zahlreiche weitere Benefits reichen von Gesundheits- und Fitnessangeboten (37,1 %) über Fahrrad-Leasing (14,0 %), soziale Services (11,7 %) bis hin zur Möglichkeit von Sabbaticals in 22 Fällen.
Angaben zu einem attraktiven Gehalt finden sich interessanterweise erst an zehnter Stelle (23,1 %). Vermutlich ist eine gute Bezahlung schon selbstverständlich und Arbeitgeber stellen eher Benefits in den Vordergrund, die für die tendenziell junge Zielgruppe attraktiv sind. Insgesamt scheinen Datenexperten dem Traum von New Work oft schon sehr nahezu sein.

Mit komplexen Themen per Du

Interview mit Karin Immenroth, Chief Data & Analytics Officer, RTL Deutschland
RTL Deutschland befindet sich auf dem Weg vom Medienhaus zu einem Content, Tech & Data Unternehmen. Der Bereich RTL Data spielt dabei eine zentrale Rolle; die hier beschäftigten Spezialistinnen und Spezialisten entwickeln die Datenlösungen, mit deren Hilfe dieses Ziel erreicht werden soll. Welche Rolle die Datenexperten spielen und was sie können müssen, erzählt Karin Immenroth.
Warum ist Data Analytics so wichtig für RTL?
Auf Basis von Daten und innovativen Technologien können wir unsere Produkte und die Vermarktung noch besser an die Kunden und Nutzerbedürfnisse anpassen. Wir entwickeln mithilfe von Analytics, Machine Learning und Artificial Intelligence datengetriebene Lösungen für das Tagesgeschäft. Im Nutzerbereich können das etwa Empfehlungssysteme oder automatische Suchhilfen sein, die auf Basis von Interessen mit Künstlicher Intelligenz passgenaue Inhalte vorschlagen. Intern sind es Instrumente, die unsere Kollegen effizient bei Entscheidungsfindungen unterstützen können sowie dabei helfen, innovative neue Produkte zu entwickeln. RTL arbeitet schon immer mit Daten, aber seit einiger Zeit investieren wir verstärkt in Data Science und Data Engineering – personell wie technologisch.

Wie viele Data-Experten beschäftigen Sie?
Intern rund 300; außerdem beschäftigen wir viele externe Datenexperten im Near- und Offshoring in Europa und Indien. In Deutschland ist es sehr schwer, gute Leute in der Menge zu finden, wie wir sie brauchen. Andere Länder investieren sehr viel in die Ausbildung von Tech- und Data-Spezialisten. Es ist nicht so, dass es dort total einfach wäre, die passenden Fachkräfte zu finden, aber einfacher als hierzulande. Der deutsche Markt hat erst relativ spät angefangen, in diesen Bereichen gezielt auszubilden und es gibt natürlich Branchen, z. B. Automotive, die momentan auch extrem in diese Talente investieren. Der Bewerbermarkt wird immer enger.

Welche Spezialisierung finden Sie am schwersten?
Data Engineering ist am schwersten zu finden, auch wenn Data Science oft mehr Aufmerksamkeit bekommt. Den Beruf Data Scientist halten viele für vermeintlich attraktiver, aber meines Erachtens sind Data Engineers an vielen Stellen fast noch wichtiger. Denn haben wir keine Engineers, kann der Scientist erst gar nicht anfangen zu arbeiten. In Teams muss natürlich immer eine gute Balance gefunden werden.
Bei der Rekrutierung von Data Scientists können wir auf eine etwas breitere Basis zugreifen; hier beschäftigen wir Mathematiker, Physiker oder Informatiker. Erstere sind dann im mathematisch-analytischen Bereich viel stärker aufgestellt und Informatiker in der Softwaretechnik. Es ist fast egal, aus welcher dieser Fachrichtungen sie kommen, das andere kann man dazulernen. Die einen bekommen dann mehr Trainings in Softwaretechnik und die anderen in Mathematik und Statistik. Data Scientists und Engineers mit einem Medienhintergrund sind quasi nicht zu finden, hier bilden wir auch aus, denn sie müssen verstehen, wie unser Geschäft funktioniert.

Worauf achten Sie bei der Auswahl besonders?
Wir achten natürlich auf fachliche Aspekte. Daneben sind uns persönliche Eigenschaften sehr wichtig, wie etwa Kommunikationsstärke, denn die brauchen Datenexperten, wenn sie mit den anderen Bereichen zusammenarbeiten. Um ein guter Data Scientist zu sein, ist auch intrinsische Motivation wichtig. Es geht ja darum, eigeninitiativ Ideen zu entwickeln, um unsere komplexen Geschäftsprozesse oder -probleme zu verbessern. Gewisse fundamentale Fachkenntnisse müssen vorhanden sein. Aber ein Data Scientist kann nicht in allen Bereichen Experte sein und das ist auch in Ordnung. Wenn Mindset, Persönlichkeit und Motivation passen, können wir an der einen oder anderen Stelle Abstriche bei fachlichen Punkten machen.

