„Das Energiesystem muss intelligent und steuerbar sein“
Author: Jana Bronsch-Chassard
Die Energiekrise stellt Regierungen und Privatpersonen vor große Herausforderungen. Nachhaltige Energiequellen und deren Verfügbarkeit stehen dabei besonders im Fokus.
Herr Prof. Blaabjerg, die EU hat sich bis 2050 die Klimaneutralität auf die Fahnen geschrieben. Sind aus Ihrer Sicht die aktuellen Bemühungen entsprechend ambitioniert oder muss viel mehr passieren, um das gesteckte Ziel zu erreichen?
Blaabjerg: Den jüngsten Klimaberichten und Prognosen über einen globalen Temperaturanstieg von +2 Grad zufolge, wird das Klima wirklich herausgefordert. Wir müssen schneller handeln. Die Klimaneutralität in Europa in 2050 ist ein valides und ehrgeiziges Ziel, aber es muss sich um eine gemeinsame globale Anstrengung handeln – was nicht einfach ist, da einige Länder für ihre Energieversorgung auf fossile Brennstoffe setzen. Der Krieg in Europa hat die Länder dazu gezwungen, auf alte Technologien zurückzugreifen, um Energiepreise niedrig zu halten. Andererseits hat Europa aber auch die Investitionen in erneuerbare Energien deutlich erhöht, um eine größere Energieunabhängigkeit zu gewährleisten. Momentan ist es also ein Rückschritt, doch in den nächsten Jahren wird sich die Energieunabhängigkeit beschleunigen. Ich denke, wir könnten mehr Forschung und Innovation in die Energieeffizienz stecken. Denn jedes eingesparte Watt müssen wir nicht produzieren oder speichern. Eine Menge Technologien können dabei helfen. Diese sollten – ebenso wie neue Konzepte – weiter entwickelt werden. Dabei spielen Elektrifizierung und Leistungselektronik eine Schlüsselrolle.
Ist eine höhere Energiegewinnung durch Windkraftanlagen möglich oder sind die Grenzen der Technik erreicht?
Blaabjerg: Für Windturbinen hat es erstaunliche technologische Entwicklungen gegeben. Größere Windturbinen bedeuten niedrigere Energiekosten. Gerade wird in Dänemark eine 15-MW-Windturbine von Vestas zu Testzwecken errichtet. In der Branche wird außerdem darüber diskutiert, die Leistung weiter zu erhöhen. Die sehr großen Anlagen müssen meist auf dem Seeweg transportiert werden, was in einigen Gebieten eine Einschränkung darstellt. Aber wir sehen die Grenze noch nicht als erreicht.
Die Silizium-Solarzellen gelten als so gut wie „ausoptimiert“. Neue Materialkombinationen versprechen eine höhere Ausbeute aus dem Sonnenlichtspektrum. Was sind die neuesten Errungenschaften und welches Potenzial steckt darin?
Blaabjerg: Den Ausschlag für die Solarzellentechnologie werden letztendlich die Energiekosten in Verbindung mit der potenziellen Wiederverwendbarkeit des Materials am Ende der Lebensdauer geben. Es ist richtig, dass die Silizium-Solarzellen bereits sehr ausgereift sind. Das Perowskit-Material scheint vielversprechend zu sein, aber viele andere Technologien sind in Folge notwendig. Ein entscheidender Faktor kann auch die Fähigkeit sein, die Solarenergieerzeugung in großem Maße zu skalieren, ohne dabei seltene Materialien einzusetzen. Es werden dafür mehr als 20 Technologien entwickelt – ein interessantes Forschungsgebiet, also, dem wir hier nachgehen.
Bei Solar- und bei Windenergie stellt sich nicht selten die Frage des Energietransports und der Speichermöglichkeiten. Wird es in naher Zukunft einen Quantensprung in Sachen Speicherkapazität geben?
