Cannabis im Straßenverkehr – ein Risiko

Author: Michael Vogel

12. Juni 2024 Sicherheit im Verkehr / EU regulations

Cannabiskonsum und Autofahren vertragen sich nicht. Diese Erkenntnis ist unbestritten. Doch wie viel psychoaktive Substanzen im Blut zu viel sind, darüber entbrennt immer wieder eine Debatte.

Seit dem 1. April 2024 ist in Deutschland der Besitz und Konsum von Cannabis in geringen Mengen erlaubt. Allerdings gilt dies nicht für den Straßenverkehr, wie Manfred Wirsch, Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrats, in einer Stellungnahme betont: Zwar sei der Konsum erlaubt, „das Führen eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung von Cannabis dagegen nicht. Und bereits ab einer Konzentration von einem Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum hat eine Fahrt unter Cannabis-Einfluss harte Konsequenzen.“
THC (Tetrahydrocannabinol) ist eine psychoaktive Substanz, die sich im Blut noch lange nach dem Cannabiskonsum nachweisen lässt, mindestens Stunden, wenn nicht sogar Tage danach. Letzteres aber nur bei sehr häufigem oder chronischem Konsum. Ist der gemessene THC-Wert höher als besagter 1-Nanogramm-Grenzwert, liegt eine Ordnungswidrigkeit vor – verbunden mit mindestens 500 Euro Bußgeld, zwei Punkten in Flensburg und einem Monat Fahrverbot. Gleichzeitig konnte bis Ende März 2024 auch eine Überprüfung der Fahreignung angeordnet werden. Sofern ein von Cannabis berauschter Mensch während der Fahrt Ausfallerscheinungen zeigt, etwa in Schlangenlinien fährt, begeht er eine Trunkenheitsfahrt im Verkehr – so heißt das tatsächlich. Damit steigt das Strafmaß empfindlich. Der Führerschein zum Beispiel kann für sechs Monate und bis zu fünf Jahre entzogen werden.

Kontrovers diskutiert: Grenzwert von THC im Blut anheben?

Inzwischen gibt es in Deutschland die gesellschaftlich-politische Debatte, ob der Grenzwert für THC im Blut nach der Legalisierung des Cannabiskonsums nicht angehoben werden sollte. Unter anderem schlug eine vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Arbeitsgruppe Ende März einen neuen Grenzwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum vor. Ein Vorschlag, mit dem Dr. Thomas Wagner so gar nicht konform geht. Thomas Wagner ist Verkehrspsychologe und Fachbereichsleiter der amtlich anerkannten Begutachtungsstellen für Fahreignung bei DEKRA. „Ein für den Straßenverkehr gültiger Grenzwert sollte auf wissenschaftlicher Grundlage festgelegt werden. Die in Deutschland dafür zuständige Grenzwertkommission hat sich mit dem Thema THC bereits ausführlich befasst und auf keine Anhebung einigen können, denn die empirische Studienlage ist heterogen“, so Thomas Wagner. „Negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit selbst von geringen THC-Konzentrationen sind mit heutigem Wissensstand nicht auszuschließen.“