Warum sollte ich Data Scientist werden?
Hal Varian, Googles Chief Economist prophezeite schon 2012, es handle sich um den „sexiest“ Job der Dekade. Ich denke, das gilt auch für die nächste Dekade. Nein, im Ernst: Das spannende ist, dass Sie mit Daten eine unfassbar große Menge an Antworten vorliegen haben, und sie als Data Scientist die Aufgabe haben, sehr strukturiert herauszufinden, zu welchen Fragen diese Antworten gehören. Wenn Sie also Unbekanntes, Herausforderungen und Abwechslung mögen, dann werden Sie als Data Scientist sehr glücklich.

Ingenieure: Arbeiten im realen und virtuellen Umfeld

Der Ingenieur testet ein Auto im virtuellen Windkanal, während seine Kollegin nebenan mit Datenexperten unterschiedliche Szenarien im Straßenverkehr auswertet, auf die ein Fahrzeug später eigenständig reagieren soll. Das Ganze spielt sich ab, noch bevor es einen echten Prototyp des Autos gibt. Bis ein neues Modell im Prüfstand steht, findet vieles in der virtuellen Welt statt. Dadurch hat sich der Prozess von der ersten Idee bis zur Abnahme eines neuen Fahrzeugs stark verkürzt. Trends wie autonomes Fahren und die forcierte Entwicklung hin zu Elektromobilität verändern die Automobilbranche und mit ihr die Arbeitswelt der Ingenieurberufe. Neben technischen Aufgaben in der Entwicklung, übernehmen sie im Berufsalltag oft Koordinationsaufgaben an der Schnittstelle zu anderen Abteilungen oder Auftraggebern, wie die Analyse von Stellenangeboten für Ingenieurinnen und Ingenieure im Automotive-Bereich zeigt. Arbeitgeber wünschen sich hierfür erfahrene Fachkräfte, die nicht nur technisch stark sind, sondern auch teamfähig, kommunikativ und durchsetzungsfähig. Im Gegenzug locken sie mit vielen Extras.
Arbeitgeber befinden sich in einem Spagat: Sie müssen ihre Belegschaften fit für neue Aufgaben und Technologien machen; gleichzeitig wird es immer schwieriger, neue Fachkräfte mit dem benötigten Know-how zu finden. So meldete der Branchenverband VDI jüngst einen Rekordwert an offenen Stellen in Ingenieur- und Informatikberufen. Die größten Engpässe bestehen laut Institut der deutschen Wirtschaft in den Energie- und Elektroberufen, gefolgt von Maschinen- und Fahrzeugbau sowie in IT-Berufen. Zusätzlich bewegen sich die Recruiter der Automobilbranche verstärkt auch im IT-Bewerbermarkt, da sie für die Entwicklungsteams mehr IT-Expertinnen und-Experten brauchen als früher.
Für den DEKRA Arbeitsmarkt-Report wurden 350 Stellenangebote für Ingenieure in der Branche genauer untersucht. Ziel war es herauszufinden, welche Aufgaben sie bei ihrem zukünftigen Arbeitgeber übernehmen sollen und was diese von Bewerbenden erwarten. Die Stichprobe beschränkt sich nicht auf eine bestimmte Fachrichtung, sondern es wurde mit den Suchbegriffspaaren „Ingenieur Automobil“ oder „Ingenieur Fahrzeug“ gearbeitet. Die Stellenangebote adressieren in gut einem Drittel der Fälle Jobsuchende mit Spezialisierung auf Maschinen- und Fahrzeugbau und bei etwa zwei Dritteln auf Elektrotechnik (35,4 bzw. 64,6 %).

