E-Scooter: Chancen und Herausforderungen in der Stadt
Author: Joachim Geiger
Wie kann die Mobilitätswende unter Einbeziehung der E-Scooter gelingen? Immer mehr Städte stellen die flotten Flitzer aufgrund steigender Unfallzahlen und der ausgeprägten Wegwerfmentalität ihrer Nutzer in Frage. Jetzt kommt es darauf an, die Einführung und Nutzung der Roller in geordnete Bahnen zu lenken.
Der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg von E-Scootern in der Mikromobilität ist derzeit für die Verleiher der elektrischen Tretroller schmal. Einerseits gibt es keinen einheitlichen europäischen Rahmen für die Nutzung von Elektrokleinstfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr – demnach ist für die Verleiher der Aufwand, ihre Fahrzeuge an die unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Märkte anzupassen, sehr hoch. Andererseits stehen Ansehen und Akzeptanz der flotten Flitzer vielerorts auf der Kippe – vor allem die Risiken im Umgang scheinen hoch. „E-Scooter sind vor allem für jüngere Menschen in der Großstadt ein bevorzugtes Verkehrsmittel“, erklärt Luis Ancona, Unfallforscher bei DEKRA.
Die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts deuten einmal mehr in diese Richtung. „In Deutschland gab es im letzten Jahr 9.425 E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden, darunter 1.220 Schwerverletzte und 22 Todesfälle. Knapp 60 Prozent der E-Scooter-Unfälle ereigneten sich in Großstädten, rund 80 Prozent der Verunglückten waren jünger als 45 Jahre, rund 42 Prozent jünger als 25 Jahre“, analysiert der DEKRA Experte. „Häufig unterschätzen junge Menschen die Gefahren, die von den E-Scootern ausgehen“ sagt Ancona, der selbst gerne auf einen Mietroller steigt. Sind die E-Scooter also eine Gefahr für Nutzer und andere Verkehrsteilnehmer? Man müsse die aktuellen Zahlen richtig einordnen, berichtet Luis Ancona. Zwar nehme die Zahl der Unfälle mit E-Scootern im Vergleich zum Vorjahr deutlich zu, unterm Strich spielten sie im Unfallgeschehen mit Personenschaden mit einem Anteil von 3,2 Prozent jedoch nach wie vor eine geringe Rolle.
Auf einer unebenen Fahrbahn – etwa bei Kopfsteinpflastern oder Schlaglöchern – steigt das Unfallrisiko, nicht zuletzt aufgrund der kleinen Räder der E-Scooter. Die Gefahr eines Sturzes oder Unfalls steigt umso mehr, wenn Alkohol oder eine falsche Fahrbahnnutzung im Spiel sind – laut Statistischem Bundesamt die häufigsten Fehlverhalten bei Unfällen mit Personenschäden. Aber auch der Versuch, mit dem E-Scooter eine Bordsteinkante zu überfahren, kann schlimm ausgehen. Der DEKRA Unfallforscher Andreas Schäuble hat gemeinsam mit den Hochschulen Université Gustave Eiffel (Marseille) sowie École de technologie supérieure (Montréal) im Sommer letzten Jahres eine Studie veröffentlicht, die auf Basis eines DEKRA Crashtests genau dieses Szenario unter die Lupe nimmt. Nach 162 Sturzsimulationen, die sich unter anderem in der Ausgangsgeschwindigkeit, im Anprallwinkel an die Bordsteinkante und in der Größe der Person auf dem E-Scooter unterschieden, ist das Fazit eindeutig: 90 Prozent der Simulationen wiesen auf ein Risiko schwerer Kopfverletzungen hin.
Wegwerfmentalität bei der Nutzung von E-Scootern
Den Verleihern machen nicht nur Unfälle, sondern auch eine gewisse Wegwerfmentalität der Nutzer zu schaffen: Die Roller werden häufig willkürlich auf Geh- und Radwegen abgestellt, in Grünanlagen entsorgt oder in Flüssen versenkt. Viele Städte wollen diese Zustände nicht mehr hinnehmen. Im österreichischen Graz zum Beispiel haben die Stadtoberen den Verleih bereits komplett untersagt, in Deutschland verfolgen Oranienburg und Gelsenkirchen den gleichen Kurs.
