Erste Hilfe: Bei Unfällen sicher reagieren

Author: Hannes Rügheimer

11. Okt. 2023 Sicherheit bei der Arbeit / Sicherheit im Verkehr

Ob im Straßenverkehr oder am Arbeitsplatz – wer zu einem Unfall hinzukommt, ist zur Ersten Hilfe verpflichtet. Doch obwohl dies hinlänglich bekannt ist, zögern viele und sehen sich nicht in der Lage, Erste Hilfe zu leisten. Die richtige Vorbereitung und eine schnell erfassbare Checkliste können helfen.

Gerade mal etwas mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) haben in einer Umfrage, die der deutsche Automobilclub ADAC 2021 durchgeführt hat, geantwortet, dass sie sich die Ersthilfe an einem Unfallort wirklich zutrauen. Ein Viertel war sich unsicher, und ein weiteres Viertel gab an, sich dazu nicht in der Lage zu sehen.
Und diese Selbsteinschätzung war keineswegs falsch, denn in derselben Umfrage konnten nur rund 55 Prozent einen Katalog von Testfragen zur Ersten Hilfe richtig beantworten. Die Befragung zeigte auch: Je länger der letzte Erste-Hilfe-Kurs zurück liegt, desto größer die Un­sicherheit.
Auch auf europäischer Ebene unterscheidet sich das Bild kaum: So hat der österreichische Automobilclub ÖAMTC schon 2013 eine ähnliche Studie in 14 europäischen Ländern durchgeführt. Sie kam zu ähnlich ernüchternden Ergebnissen. Beim Wissen, was wirklich zu tun ist, lag der europaweite Durchschnitt bei mageren 15 Prozent. Auch außerhalb Europas dürfte es wohl nicht viel besser aussehen.
In Europa steht aber fest: Für Fehler, die Ersthelferinnen und Ersthelfern unterlaufen, kann niemand juristisch verantwortlich gemacht werden.
In welcher Reihenfolge gehe ich vor?
Wie der Name schon sagt, sind Ersthelferinnen und Ersthelfer das erste Glied der sogenannten Rettungskette. Wer zuerst am Unfallort ankommt, muss helfen. Sinn dieser „lebensrettenden Sofortmaßnahmen“ ist es, die Zeit bis zum Eintreffen professioneller Helfer zu überbrücken.
Um Panik, Gefährdungen der eigenen Person oder der Unfallopfer sowie unnötige Fehler zu vermeiden, hilft es, strukturiert vorzugehen und sich dabei an folgender Schritt-für-Schritt-Anleitung zu orientieren:
Eigenschutz geht vor: Unter keinen Umständen sollte man sich selbst in Gefahr bringen. Überlegt handeln, auch unter Zeitdruck.
Unfallstelle absichern: Warndreieck aufstellen, Warnblinklicht des eigenen Fahrzeugs einschalten, Warnweste anziehen.
Unfallopfer aus der Gefahrenzone retten (sofern gefahrlos möglich): Zündung des Unfallfahrzeugs ausschalten, das Unfallopfer aus dem Unfallfahrzeug befreien und vor dem fließenden Verkehr schützen.
Bewusstsein überprüfen: Unfallopfer ansprechen, Atmung kontrollieren und gegebenenfalls behutsam an den Schultern rütteln. Bei Motorfahrern, sofern möglich, vorsichtig Helm abnehmen (möglichst mit Unterstützung durch zweite Person, die die Halswirbelsäule stabilisiert). Beruhigende, tröstende Ansprache.
Notruf (europaweit 112) absetzen: Wenn möglich Umstehende mit einbeziehen, und Aufgaben verteilen. Wichtige Informationen: Wo hat sich der Unfall ereignet? Was ist passiert? Wie viele Verletzte gibt es? Welche Art von Verletzungen? Am Telefon bleiben, bis die Rettungsleitstelle das Gespräch beendet.
Wichtigste Erste-Hilfe-Maßnahmen: Dabei ggf. mit anderen Helfern zusammenarbeiten und/oder abwechseln.