Tüftler und Organisationstalente

Ein neues Auto zu entwickeln, ist auch aus Prozess-Sicht komplex. Bis es fertig ist, greifen unterschiedlichste Disziplinen ineinander, die organisiert und koordiniert werden müssen. Die gesuchten Fachkräfte übernehmen an ihrem neuen Arbeitsplatz oft Aufgaben im Anforderungsmanagement und benötigen die erforderliche Erfahrung hierfür. An der Schnittstelle zwischen Auftraggeber und Entwicklung erheben sie beispielsweise die Anforderungen, prüfen diese oder stimmen sie im Entwicklungsteam ab. Sie sorgen dafür, dass die Entwicklung komplizierter Produkte, an denen stark arbeitsteilig gearbeitet wird, reibungslos und zügig läuft und ein Produkt am Ende die technischen Anforderungen und die Kundenerwartungen erfüllt. Die Aufgabe des Anforderungsmanagements findet sich in Stellenangeboten beider Fachrichtungen. Außerdem enthalten sie immer wieder die allgemeine Information, dass die gesuchten Ingenieurinnen und Ingenieure eine Schnittstellenfunktion zu anderen Abteilungen innehaben werden. Nicht ganz jede fünfte Fachkraft befasst sich an der ausgeschriebenen Stelle mit Betriebsorganisation und Kostenmanagement; Aufgaben, die verstärkt Mitarbeitende mit Spezialisierung auf Maschinen- und Fahrzeugbau übernehmen.
An jedem vierten Arbeitsplatz testen die gesuchten Ingenieure Fahrzeuge oder Komponenten. Da Kenntnisse häufiger in Offerten für Elektroingenieure vorkommen, dürfte es sich in der Regel um das Zusammenspiel elektronischer Komponenten im Fahrzeug sowie die Auswertung entsprechender Messdaten handeln. Immerhin sind in modernen Fahrzeugen sehr viele Sensoren verbaut, Tendenz stark steigend. Viele Tests, die in der Vergangenheit erst am realen Fahrzeug durchgeführt wurden, finden nun virtuell statt, was den Entwicklungsprozess erheblich beschleunigt. In gut jedem zehnten Stellenangebot erwarten Arbeitgeber, dass Bewerbende routiniert darin sind, Simulationen durchzuführen und auszuwerten. Auch die Testautomatisierung ist eine Aufgabe, die manche der gesuchten Fachkräfte beherrschen sollten (4,3 %).
In der Entwicklung befasst sich etwa jede sechste der gesuchten Fachkräfte mit elektrischen Antrieben. Sie sollten sich hierfür mit Steuerungs- und Regelungssystemen für elektrische Antriebe und Leistungselektronik auskennen; hier ist Know-how im Umgang mit Rapid Control Prototyping wichtig, einer Methode, mit der sie schnell entsprechende Systeme entwerfen, entwickeln und optimieren können. Außerdem wünschen Arbeitgeber immer wieder, dass diejenigen, die die Stelle innehaben, sich generell mit Regelungs- und Sensortechnik sowie Bussystemen auskennen (9,7 %). An immerhin 8,0 % der ausgeschriebenen Positionen befassen sich die Ingenieurinnen und Ingenieure mit Techniken für autonomes Fahren. Zum Vergleich: Nur in sieben Gesuchen fordern Arbeitgeber konkret Kenntnisse für die Entwicklung von Verbrennungsmotoren.
In der Automobilbranche gibt es sehr viele Standards, von Sicherheitsanforderungen über Regeln für Zulieferer bis hin zu Konstruktions- und Umweltstandards. Ein Teil der Arbeitgeber weist darauf hin, dass Jobsuchende die für ihren Bereich geltenden Vorgaben kennen müssen.

Fundierte IT-Kenntnisse nötig

Beschäftigte in Ingenieurberufen benötigen mit Blick auf zunehmend autonomere und vernetzte Systeme in Fahrzeugen gewisse IT-Kenntnisse und Erfahrung mit bestimmten Programmiersprachen. Auch wenn komplexe Programmieraufgaben Spezialisten übernehmen, müssen sie die Grundlagen beherrschen und das Zusammenspiel zwischen Soft- und Hardware verstehen. Softwaresysteme in Fahrzeugen müssen hochgradig sicher und verlässlich sein. Im Entwicklungsprozess gibt die Software- und Hardware-Architektur die Gestaltung der Systeme vor; sie beschreibt anfänglich noch eher abstrakt und dann immer feiner, wie das System gestaltet wird. Deshalb ist es wichtig, dass Kandidatinnen und Kandidaten Hardware- und Software-Architekturen auslegen können.
Ebenso oft sollten sie die Programmiersprachen C und C++ beherrschen, die u. a. für die Programmierung im Bereich Maschinensteuerung sowie webbasiert gesteuerter Geräte eingesetzt wird. Fachkräfte, die sich mit Embedded Software befassen, setzen sie ein.
Kandidatinnen und Kandidaten mit Erfahrung in Softwareentwicklung punkten bei der Bewerbung. Die Software Matlab/ Simulink gehört eher zum Handwerkszeug von Elektroingenieuren. Sie fertigen damit Simulationen komplexer mechanischer oder elektrischer Systeme an. Die Programmiersprache Python, die für etwa jede zehnte Position benötigt wird, kommt oft dort zum Einsatz, wo sehr große Datenmengen im Spiel sind, zum Beispiel bei der Auswertung von Sensordaten oder bei maschinellem Lernen.
Spezifisches IT-Wissen gehört zum Alltag in der Elektrotechnik: Werden die Stellenangebote der Fachbereiche separat betrachtet, kommen hier entsprechende Kenntnisse fast doppelt so häufig vor als bei der Disziplin Maschinen- und Fahrzeugbau (69,0 vs. 34,7 %).

