Aufzüge: Technische Leistungsschau
Author: Michael Vogel
Sie haben die Wohnhierarchie auf den Kopf gestellt. Bevor es Aufzüge gab, stieg man sozial ab, wenn man die Treppen zu seiner Wohnung hinaufging. In einem mehrgeschossigen Haus wohnten in der Regel unten die Wohlhabenden, oben die armen Schlucker oder das Dienstpersonal. Erst der Aufzug machte Penthouse-Wohnungen im Dachgeschoss attraktiv.
Inzwischen ist eine Welt ohne Aufzüge nicht mehr vorstellbar. Sie befördern Personen und Lasten – und sind auch ein Beweis technologischer Leistungsfähigkeit geworden. Extreme Höhen überwinden zum Beispiel die Aufzüge im Wolkenkratzer Burj Khalifa in Dubai, 504 Meter sind es bei den Hauptaufzügen. Im Shanghai Tower, ein markanter Wolkenkratzer in der Küstenstadt Shanghai, gibt es einen Notaufzug, der sogar 578,5 Meter überbrückt. Auch bei der Geschwindigkeit sind die Hersteller und Betreiber auf Rekordjagd. Die schnellsten Aufzüge sausen derzeit durch den Shanghai Tower sowie durch das ebenfalls in China, in Guangzhou, stehende Chow Tai Fook Centre. Beide Anlagen erreichen mehr als 70 Kilometer pro Stunde. Bei dem Tempo muss in der Kabine ein Druckausgleich erfolgen, sonst fühlen sich die Passagiere unwohl.
Mit 70 Kilometer pro Stunde durch den Schacht
Während Aufzüge meist im Innern von Gebäuden verborgen bleiben, bieten Personenaufzüge im Freien ganz andere Perspektiven. In Europa kann man das als Extrem in der Schweiz erleben. Der Hammetschwand Lift im Kanton Luzern hat eine Höhe von 153 Metern. Oben angekommen bietet er einen herrlichen Blick über den Vierwaldstätter See. Der Lift ist schon seit 1905 in Betrieb. Der Weltrekordhalter unter den Outdoor-Personenaufzügen steht aber ebenfalls in China, genauer im Gebiet Wulingyuan, das zum Unesco-Weltnaturerbe gehört. Dort erklimmt der „Bailong“ genannte Glasaufzug eine 326 Meter hohe Klippe.
Bei diesen Höhen und Geschwindigkeiten müssen Aufzüge natürlich zuverlässig funktionieren. Unfälle mögen im 19. Jahrhundert als hinnehmbar gegolten haben, inzwischen schon lange nicht mehr. Das gilt nicht nur für die Aufzug-Extreme dieser Welt, sondern für all die zahllosen Anlagen, die in Mehrfamilienhäusern, Einkaufszentren, Bürogebäuden und Industrieanlagen ihren Dienst tun. Aufzüge müssen vor Inbetriebnahme geprüft werden sowie regelmäßig im laufenden Betrieb. Hierfür bedarf es Sachverständiger wie Maschinenbau-Ingenieur Dirk Blettermann, der bei DEKRA den Fachbereich Aufzugs- und Fördertechnik leitet. Das umfangreiche DEKRA Angebot steht hier.
„Die Inverkehrbringung, also die erste Prüfung nach der Baufertigstellung, erfolgt in den EU-Mitgliedsländern gemäß europäischem Recht durch eine sogenannte benannte Stelle – das kann DEKRA sein oder auch der Aufzugshersteller selbst“, sagt Blettermann. In Deutschland greift danach die Betriebssicherheitsverordnung. „Auf ihrer Grundlage begutachten die Sachverständigen zusätzliche nationale Regelungen und die Umgebungsbedingungen“, erklärt der Ingenieur. Dazu gehören zum Beispiel Notfallplan, Notbefreiungsanleitung oder die Zugänge zum Gebäude. „Erst nach dieser Prüfung kann ein Aufzug erstmalig in Betrieb gehen.“
Der Fahrkomfort lässt sich per App überwachen
DEKRA ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern aktiv. Neben der Prüfung bietet das Unternehmen zudem präzise, berührungsfreie Messverfahren an, mit denen sich der Fahrkomfort von Aufzügen überwachen lässt – per App. In der EU kommt Österreich dem deutschen Modell der Betriebssicherheitsverordnung am nächsten. „Das Intervall zwischen den beiden Hauptprüfungen ist dort aber zwölf Monate, in Deutschland sind es 24 Monate, unterbrochen von einer Zwischenprüfung“, nennt Blettermann einen Unterschied. Anders als in Deutschland umfassen die wiederkehrenden Prüfungen in Österreich auch weder Gewichtsprüfung noch Elektromessung. „EU-Mitgliedsländer wie Frankreich, Schweden oder Dänemark wiederum lassen wiederkehrende Prüfungen an Personen- und Lastenaufzügen primär durch Wartungsfirmen durchführen, nur in sehr viel kleinerem Umfang durch unabhängige Dritte“, ergänzt er.