  • Ist die Atmung schwach oder fehlt ganz, Herzdruckmassage: Mit überkreuzten Händen 30x fest und schnell in Mitte des Brustkorbs drücken, ca. 5 cm tief. 2x für 1 Sekunde Atemspende in Mund oder Nase.
  • Blutungen stillen: ggf. Druckverband anlegen oder keimfreie Kompresse. Vorsicht vor Abbinden – dies kann größere Verletzungen mit dauerhaften Folgen verursachen.
  • Schock bekämpfen: Wenn Opfer bei Bewusstsein und normal atmet, Beine höher lagern, zudecken, trösten. Achtung: Dies gilt nicht bei Herzinfarkten oder auch bei Verletzungen im Kopf-, Brust- und Wirbelsäulenbereich.
  • Stabile Seitenlage: Wenn das Opfer nicht bei Bewusstsein ist, aber normal atmet.
An allererster Stelle steht jedoch: Trotz aller Sorge, etwas falsch zu machen, ist es viel schlimmer, nichts zu tun. Selbstverständlich ist es für das Opfer wichtig, schnell und richtig behandelt zu werden – doch wie schon eingangs betont: In Europa muss niemand juristische Folgen befürchten, wenn man bei der Ersten Hilfe Fehler macht. Ganz im Gegensatz zur unterlassenen Hilfeleistung, die in den meisten EU-Ländern eine empfindliche Freiheits- oder Geldstrafe nach sich ziehen kann.
Autoverbandskasten
Ein Verbandskasten, der den aktuellen Vorschriften (DIN 13164 und §35h der Straßenverkehrszulassungsordnung) entspricht, ist in Deutschland in jedem Auto Pflichtausstattung. Vergleichbare Vorschriften gibt es auch in den meisten anderen europäischen Ländern – und dank Europa-Recht erfüllen die in einem Land zugelassenen Autoverbandskästen auch bei Fahrten ins benachbarte Ausland die jeweiligen Vorgaben.
Fehlt der Verbandskasten oder ist das Erste-Hilfe-Material abgelaufen, riskieren Autofahrer bei einer Verkehrskontrolle in Deutschland ein Verwarnungsgeld von 10 Euro. In der Regel liefert der Fahrzeughersteller einen normgerechten Verbandkasten beziehungsweise eine entsprechende Tasche mit. Praxistipp: Vor allem nach einem Fahrzeugwechsel sollte man überprüfen, wo sich der Verbandskasten befindet, um ihn im Notfall schnell griffbereit zu haben. Bei dieser Gelegenheit lässt sich auch gleich das Haltbarkeitsdatum checken. Ersatz lässt sich für unter 20 Euro nachkaufen.
Die DIN-Norm führt genau auf, was im Erste-Hilfe-Set enthalten sein muss, die derzeit aktuelle Version ist vom Februar 2022: Sie verlangt verschiedene Pflaster und Verbandspäckchen, eine Rettungsdecke, Einmalhandschuhe und seit der letzten Anpassung der Norm auch zwei Hygienemasken. Sinnvollerweise zählt auch eine Erste-Hilfe-Broschüre zur Pflichtausstattung.
Das aufgedruckte Haltbarkeitsdatum darf nicht abgelaufen sein. Sofern das Datum noch gültig ist, sind jedoch trotz der gelegentlichen Normänderung keine Ergänzungen oder ein Austausch verpflichtend. Selbstverständlich kann man aber – nicht zuletzt im Eigeninteresse – zum Beispiel die beiden zuletzt in der Vorschrift ergänzten Hygienemasken selbst in das Set hineinlegen.
Übrigens: Über abgelaufene Verbandskästen freuen sich die Instanzen, die auch Auffrischungskurse zur Ersten Hilfe anbieten – sie sind nützliches Übungsmaterial.