Diverse Fachrichtungen möglich

Arbeitgeber setzen in der Regel ein abgeschlossenes Studium voraus. In nicht ganz jedem zehnten Fall kommt für die Aufgaben alternativ auch die Aufstiegsweiterbildung zum Techniker in Frage (9,1 %) und vereinzelt sind Jobsuchende mit Berufsausbildung und spezifischer Erfahrung eingeladen, sich zu bewerben (3,4 %). Was die gewünschten Studienfächer betrifft, zeigen sich Recruiter vergleichsweise flexibel; sie nennen durchschnittlich 2,4 Fachrichtungen, die für eine Position infrage kommen. Wer Elektrotechnik studiert hat, hat sehr gute Chancen am Arbeitsmarkt. In den Stellenanzeigen sind die Fächer Mechatronik, Informatik sowie Fahrzeugbau die meistgenannten Alternativen zu Elektrotechnik (in absteigender Reihenfolge). Die Studienrichtung Fahrzeugbau kommt hingegen am häufigsten kombiniert mit Elektrotechnik, Mechatronik und Maschinenbau vor. Dies zeigt: Es gibt viele Schnittmengen zwischen den Fachrichtungen Elektrotechnik sowie Fahrzeug- und Maschinenbau. Jobsuchende, die ein gewisses Querschnittswissen vorweisen können oder bereit sind, sich dieses anzueignen, sind bei der Jobsuche zukünftig im Vorteil.

Grundausstattung: Berufserfahrung und Englisch

Einschlägige Berufserfahrung ist bei vielen Positionen ein Muss. Gut jeder dritte Arbeitgeber setzt sie voraus (35,4 %). Bei etwa einem Viertel der offenen Positionen müssen Interessierte sogar schon lange in ihrem Beruf arbeiten (26,6 %). Außerdem legen Recruiter immer wieder ausdrücklich Wert auf Erfahrung in der Automobilbranche (21,7 %); es ist jedoch davon auszugehen, dass dies bei den meisten der ausgeschriebenen Stellen ein Kriterium ist. Wo hingegen Berufserfahrung „wünschenswert“ ist (8,9 %), haben vermutlich auch Bewerbende eine reelle Chance, deren Studienabschluss noch nicht allzu lange zurückliegt.
Internationale Projekte sind in der Automobilbranche an der Tagesordnung. Fast acht von zehn Unternehmen achten bei zukünftigen Mitarbeitenden darauf, dass sie sich mit internationalen Kunden oder Kollegen in Englisch verständigen können. Meistens müssen sie die Sprache ausdrücklich in Wort und Schrift beherrschen (58,3 %).

Teamfähig und strukturiert in komplexen Prozessen

Bei der Entwicklung von Fahrzeugen arbeiten unterschiedlichste Fachrichtungen zusammen, meist sind auch Externe involviert. Insofern überrascht es nicht, dass Arbeitgeber großen Wert auf Team- und Kommunikationsfähigkeit legen. Diejenigen, die Koordinationsaufgaben übernehmen, sollten zusätzlich durchsetzungsfähig sowie service und kundenorientiert sein. Sie müssen freundlich, aber bestimmt, die gewünschten Ziele verfolgen. Andere der erforderlichen persönlichen Eigenschaften beziehen sich auf die Kernaufgaben von Ingenieurinnen und Ingenieuren, wie etwa eine strukturierte und analytische Denkweise. Interessant ist, dass in einem Umfeld, das sich mitten in einer Transformation befindet, nur selten Eigenschaften wie Kreativität (6,0 %) oder Lernbereitschaft (3,7 %) gefordert werden.

Sonderausstattung bei Rahmenbedingungen

Kandidatinnen und Kandidaten mit den passenden Qualifikationen und Erfahrungen können einiges erwarten: Eine flexible Arbeitszeitgestaltung und die Möglichkeit, mobil zu arbeiten, finden sich ganz oben auf der Liste (59,7 bzw. 41,7 %). Auch Gesundheits- und Fitnessangebote gehören bei vielen Arbeitgebern schon zum Standard (29,1 %). In der Automobilbranche legen Unternehmen Wert auf eine familienfreundliche Arbeitskultur: An mehr als jedem fünften Arbeitsplatz kommen berufstätige Eltern in den Genuss von Kinderbetreuung.
Eher selten sprechen Arbeitgeber ein attraktives Gehalt an (12,3 %). Recruiterinnen im Automotive-Bereich stellen vor allem Zusatzleistungen in den Vordergrund, die auf eine gute Work-Life-Balance für Beschäftigte abzielen. Viele Arbeitgeber denken angesichts der Fachkräfteengpässe um. Das Angebot, mobil zu arbeiten, ist nur ein Beispiel. Bei 28 der Stellen haben Ingenieurinnen und Ingenieure sogar die Möglichkeit zu Sabbaticals (8,0 %) – eine Option, die bis vor wenigen Jahren fast undenkbar war und die es am ehesten in Start-ups gab.