Blaabjerg: Der Transportsektor scheint vor allem elektrisch und auf Batterien zu basieren. Es gibt viele Argumente für dieses Vorgehen. Die Energieeffizienz ist sehr hoch und die Infrastruktur ist ausbaufähig. Neue Batterietechnologien sind auf dem Weg – keine Quantensprünge, aber sie könnten Verbesserungen bringen. Ich sehe auch einen starken Willen, eine elektrische Infrastruktur zur Distribution von elektrischen Energien aufzubauen.
Die Herausforderung besteht im energieintensiven Transportsektor. Hier ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Wasserstoff als Zwischenträger eingesetzt werden kann – zum Beispiel bis der Einsatz von Ammoniak oder E-Fuels in Schiffen und Flugzeugen möglich ist. Das Energiesystem insgesamt muss jedoch intelligent und steuerbar sein. Wenn erneuerbare Energien nicht verfügbar sind, muss es alle Aspekte der Energieträger – wie Wärme, Gas und Strom einschließlich ihres Speicherpotenzials – nutzen und Biomasse einsetzen zur Energiespeicherung und Erzeugung von Wärme und Strom. Interessant könnten auch Fortschritte bei der Supraleitung sein, da diese die Stromübertragung grundlegend verändern und Schlüsselkomponenten einen sehr hohen Wirkungsgrad ermöglichen kann.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Ist eine weltraumgestützte Solarenergiegewinnung technisch tatsächlich umsetzbar?
Blaabjerg: Es ist eine sehr interessante Idee, die weiter erforscht werden muss. Und es bedarf noch erheblicher Investitionen, um herauszufinden wie ein signifikanter Energietransfer auf den Planeten erreicht werden kann. Ich fürchte, diese Technologie wird nicht in der Lage sein, einen wesentlichen Beitrag zu unserer 2050 Herausforderung zu leisten.
An welchen Forschungsprojekten arbeiten Sie aktuell?
Blaabjerg: Im Moment arbeiten wir an vier Hauptaufgaben: Zum einen geht es darum, die Zuverlässigkeit leistungselektronischer Komponenten und Systeme besser zu verstehen, um vorhersagen zu können, wann sie unter bestimmten Belastungsbedingungen ausfallen. Wir nennen das Einsatzprofil. Dazu gehören mathematische Modellierung, Statistik und jede Menge Tests. Ein zweiter Bereich ist die Verbesserung der Zuverlässigkeit des neuen modernen Stromnetzes, das nun viele neue Quellen und Lasten erhält – mit leistungselektronischen Umrichtern als Schnittstellen. Dazu gehören viele Aspekte der Analyse und des Betriebs von Stromversorgungssystemen sowie die Nutzung des Wissens über das Verhalten von Stromrichtern.
Eine dritte neue Aktivität ist die smarte Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) in leistungselektronischen Systemen – da wir bereits viel über das System wissen und nicht alles datengesteuert machen müssen, um KI einzusetzen. Und schließlich arbeiten wir an der Nutzung von Leistungselektronik zur Steuerung von Elektrolyseuren zur Herstellung von Wasserstoff. So finden wir neue effiziente Wege, um fossile Brennstoffe zu vermeiden. Um das hocheffizient zu machen – von elektrischer Energie zu beispielsweise Gas, E-Fuel oder Power-2-X – ist es noch ein weiter Weg.
Zur Person
Frede Blaabjerg ist seit 1998 Professor für Leistungselektronik und Antriebstechnik an der Universität Aalborg in Dänemark. Er ist außerdem Vizepräsident der Dänischen Akademie der Technischen Wissenschaften und hat mehrere Auszeichnungen für seine Forschungen im Bereich der Elektrotechnik erhalten, unter anderem für herausragende technische Beiträge zur Gestaltung von Energiemanagementsystemen, die die Integration erneuerbarer Energien ermöglichen. Im Jahr 2020 erhielt er die IEEE Edison Medal – eine der ältesten und begehrtesten Auszeichnungen auf dem Gebiet der Elektrotechnik.