In Deutschland, schätzt Blettermann, seien 80 Prozent aller zu prüfenden Aufzugsanlagen Personen- und Lastenaufzüge. Daneben gibt es „Maschinen, die Personen über drei Meter Höhe heben“, sagt er. „Diese zählen ebenfalls zu den überwachungsbedürftigen Aufzugsanlagen nach Betriebssicherheitsverordnung. Beispiele sind Fassadenaufzüge für Fensterreiniger, Befahranlagen in Windrädern und Baustellenaufzüge.“
Paternoster haben einen besonderen Charme
Und schließlich gibt es da noch die dritte und kleinste Gruppe unter den Aufzugsanlagen, die Paternoster. Blettermann schätzt ihre Zahl auf vielleicht noch hundert in Deutschland. Bei ihnen laufen permanent mehrere türlose Kabinen durch zwei parallel liegende Aufzugsschächte um. Es sind Relikte aus vergangenen Zeiten, die heute aus Sicherheitsgründen gar nicht mehr gebaut werden dürfen. Existierende Anlagen dagegen genießen Bestandsschutz. Vermutlich verkehrt der berühmteste Paternoster Deutschlands in Berlin im Hochhaus der Verlagsgruppe Axel Springer, denn dort fahren regelmäßig Promis mit, die Redaktionen des Verlags besuchen. David Hasselhoff stimmte im Paternoster angeblich schon „I’ve been looking for freedom“ an.
Kürzlich hat Dirk Blettermann den Paternoster im Chemnitzer Rathaus wieder in Betrieb genommen. „Hierfür musste ein Ingenieurbüro mit dem beauftragten Wartungsnehmer natürlich zunächst die Technik an den aktuellen Stand anpassen“, sagt er. Bremse, Antrieb und Steuerung galt es zu erneuern. Eine Lichtschranke überwacht nun, ob jemand Gefahr läuft, von einer der Kabinen eingeklemmt zu werden. Der Chemnitzer Paternoster ist ein Beispiel für eine Aufzugsanlage, die ganz nach dem Geschmack Blettermanns ist: Jene zwei Prozent, die „vom Standard abweichen“, wie er es formuliert. Es war trotz seiner langen Sachverständigentätigkeit seine erste Paternosterprüfung in diesem Umfang. „Ich habe mir dann als Termin meinen Geburtstag gewünscht, der Betreiber war einverstanden.“
Mancher Aufzug bleibt nicht zuletzt durch sein ungewöhnliches Ambiente in Erinnerung. So kann man im Berliner Stadtquartier DomAquarée in einer durchsichtigen Kabine durch ein Aquarium mit Fischen und Korallen fahren. Das Aquarium hat einen Durchmesser von gut elf Metern und ist 16 Meter hoch. Nicht senkrecht, sondern schräg geht es dagegen vom Fuß des Eiffelturms in die zweite Etage. Der Vorteil dieser Schrägaufzüge ist, dass sie sich den wechselnden Neigungswinkeln der Turmpfeiler anpassen können. Einen Nervenkitzel ganz anderer Art entsteht wiederum bei hohen Aufzügen mit Glasböden. Ein Beispiel fährt im Sky Tower im neuseeländische Auckland: Der Blick fällt ungehindert nach unten in den Aufzugsschacht. Und sogar ganz ohne Boden scheint eine Kabine im Londoner Einkaufszentrum Southside zu verkehren. Wenn das Adrenalin wieder sinkt, erkennt man jedoch, dass es sich um eine optische Täuschung handelt – ein 3D-Bodengemälde des Aufzugsschachts, erschaffen von dem Künstler Andrew Walker. Eine spezielle Betriebsprüfung war dafür nicht nötig.