Veränderungsbereitschaft ist ein Muss

Interview mit Dr. Uwe Horn, Geschäftsführer und Arbeitsdirektor, IAV GmbH
IAV ist einer der führenden Engineering-Dienstleister für die Automobilindustrie und Arbeitgeber von vielen Ingenieuren. Wie sich ihre Arbeitswelt verändert, welche Rolle dabei Qualifizierung spielt und wie der Dienstleister die begehrten Fachkräfte für sich gewinnt, erzählt Dr. Uwe Horn.
Wie viele Ingenieure beschäftigen Sie?
Wir beschäftigen insgesamt rund 7.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die allermeisten sind Ingenieure. Traditionell lag unser Schwerpunkt auf Verbrennungsmotoren und deren Optimierung. Das Ganze dreht sich jedoch mit den Geschäftsmodellen unserer Hauptkunden stärker in Richtung elektronischer Antriebssysteme und „Smart Cars“. Im Bereich Automotive konzentrieren wir uns heute auf E-Antriebe sowie Themen wie autonomes Fahren, Data Analytics, Künstliche Intelligenz und Software.
Wie unterstützen Sie die Beschäftigten bei den Veränderungen?
Wir legen mannigfaltige Qualifizierungsprogramme auf, um sie in den neuen Themenfeldern fit zu machen. Für diesen Zweck haben wir beispielsweise eine Lernplattform entwickelt, über die sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zukunftsthemen weiterqualifizieren können. Mit der Hochschule Mittweida haben wir den Studiengang „Vernetzte intelligente Systeme/Automotive Software Engineering“ gegründet, wo wir unsere Ingenieure aus- und weiterbilden. Momentan suchen wir weitere Partnerhochschulen, um akademische Programme aufzusetzen.
Mitarbeitende reagieren unterschiedlich auf die Anforderung, sich zu verändern. Viele verfolgen sehr genau, was am Markt passiert und nehmen Weiterbildungsangebote gern an. Es ist sogar schon ein ganzes Team auf uns zugekommen: Diesen Mitarbeitern ist bewusst geworden, dass es ihre Werkstatt nicht auf Dauer geben würde. Sie haben von sich aus gefragt, in welche Richtung sie sich entwickeln könnten. Auf diese Weise ist das Team komplett in unser neues Prüfzentrum in Heimsheim gewechselt.
Finden Sie in Deutschland genügend Fachkräfte?
Bislang gelingt uns das gut, aber wir tun auch sehr viel dafür. Im Recruiting setzten wir unter anderem auf unsere Mitarbeitenden als Multiplikatoren. Außerdem pflegen wir unsere Hochschulkontakte; manche Ingenieure übernehmen Lehraufträge oder Patenschaften. Es ergibt keinen Sinn, über die Fachkräftesituation in den technischen Berufen zu jammern. Als Arbeitgeber muss man sich überlegen, wie die Herausforderung gelöst werden kann. Und wenn ich draußen vor der Tür nicht genügend Nachwuchs finde, muss ich ihn selbst entwickeln.
Da verfolgen wir eine Hands-on-Strategie. Wir überlegen, eine eigene Akademie zu gründen, die jungen Menschen hilft, sofort Jobs zu finden – und uns, unseren Bedarf zu decken. Wir beschäftigen inzwischen viele Quereinsteiger. Für die IT stellen wir bewusst auch Leute ein, die sich formal für das Thema zunächst nicht anbieten. Aber wenn das Interesse vorhanden ist, können wir sie auch umschulen. Wir gehen breit ran, um viele Menschen für unsere Technikthemen zu begeistern.
Und dann stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch zeitgemäß ist, dass sich hochqualifizierte Menschen bei Unternehmen bewerben müssen. Wir schicken unsere Leute auf bestimmte Veranstaltungen gleich mit fertigen Arbeitsverträgen. Wir brauchen keine Anschreiben und keine großen Formalitäten.
Wie verändert sich das konkrete Arbeiten?
Autonomes Fahren ist ein sehr großes neues Beschäftigungsfeld. Das Thema Gesamtfahrzeug ein weiteres, das heißt, dass man ein Fahrzeug als Ganzes betrachtet. Das verändert das Arbeiten an sich: Kunden vergeben immer größere und komplexere Gewerke an uns. Ingenieure haben in der Vergangenheit meist sehr viele Projekte, aber mit relativ überschaubaren Umfängen, bearbeitet. Sie müssen jetzt lernen, mit weniger, aber viel komplexeren Aufträgen mit größeren Umfängen zurechtzukommen.
Dafür ist es erforderlich, noch enger mit anderen zusammenzuarbeiten und besser zu kommunizieren. Technisch und organisatorisch wird vieles virtueller; Beispiele sind Digital Twins oder virtuelle Tests. Da ist es oft egal, wo unsere Ingenieure ihr Laptop aufklappen. Bis zu 80 Prozent arbeiten im Homeoffice. Wir sind diesbezüglich sehr flexibel und es funktioniert sehr gut. Die physischen Arbeitsplätze haben wir nicht abgebaut, aber wir stellen manche Gebäude auf offene Raumkonzepte um.

