Automobilindustrie hat die gesamte Wertschöpfung im Blick
Author: Matthias Gaul
Neben dem eigentlichen Fertigungsprozess rücken bei den Nachhaltigkeitsbemühungen der Hersteller und Zulieferer mehr und mehr auch die Lieferketten in den Fokus.
Die Zahl liest sich immer wieder beeindruckend: Ein herkömmliches Fahrzeug besteht, wie Kevin Quinn, Direktor Additive Design & Manufacturing bei General Motors, einmal konstatiert hat, aus durchschnittlich rund 30.000 Teilen von Lieferanten aus der ganzen Welt. Zum Einsatz kommen hierfür Rohstoffe wie zum Beispiel Aluminium, Stahl, Eisenerz, Gummi, Glas und verschiedenste Kunststoffe. Angesichts der mit der Produktion dieser Rohstoffe verbundenen Schadstoffemissionen und der immer strengeren Umweltanforderungen forcieren die Hersteller massiv die Anstrengungen, um ihren CO2-Fußabdruck zu verringern.
So hat zum Beispiel Polestar, ein Joint Venture der Automobilhersteller Volvo und der chinesischen Volvo-Mutter Geely, im März 2022 im Rahmen des Projekts „Polestar 0“ Kooperationen mit globalen Blue-Chip-Lieferanten angekündigt, um die Entwicklung eines klimaneutralen Autos zu beschleunigen. Hierzu möchte zum Beispiel der schwedische Zulieferer SSAB in der Form beitragen, dass er fossilfreien Stahl herstellt und damit konventioneller Stahl in Fahrzeugkomponenten ersetzt werden kann.
Das norwegische Unternehmen Hydro fokussiert sich auf die Entwicklung von kohlenstofffreiem Aluminium, während der deutsche Systemlieferant ZF gemeinsam mit Polestar herausfinden will, wie seine Innovationen etwa im Bereich der Elektroantriebe Kohlenstoffemissionen eliminieren und Ressourcen sparen können. Der schwedisch-amerikanische Automobilzulieferer Autoliv wiederum legt den Schwerpunkt auf emissionsfreie Sicherheitsausstattungen wie Airbags und Sicherheitsgurte. Der in Österreich ansässige Spezialist für Fahrzeuglichtsysteme und Autoelektronik ZKW arbeitet unterdessen mit Polestar bei klimaneutralen elektrischen Steuerungssystemen und Verkabelungen zusammen.
Lieferketten weltweit nachverfolgen
Angesichts der von den Herstellern verfolgten E-Mobilitäts-Strategie rücken vor allem auch Batteriematerialien wie Kobalt, Lithium, Nickel und Graphit mehr und mehr in den Fokus. Um in diesem Bereich strengere Standards in Bezug auf die umwelt- und sozialverträgliche Rohstoffgewinnung zu etablieren, ist erst im März 2022 auch der Volkswagen-Konzern der „Initiative for Responsible Mining Assurance (IRMA)“ beigetreten. IRMA ist eine Allianz von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, betroffenen lokalen Gemeinschaften, Investoren, Minenbetreibern und Rohstoffkunden. Weitere IRMA-Mitglieder aus der Automobilbranche sind BMW, Daimler, Ford, General Motors und der Zulieferer Schaeffler.
Hierzu passt auch die im Oktober 2021 erfolgte Gründung des Vereins Responsible Supply Chain Initiative (RSCI) durch den Verband der Automobilindustrie gemeinsam mit 14 Herstellern, Zulieferern und anderen Verbänden – darunter Audi, BMW, Bosch, Daimler, MAN, Porsche, Schaeffler und der Volkswagen-Konzern sowie der europäische Zuliefererverband CLEPA und das Network for Corporate Responsibility. Im Fokus der Arbeit steht die Überprüfung und Weiterentwicklung der Nachhaltigkeit von Unternehmen in ihren Lieferketten mittels Vor-Ort-Assessments und entsprechender Nachverfolgung. Ziel ist eine hohe Transparenz insbesondere über die Einhaltung von Standards in Sachen Arbeits- und Umweltschutz. Der Aufgabe, für mehr Transparenz in der Lieferkette zu sorgen, hat sich auch das von Dutzenden von Herstellern und Zulieferern 2021 gegründete Netzwerk namens Catena X verschrieben. Im Aufbau befindlich ist dabei unter anderem eine Daten-Plattform, mit der die Herkunft von Bauteilen nachverfolgt werden kann, um mögliche Regelverstöße herauszufiltern.
Ganzheitlicher Beratungsansatz von DEKRA
Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass es rund um das Thema Nachhaltigkeit in der Automobilindustrie längst nicht mehr nur um das einzelne Produkt geht, sondern vielmehr die gesamte Wertschöpfungskette zu betrachten ist. „Entscheidend ist, dass die Unternehmen sich darüber im Klaren werden, welche Ziele sie erreichen wollen und wie sie diese systematisch angehen können“, sagt Sebastian Bartels, Leiter der bei DEKRA neu eingerichteten Corporate Focus Area Sustainability Services. Ansonsten könnten daraus undurchdachte Maßnahmen resultieren, die nur viel Geld kosten, aber am Ende nicht viel bringen.
„Es muss konsequent und ganzheitlich von Anfang bis Ende gedacht werden – von der Entwicklung bis zu den Rohstoffen, von der Logistik bis zur Produktion, von der Nutzungsphase bis zum Lebensende eines Produkts“, ergänzt Christina Bocher, Business Line Manager Sustainability in der DEKRA Service Division Consulting. Die Nachhaltigkeitsbemühungen entlang der Lieferkette müssten zusammenpassen und ihr Beitrag messbar sein.
Die Expertenorganisation steht den Unternehmen dabei weltweit in jeder einzelnen Phase mit einem umfangreichen Portfolio beratend zur Seite – in Sachen Kreislaufwirtschaft ebenso wie in Bezug auf die Umwelt- und Sozialstandards sowie die Energieeffizienz oder auch den Nachweis der CO2-Bilanz mitsamt Ableitung von Optimierungsmaßnahmen.