Vor einem Jahr hat Paris die ausleihbaren E-Scooter aus dem Stadtgebiet verbannt – rund 15.000 Mietroller mussten in der Folge aus der Seine-Metropole abgezogen werden. Pikant ist diese Entscheidung deshalb, weil die Stadt einen ausgezeichneten Ruf als Vorreiter der Mikromobilität besitzt: Dort gilt flächendeckend Tempo 30, dazu kommen jede Menge Fahrradabstellplätze, eigene Spuren für Bus, E-Taxi und Fahrräder sowie ein ausgezeichnetes Netz mit Radstationen und Ladeinfrastruktur für elektrische Leihräder. Haben die E-Scooter also ihren Zenit als Verkehrsträger in der Mikromobilität bereits überschritten?
Eine Sondernutzungserlaubnis eröffnet Städten neue Regelungsmöglichkeiten
Entscheidend für eine Verkehrswende unter Einbeziehung der E-Scooter dürfte am Ende sein, dass die Einführung und Nutzung der Fahrzeuge in geordneten Bahnen verlaufen, glaubt Luis Ancona. Tatsächlich gibt die Rechtsprechung den Städten und Gemeinden in Deutschland seit einiger Zeit in dieser Sache kräftigen Rückenwind. Statt wie bisher auf freiwillige Absprachen mit den Verleihern angewiesen zu sein, setzen Städte wie Köln, Nürnberg, Mainz, Mannheim und Sankt Augustin auf eine Sondernutzungserlaubnis für die Bereitstellung von gewerblichen Verleihsystemen für E-Scooter, die zahlreiche Regulierungsmöglichkeiten eröffnet. Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt ein Blick nach Düsseldorf.
So kann es gelingen: Erfolgreiches E-Scooter-Management in Düsseldorf
Im Oktober 2021 hat die Stadt eine Strategie für den Umgang mit E-Scooter-Sharing vorgelegt, die den Wildwuchs eines unregulierten Verleihs im Stadtgebiet eindämmen sollte. Mittlerweile hat man ein regelrechtes E-Scooter-Management etabliert, das Verleiher und Nutzer konsequent in die Pflicht nimmt. Das Vergabeverfahren sieht unter anderem die Beschränkung auf drei Anbieter vor, die Bedienpflicht für das gesamte Stadtgebiet sowie Fußpatrouillen zur Überwachung der abgestellten Fahrzeuge. Der Umfang der Gesamtflotte in der Landeshauptstadt wird auf 8.400 Fahrzeuge begrenzt, wobei die einzelnen Stadtgebiete jeweils ein eigenes Kontingent an Fahrzeugen erhalten – in der Innenstadt sind das zurzeit 1.800 Einheiten.
Herzstück des Mobilitätskonzepts ist eine Datenanalyse-Plattform, an die die Verleiher Daten zu den Fahrten und den Parkpositionen der Roller übermitteln. Außerdem ermöglicht das System die Verwaltung von Geo-Daten und Parkverbotszonen. Die Stadt stellt aktuell 156 Sharing-Stationen zur Verfügung, an denen sich E-Scooter, Elektroroller und E-Bikes mieten, tauschen und parken lassen. Die meisten davon befinden sich in der Innenstadt und im Bereich des Universitätscampus. Bis 2030 soll das Netz auf mehrere hundert Stationen anwachsen. Neue Stationen entstehen vor allem in Stadtteilzentren, an ÖPNV-Haltepunkten und weiteren Orten öffentlichen Interesses. Bei größeren Veranstaltungen können temporäre Stationen eingerichtet werden. Die jeweiligen Parkzonen sind durch weiße Bodenmarkierungen mit dem Schriftzug „SharingStation“ sowie ein entsprechendes Schild kenntlich gemacht. Entscheidender Punkt: Die E-Scooter lassen sich im gesamten Stadtgebiet ausschließlich in den Parkzonen übernehmen und abstellen. Gewährleistet wird diese Vorgabe durch ein Geo-Fencing in den Apps der Anbieter, das ein Abstellen außerhalb der Parkzonen verhindert.
Ein Entwurf des Bundesverkehrsministeriums in Sachen Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung könnte künftig zur Akzeptanz von E-Scootern beitragen: „Im Prinzip geht es darum, die Regelungen zu E-Scootern dort, wo es möglich ist, denen zum Radverkehr anzugleichen – etwa im Hinblick auf den grünen Pfeil bei einer roten Ampel und die Freigabe von Gehwegen oder Fußgängerzonen mit dem Zusatzzeichen ‚Radverkehr frei‘ auch für E-Scooter“, erklärt DEKRA Experte Luis Ancona.