Neues Arbeiten: Die Zukunft wird hybrid

Corona hat vieles möglich gemacht, was vor drei Jahren kaum denkbar war. Chefs, die überzeugt waren, nur im Büro werde effektiv gearbeitet, mussten sich eines Besseren belehren lassen – wenn sie denn wollten. Auch Beschäftigte haben das Arbeiten im Homeoffice kennen- und schätzen gelernt, aber auch seine Schattenseiten. Die meisten möchten nach der Pandemie weiterhin zumindest teilweise von zu Hause oder einem anderen Ort arbeiten. Die Uhr lässt sich nicht mehr ganz zurückdrehen, das dämmert vielen Arbeitgebern schon. Einfach weitermachen, wie in den letzten zwei Jahren, wird aber nicht funktionieren. Auf dem Weg in eine hybridere Arbeitswelt müssen Unternehmen noch an der einen oder anderen Stellschraube drehen. Was Arbeitgeber mit Blick auf die zukünftigen Arbeitsmodelle ihrer Beschäftigten planen und worauf sie unbedingt achten sollten – egal, für welches Modell sie sich entscheiden.
Vielerorts herrscht eine regelrechte Homeoffice- Euphorie. Gewohnte Arbeitsprozesse aus einer erzwungenen Situation heraus komplett und auf Zeit umzustellen, ist das eine. Mit Abklingen der Pandemie dauerhaft ein neues Arbeitsmodell zu implementieren, das andere. Arbeitgeber, Führungskräfte und Teams müssen nun gemeinsam Wege finden, die beiden Seiten gerecht werden. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und die Universität Konstanz beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Homeoffice aus Mitarbeitenden- und Unternehmenssicht.

Zum Glück gezwungen

Was in vielen Unternehmen vor der Pandemie nur vereinzelt möglich war, hat die Homeoffice-Pflicht innerhalb kürzester Zeit herbeigeführt. Wo es die Tätigkeit zuließ, wurde der Arbeitsplatz von Führungskräften und Mitarbeitenden ins eigene Heim verlegt. Beschäftigte schätzen besonders den Zeitgewinn durch den Wegfall des Pendelns, unterbrechungsfreies Arbeiten oder eine verbesserte Work-Life-Balance. „Tatsächlich sieht man, dass einige der Hürden und Vorbehalte abgebaut wurden“, erklärt Dr. Philipp Grunau der sich beim IAB unter anderem mit dem Phänomen Homeoffice vor, während und nach der Pandemie befasst. „Es ist schon jetzt absehbar, dass Präsenzarbeit nicht mehr auf das Vor-Corona-Niveau zurückgehen wird.“
Das beobachtet auch Prof. Dr. Florian Kunze, der mit seinem Team im Rahmen der Konstanzer Homeoffice-Studie regelmäßig Beschäftigte zu ihrer Sicht auf mobiles Arbeiten befragt. Er hat bei den Mitarbeitenden eine starke Präferenz festgestellt, mobiles Arbeiten fortzusetzen: Sie wünschen am häufigsten durchschnittlich 2,9 Tage außerhalb des Büros zu arbeiten.

Skeptische Führungskräfte

Führungskräfte sind dagegen skeptischer, was mobiles Arbeiten betrifft. „Bei einigen ist noch die Präsenzlogik feststellbar, sie möchten Mitarbeitende wieder verstärkt im Büro haben“, sagt Kunze. „Das birgt ein gewisses Spannungspotenzial“. Vorgesetzte planen nach dem Ende der Homeoffice-Pflicht weniger mobil zu arbeiten als Mitarbeitende. Schwerer wiegt jedoch ein anderes Befragungsergebnis: Gut ein Viertel der Führungskräfte befürchtet Produktivitätsverluste durch diese Arbeitsform. Diese Gefahr sehen Mitarbeitende wesentlich seltener (15 %). Noch nicht alle deutschen Führungskräfte sind vom Erfolg von Homeoffice überzeugt, das hat auch eine Befragung von LinkedIn ergeben. Demnach fürchten 38 % der Befragten, dass Beschäftigte im Homeoffice nicht arbeiten.
Die kritischere Sicht hängt zum Teil damit zusammen, dass Vorgesetzte nicht nur die individuelle Perspektive berücksichtigen. Sie haben auch die Prozessbrille auf, z. B. ob die Zusammenarbeit und Arbeitsprozesse funktionieren. „Ich vermute, die Belastung für Führungskräfte wird steigen. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, wie sie die Steuerung und Kommunikation gut hinbekommen“, sagt Kunze.