Vorschriften zu Erste-Hilfe-Ausrüstung in europäischen Ländern
Die exakten Vorschriften zum Verbandskasten und anderer Pflichtausstattung unterscheiden sich von Land zu Land. In manchen Ländern gelten die Vorschriften nur für dort registrierte Fahrzeuge, in anderen für jedes Auto auf öffentlichen Straßen. Die EU-Gesetzgebung legt aber fest: Ein Verbandskasten, der den gesetzlichen Vorschriften im Heimatland des Fahrzeugs entspricht, erfüllt auch die entsprechenden Forderungen in allen anderen EU-Ländern – auch wenn lokale Standards und Normen zur Ausstattung gegebenenfalls leicht abweichen.
Belgien
In Belgien registrierte Fahrzeuge müssen eine Erste-Hilfe-Ausrüstung und auch einen Feuerlöscher mit sich führen, außerdem eine Warnweste für den Fahrer.
Griechenland
Ein Verbandskasten ist Pflicht für Fahrzeuge, die auf griechischen Straßen fahren – Warnwesten hingegen nicht.
Kroatien
Auch in Kroatien ist ein Verbandskasten obligatorisch, außerdem eine Warnweste für jede Person, die auf einer Autobahn oder Schnellstraße das Fahrzeug verlässt.
Österreich
Für in Österreich registrierte Fahrzeuge ist Erste-Hilfe-Ausrüstung vorgeschrieben, die sich in einer staubdichten Box (dort als „Autoapotheke“ oder „Erste-Hilfe-Kasten“ bezeichnet) befinden muss. Außerdem verlangt die dortige Gesetzgebung eine Warnweste für den Fahrzeuglenker.
Serbien
Alle auf serbischen Straßen fahrenden Fahrzeuge müssen mit einem Verbandskasten bestückt sein. Außerdem verlangt die dortige Gesetzgebung, dass eine Warnweste für den Fahrer und ein Abschleppseil an Bord sind.
Slowakei
Erste-Hilfe-Ausrüstung und eine Warnweste für den Fahrer sind auch für Fahrzeuge vorgeschrieben, die in der Slowakei auf öffentlichen Straßen fahren.
Slowenien
In Slowenien registrierte Fahrzeuge müssen Erste-Hilfe-Ausrüstung, eine Warnweste pro Autoinsasse, einen Feuerlöscher sowie auch Ersatzglühbirnen an Bord haben.
Tschechische Republik
Fahrzeuge, die auf tschechischen Straßen unterwegs sind, müssen Erste-Hilfe-Ausrüstung und eine Warnweste pro Fahrgast an Bord haben.
Türkei
Ein Verbandskasten und zwei Warnwesten sind in jedem Fahrzeug Pflichtausstattung.
Ungarn
Auch in Ungarn sind ein Verbandskasten und eine Warnweste pro Autoinsasse Pflicht.
Dänemark, Frankreich, Finnland, Luxemburg, Irland, Italien, Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, Spanien
In diesen Ländern ist Erste-Hilfe-Ausrüstung beziehungsweise ein Verbandskasten nicht gesetzlich vorgeschrieben. Es wird aber gleichwohl empfohlen, sie im Fahrzeug mitzuführen.
Erste-Hilfe-Seminare bei der DEKRA Akademie
Gerade wenn der Erste-Hilfe-Kurs schon viele Jahre zurück liegt, ist es überaus sinnvoll, die eigenen Kenntnisse im Abstand einiger Jahre aufzufrischen. Gesetzlich vorgeschrieben ist eine Auffrischung alle zwei Jahre nur für betriebliche Ersthelferinnen und Ersthelfer – doch alle anderen sollten auf freiwilliger Basis von entsprechenden Angeboten Gebrauch machen.
Seminare, die sich sowohl an Führerscheinanwärter als auch langjährige Fahrer zur Auffrischung richten, bietet unter anderem die DEKRA Akademie an. Die Teilnahme an den eintägigen Seminaren kostet eine Gebühr von 50 bis 60 Euro, Orte, Termine und Seminarinhalte finden Interessenten hier​.