Ortsunabhängige Beratung und Zeitersparnis

Welche Möglichkeiten bietet die Telemedizin in der Arbeitswelt? Was wird sich ändern? Das fragen sich derzeit viele Beschäftigte und Experten. Dass die Telemedizin eine sinnvolle Ergänzung des bestehenden Angebots sein kann, verdeutlicht Sybille Schomburg, Fachärztin für Arbeitsmedizin, Reisemedizin, MBA sowie Fachgebietsverantwortliche für die Arbeitsmedizin bei DEKRA für Deutschland.

Was versteht man allgemein unter Telemedizin?
Sybille Schomburg: Telemedizin an sich ist eine Methode (und keine eigene Fachrichtung), die in den verschiedenen medizinischen Fachdisziplinen auf unterschiedliche Art und Weise zur Anwendung kommt. Sie ist somit eine mögliche und sinnvolle digitale Ergänzung in der an den aktuellen Bedarfen ausgerichteten Leistungserbringung. Laut der Bundesärztekammer hat Telemedizin aktuell keine einheitliche beziehungsweise allgemeingültige Definition, sondern ist ein Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung in den Bereichen Diagnostik, Therapie, Rehabilitation sowie ärztlicher Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden. Dies erfolgt unter Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien.
Welche Entwicklungen machen die Telemedizin zu einer Option für die Arbeitsmedizin?
Sybille Schomburg: Durch die vermehrte Anwendung von Telemedizin im Bereich der Primärversorgung (zum Beispiel pandemiebedingt) sowie auch die öffentlichen Diskussionen in den Medien und der Politik, ist die Bevölkerung über digitale Möglichkeiten der Medizin bereits zunehmend und umfangreicher informiert. Viele Patientinnen und Patienten nutzen daher aktuell bereits aktiv digitale Angebote anderer Fachdisziplinen. Vorbehalte und mögliche Berührungsängste können so gezielt frühzeitig adressiert, geprüft und bestenfalls direkt im Vorfeld ausgeräumt werden. Das Vorhandensein bereits zertifizierter Kunden selbst proaktiv an die Arbeitsmedizin herangetragen, hier die gleichen mehrwertgenerierenden digitalen Services wie im kurativen Sektor vorfinden und nutzen zu wollen.
Telemedizin ist sicher und kosteneffizient
Zusätzlich wurde sowohl durch die Weiterentwicklung der Technik als auch durch europäische und nationale Gesetzgebung, Verordnungen und andere rechtliche Grundlagen ein Rahmen geschaffen, in dem unter anderem durch erforderliche Sicherheits- und Verschlüsselungsniveaus sowie Datenschutzanforderungen und Qualitätssicherungen Telemedizin sicher und kosteneffizient anwendbar ist. Zudem spielen weitere Faktoren wie Personalmangel, Nachwuchsgewinnung und höhere Flexibilitätsanforderungen eine wichtige Rolle.
Wie kann die Telemedizin die arbeitsmedizinische Versorgung – sprich die Prävention – besonders unterstützen und verbessern?
Sybille Schomburg: Grundsätzlich ermöglicht Telemedizin im bestimmten Rahmen eine ortsunabhängige und niederschwellige Beratung und Betreuung und somit Zugang zur Arbeitsmedizin auch in unterversorgten, schwer erreichbaren oder großflächigen Gebieten und Bundesländern.

Lange Anfahrtszeiten beziehungsweise Abwesenheiten im Betrieb werden so effektiv reduziert, fachlichen Ressourcenengpässen sowie neuen und familienfreundlicheren Arbeitsmodellen wird Rechnung getragen.

Ergänzung für Klein- und Kleinstbetriebe denkbar
Denkbar ist hier auch eine sinnvolle Ergänzung des Unternehmermodells der Unfallversicherer für Klein und Kleinstbetriebe durch telemedizinische Beratungsangebote.
Aber auch bei mittleren und großen Unternehmen sind hier diverse Vorteile und Synergieeffekte in der Betreuung hervorzuheben. Diese beziehen sich sowohl auf den Bereich der Grundbetreuung als auch auf den Bereich der betriebsspezifischen Betreuung. Online-Beratungen des Arbeitgebers allgemein, zum Beispiel nach ASiG und ArbSchG, zur ArbMedVV oder zum Mutterschutzgesetz, aber auch anlassbezogen sind ein zielführender Anwendungsbereich.
Von einer Videosprechstunde für Mitarbeitende können alle Beschäftigten im Rahmen des Gesundheitsschutzes profitieren, aber auch jene mit speziellen Arbeitsplatzprofilen wie Offshore-Arbeit, beruflich ins Ausland Reisende und mobil oder im Homeoffice Tätige. Auch bei besonderen Fragestellungen oder Beratungsbedarfen wie Schwangerschaft oder Wiedereingliederung bieten digitale Angebote einen Mehrwert.
Telezusammenarbeit zwischen den im Arbeits- und Gesundheitsschutz tätigen Parteien beispielsweise für Online-Gefährdungsbeurteilungen, virtuelle Betriebsbegehungen, digitale ASA-Sitzungen und Online-Besprechungen sind weitere zielführende Aspekte.
Welche Herausforderungen sehen Sie? Wo kommt die Telemedizin an ihre Grenzen?
Sybille Schomburg: Nicht alle Aufgaben der Arbeitsmedizin können oder sollten rein digital angeboten oder durchgeführt werden. In der Praxis muss das technisch Machbare mit dem medizinisch und rechtlich Indizierten und Sinnvollen harmonieren.
Für viele Aspekte von arbeitsmedizinischen Aufgaben und Dienstleistungen bleibt der direkte Kontakt vor Ort weiterhin unerlässlich. Dies betrifft allerdings alle Fachdisziplinen und nicht nur die Arbeitsmedizin. Auch setzen der Stand der Digitalisierung allgemein beziehungsweise der Zugang der Mitarbeitenden in den Betrieben oder auch privat zu digitalen Arbeitsmitteln oder Probleme im Umgang damit dem Ganzen Grenzen. Barrierefreiheit sollte ebenfalls immer mitgedacht werden. Zudem bleiben bei allgemein voranschreitender genereller Akzeptanz der Telemedizin auch weiterhin Bedenkenträger, die diese Art Angebot aus unterschiedlichen Gründen für sich nicht nutzen möchten. Die Rolle der aktuellen Regulatorik sowie deren Wandel und Weiterentwicklung sind weitere nicht zu vernachlässigende Faktoren.
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