Wie Unternehmen planen

Nur eine Minderheit der Beschäftigten will zukünftig komplett mobil oder nur in Präsenz arbeiten. Die Mehrheit wünscht eine hybride Arbeitsform, also die Mischung aus Büro- und Homeoffice-Tagen. Ein Teil der Unternehmen ist bereit, diesem Wunsch entgegenzukommen: 21 % der vom IAB befragten Unternehmen planen, mehr Homeoffice als vor der Pandemie zu ermöglichen. Allerdings hängt die Bereitschaft stark von der Unternehmensgröße ab: Bei Betrieben mit mehr als 250 Beschäftigten sind es dreimal so viele (64 %). „Bestimmte Aspekte, auch wahrgenommene Vor- und Nachteile lassen sich nicht auf alle Betriebe und Personen übertragen“, erläutert Grunau. „Dementsprechend gibt es auch Betriebe und Mitarbeitende, die sagen, bei uns hat es nicht gut funktioniert. Dort kann es sein, dass sie auf das Vor-Corona-Niveau zurückkehren oder dann sogar weniger mobiles Arbeiten einsetzen“.
Auch die Konstanzer Homeoffice-Studie stellt fest, dass Unternehmen unterschiedlich auf den Wunsch nach mehr mobilem Arbeiten reagieren. „Manche warten ab und hoffen, dass die Lage sich wieder normalisiert und auf das frühere Niveau zurückdrehen lässt“, beobachtet Kunze. „Das ist aber schwierig. Der Arbeitsmarkt bleibt eng und Fachkräfte sind in vielen Bereichen in einer sehr guten Verhandlungsposition.“ Er hält es für eine bessere Strategie, sich schon jetzt darauf einzustellen und mit den Präferenzen der Mitarbeitenden auseinanderzusetzen. Das scheint vielen bewusst zu sein: In fast der Hälfte der Unternehmen gibt es schon eine Dienstvereinbarung zum mobilen Arbeiten und etwa ein Drittel hat seine Beschäftigten zu ihren Präferenzen befragt, wie die Konstanzer Wissenschaftler herausgefunden haben. Andere sind einen Schritt weiter gegangen und haben Büroflächen abgebaut (17 %), drei von zehn planen diese Maßnahme. Sie rechnen offensichtlich fest mit weniger Beschäftigten im Büro.

Risiken im Blick behalten

Neben den Vorteilen birgt mobiles Arbeiten auch Risiken. Auf Beschäftigtenebene ist es beispielsweise die Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben, vor allem wenn zu Hause keine räumliche Trennung der Bereiche möglich ist. Oder sich ein Teil der Arbeit in die Abendstunden verlagert, weil Angestellte tagsüber private Aufgaben dazwischenschieben und sich immer weniger Erholungsphasen gönnen. Beschäftigte müssten lernen, sich gut zu strukturieren und Arbeitgeber mit entsprechenden Trainings gegensteuern, findet Kunze – aber erst jeder fünfte Arbeitnehmer hat Schulungen zum mobilen Arbeiten erhalten.
Vor Corona erlebten und fürchteten viele Arbeitnehmer im Homeoffice einen Karriereknick. Kunze ist sich sicher, dass die Zeit von Homeoffice als Karrierekiller vorbei ist. „Wer hat denn vor der Pandemie häufig flexibel gearbeitet? Oft waren es Frauen in Teilzeit, die es ohnehin schwerer hatten, Karriere zu machen.“ Er verweist auf die nun völlig andere Situation, bei der mobiles Arbeiten ein relativer Standard wird, den viele Beschäftigte in Anspruch nehmen. Unternehmen sind in der Pflicht, darauf zu achten, dass mobiles Arbeiten nicht karriereschädlich ist und genauso wertgeschätzt wird wie Präsenzarbeit. Leistung muss möglich sein, egal, wo man arbeitet. „Es darf keine Diskriminierung nach Arbeitsort geben. Arbeitgeber müssen hybrides Arbeiten inklusiv gestalten. Das bedeutet, dass alle dieselben Möglichkeiten haben, auf Ressourcen zuzugreifen und regelmäßig Feedback zu bekommen.“
Für Unternehmen könnte ein Punkt kritisch sein: „Wo persönliche Zusammenarbeit und Interaktion sehr wichtig für das Ergebnis sind, ist es sehr viel schwieriger, dass komplett in mobiles Arbeiten zu überführen“, erklärt er. „Wenn es darum geht, im Team zusammenzuarbeiten, kreativ zu sein, soziale Beziehungen aufzubauen, die dann später für den Arbeitsprozess wichtig sind.“ Ein wichtiges Argument, warum Arbeitgeber nicht voll auf mobile, sondern auf hybride Arbeit umstellen und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen sollten. Dazu gehört, Beschäftigte systematisch zu motivieren, an bestimmten Tagen ins Büro zu kommen, wo die Identitäts- und Kulturbildung stattfinden kann.

Einfach weiter so greift zu kurz

Es ist nicht trivial, die Arbeitswelt aus der Pandemie kommend sinnvoll in die Zeit danach zu überführen, darin sind sich Kunze und Grunau einig. Und es ist nicht damit getan, das, was zwei Jahre praktiziert wurde, als „Light-Version“ fortzuführen. Unternehmen kennen Präsenzarbeit in- und auswendig und mit komplett mobiler Arbeit konnten sie in den letzten zwei Jahren auch Erfahrungen sammeln. „Aber nun die Mischung gut hinzubekommen und Mitarbeitende sinnhaft und motiviert zurückzuholen, ist eine neue Aufgabe“, erklärt Kunze. Er hält es für wenig sinnvoll, wenn Beschäftigte zwar im Büro sind, aber viele Meetings weiterhin digital stattfinden, wie es 70 % der Befragten berichteten. Zu einem sinnvollen Zurückkehren ins Büro gehöre es, dass genau dort die persönliche Interaktion und ein gemeinsames Zusammensein in Teams oder Abteilungen stattfinden. Dazu gehören auch geeignete Büroumgebungen, in denen die Begegnung möglich ist und Beschäftigte nicht in einem Einzelbüro die Arbeit erledigen, die sie genauso gut auch von zu Hause aus machen könnten.