Cannabis und Alkohol: Die Abbauprozesse unterscheiden sich deutlich

Das Problem bei THC: Die Abbauprozesse im Körper verlaufen ganz anders als bei Alkohol. Die Alkoholkonzentration im Blut sinkt nach dem Konsum konstant. Da man zudem am Aufdruck einer Flasche sehen kann, wieviel Alkohol ein Getränk enthält, lässt sich verlässlich ausrechnen, wie lange es dauert, bis der Körper den konsumierten Alkohol abgebaut hat. Bei Cannabis dagegen ist schon die Konzentration unklar, die man mit einem Joint zu sich nimmt. „Zudem lagert der Körper einen Teil des THC ins Fettgewebe ein, um es später nach und nach wieder in die Blutbahn zu entlassen“, erklärt Wagner. „Dieser Prozess verläuft sehr individuell.“ Die Folge: Anfangs sinkt die THC-Konzentration zwar rasch, dann aber immer langsamer. „Es ist aus diesen beiden Gründen unmöglich, den Verlauf der THC-Konzentration im Blut genau vorherzusagen“, so Wagner.
Mehr noch: „Selbst bei einem Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum sind Beeinträchtigungen nicht auszuschließen“, zitiert der Verkehrspsychologe die höchstrichterliche Rechtsprechung im Land. Belegt ist dies durch forensisch-toxikologische Expertise und wissenschaftliche Studien, etwa aus den Niederlanden. „Es ist nachgewiesen, dass es zum Beispiel bei Menschen, die den Cannabiskonsum nicht gewohnt sind, bereits bei niedrigen THC-Konzentrationen zu feinmotorischen Auffälligkeiten oder Ausfallerscheinungen kommen kann.“ Beeinträchtigt sein durch den Cannabiskonsum können laut Thomas Wagner Konzentration, Aufmerksamkeit, Reaktionsvermögen, Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis, Psychomotorik sowie Zeit- und Raumwahrnehmung. „Die Folgen eines häufigen, regelmäßigen und insbesondere chronischen Konsums sind vielschichtig und können sowohl die Leistungsbereitschaft als auch die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen“, warnt er.

DEKRA Lausitzring eignet sich als Teststrecke

Weil der Gesetzgeber den Grenzwert hinterfragt, plädiert Wagner für einen mehrjährigen Feldversuch: „Auf Teststrecken wie dem Lausitzring der DEKRA ließen sich mit wissenschaftlicher Begleitung standardisierte Fahraufgaben durchführen.“ Wenn sich dabei zeige, dass die Verkehrsrisiken auch bei höheren THC-Werten unverändert blieben, könne man über eine Anhebung des Grenzwerts diskutieren, findet Wagner. „Einfach den Grenzwert in Deutschland auf 3,5 Nanogramm anzuheben, ist dagegen ein Feldversuch mit 85 Millionen Menschen.“

THC im Straßenverkehr: So sind die Regeln in anderen EU-Ländern

In Europa gelten sehr unterschiedliche Grenzwerte für THC im Straßenverkehr, wie die Universität Basel im Auftrag des Schweizer Bundesamts für Gesundheit 2020 ermittelt hat. Es gibt Länder, in denen eine Null-Toleranz-Politik herrscht, etwa in Schweden oder Spanien: Jegliche Hinweise auf THC im Blut werden geahndet. Dann gibt es Länder, in denen der Grenzwert sich an der analytischen Nachweisbarkeitsgrenze orientiert. Deutschland gehört dazu, aber auch Frankreich, Belgien oder Dänemark. Noch höhere Grenzwerte zwischen vier und sechs Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum gelten zum Beispiel in Polen und Tschechien.
Es gibt auch Länder mit abgestuften und evidenzbasierten Regelungen. Zum Beispiel hängt in Norwegen das Strafmaß von der Höhe des THC-Werts ab, in den Niederlanden wiederum davon, ob ein Mischkonsum vorliegt, etwa in Verbindung mit Alkohol. Schließlich gibt es auch Länder wie Italien oder Österreich die gar keine THC-Grenzwerte definiert haben und sich bei Sanktionen auf das generelle Betäubungsmittelverbot stützen. „Jedes Land kann natürlich das akzeptable Risiko für seine Bürgerinnen und Bürger frei wählen“, kommentiert Thomas Wagner den europäischen Flickenteppich. „In Deutschland ist jedenfalls schon höchstrichterlich festgestellt worden, dass der Staat einen besonderen Schutzauftrag hat.“
Deshalb steht für Thomas Wagner fest: „Konsumenten von Cannabisprodukten, die nach Aufnahme dieser psychoaktiven Substanz ein Kraftfahrzeug führen, gefährden zum einen die Verkehrssicherheit und begründen zum anderen auch Zweifel an ihrer Fahreignung.“ Erst recht gelte dies bei häufigem oder gar regelmäßigem Konsum.