Führung: lernen loszulassen

Hybride Teams erfordern eine neue Art der Führung und Unternehmen müssen ihre Führungskräfte dazu befähigen. Nun ist eine gelebte Vertrauenskultur nötig, findet Grunau. „Das bedeutet häufig mehr Autonomie für Mitarbeitende“, ist er überzeugt. Möglich sei dies beispielsweise über eine Führung mit Zielvereinbarungen. Beschäftigte erhalten mehr Autonomie, indem Führungskräfte Endprodukte bzw. Ziele oder wenn nötig Zwischenziele setzen, also das, was Mitarbeitende zu erledigen haben. Sie entscheiden selbst, wie sie ihre Zeit einteilen und gesetzte Ziele erreichen. Am Ende zählt, dass sie erreicht werden. „Ich muss dem Mitarbeiter natürlich vertrauen, dass er es schafft, dort hinzukommen. Das ist Teil der Führung und kann u. a. auch über Gespräche zwischendurch gewährleistet werden“, ergänzt Grunau. Er hält es für einen Trugschluss zu denken, dass eine Führungskraft den vollen Einblick in die Arbeit der Beschäftigten hat, wenn alle vor Ort sind. Vertrauen braucht aber auch persönliche Kontakte, was beispielsweise über einen Team-Tag, an dem alle im Büro sind, gelöst werden kann.
Sich auf das neue Setting einzustellen, sieht Kunze als eine große Herausforderung für Führungskräfte, die schon jetzt viele Aufgaben auf ihren Schultern haben. „Es gibt noch keine Blaupause für die Führung und Steuerung in einer hybriden Arbeitswelt“, erklärt Kunze. „Es ist eine ähnliche Situation wie zu Beginn der Pandemie. Man sollte jetzt Dinge ausprobieren, schauen, wie sie funktionieren, aber auch zeitnah evaluieren, etwa über Mitarbeiter- und Führungskräftebefragungen.“ In einer flexibleren Arbeitswelt ist Führung eine schwierige Aufgabe, weshalb Unternehmen ihre Führungskräfte besser unterstützen und in Personalentwicklung investieren müssen.

Auf Mitarbeitende hören

Einen Punkt findet Grunau besonders wichtig, wenn Arbeitgeber planen, mobiles Arbeiten auszuweiten: „Auf Mitarbeitende hören und ihre Wünsche berücksichtigen.“ Dabei geht es ihm ausdrücklich sowohl um diejenigen, die zukünftig mehr mobil arbeiten als auch diejenigen, die ausschließlich in Präsenz arbeiten möchten oder können. „Unsere Untersuchungen zeigen klar: Beschäftigte sind zufriedener, wenn sie im Homeoffice arbeiten dürfen. Aber sie sind auch nur so zufrieden wie diejenigen, die im Büro arbeiten, weil sie das so wollen. Kurz: Arbeitgeber sollten den Arbeitsort ermöglichen, den Mitarbeitende wünschen.“ Mit klaren Absprachen und Regeln auf Teamebene, d. h. zwischen denen, die mobil und denjenigen, die im Büro arbeiten, lassen sich mögliche Konflikte und Reibungsverluste vermeiden.
Ein weiterer erfolgskritischer Faktor ist eine funktionierende und sichere technische Ausstattung. Nur so können Beschäftigte, die mobil arbeiten, dieselbe Leistung bringen wie vor Ort im Büro. Hier gibt es Optimierungsbedarf, wie beide Studien zeigen. Auch wenn viele Befragte der Konstanzer Studie die technischen Voraussetzungen grundsätzlich gut bewerten, stellt Kunze fest, „Es gibt nach wie vor einen gewissen Anteil, der sagt, sie arbeiten zu Hause noch mit einem privaten Gerät. Das ist schon aus Gründen des Datenschutzes keine gute Lösung.“
Zusammenfassend sehen beide Wissenschaftler hybrides Arbeiten, dort wo es möglich ist, als einen Gewinn für Unternehmen. Sie profitieren nicht nur von zufriedenen und engagierten Mitarbeitenden, wenn diese wählen können, wo sie arbeiten. Auch am Bewerbermarkt verschaffen sie sich einen Vorteil. „Wir sehen schon jetzt, dass Recruiter in Stellenanzeigen viel häufiger als vor der Pandemie erwähnen, dass Arbeiten im Homeoffice möglich ist“, fasst Grunau zusammen. „Aber wir sehen auch, Beschäftigte wünschen mehr, als Betriebe aktuell planen.“ Und das übe angesichts von Fachkräfteengpässen einen gewissen Druck auf Betriebe aus, hier nachzuziehen.