EU-Klimapolitik – Kurs „E“

Author: Achim Geiger

30. Aug. 2023

Der europäische Gesetzgeber macht mächtig Druck, um die Mitgliedsstaaten der EU noch rechtzeitig auf die Zielgerade zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zu bringen. Hoffnungsträger Nummer eins für die Transformation des Verkehrssektors ist die Elektromobilität.

Das Pariser Klimaabkommen, das die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau begrenzen soll, ist definitiv der heilige Gral der Klimapolitik in der Europäischen Union (EU). Allerdings war die Sache mit dem Gral schon immer kompliziert – man hat zwar eine Ahnung, wie er aussieht, aber in der Regel keinen Plan, wie er sich finden lässt. Anders sehen das heute die politischen Akteure in Brüssel: Der richtige Weg zum hohen Ziel sei die Transformation einer Union, die sich bis 2050 Klimaneutralität auf die Fahnen geschrieben hat. Und natürlich liege es auf der Hand, dass zur Umsetzung gewaltige Baustellen abzuarbeiten sind. Eine davon ist der Verkehrssektor. Und die Verkehrspolitik hat eine klare Ausrichtung: Die Strategie der EU-Kommission für nachhaltige und intelligente Mobilität sieht vor, dass bis 2030 mindestens 30 Millionen emissionsfreie Fahrzeuge auf Europas Straßen unterwegs sein sollen. Ob dieses Ziel am Ende realistisch ist? Die Klimaexperten jedenfalls sind uneins, ob Brüssel hier die Trauben nicht zu hoch hängt.
Der Hoffnungsträger Elektroantrieb ist noch ein zartes Pflänzchen
Auf den ersten Blick scheint die Zielsetzung plausibel. Immerhin ist Europa derzeit nach China der zweitgrößte Markt der Welt für Elektroautos. Außerdem haben die Autohersteller in letzter Zeit durchaus ein Momentum auf ihrer Seite – Branchenberichten zufolge wurden allein in den Monaten Januar bis Juni 2023 in der Union rund 703.600 batterieelektrische Autos (BEV) neu zugelassen, im Vorjahr waren es rund 457.600. Andererseits kann diese Zahl nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Elektromobilität in Europa nach wie vor ein zartes Pflänzchen ist. Für eine gewisse Ernüchterung dürfte auch das Ende 2022 vorgelegte Zweijahresgutachten des Expertenrats für Klimafragen (ERK) in Berlin über die bisherigen Entwicklungen der Treibhausgasemissionen in Deutschland sorgen. Der Markttrend gehe zu schwereren und leistungsstärkeren Pkw mit einem vergleichsweise hohen Energieverbrauch pro Kilometer. Gleichzeitig sei eine substanzielle Substitution bestehender Fahrzeuge durch nicht-fossile Neuanschaffungen nicht zu erkennen. Unterm Strich stellt das Gutachten in Frage, dass eine Fokussierung auf Verbesserungen der technischen Pkw-Effizienz zwangsläufig zu einer besseren Emissionsbilanz führt.
DEKRA unterstützt beim Ausbau der EU-Ladeinfrastruktur
Länder wie Deutschland und Frankreich setzen schon länger auf den Elektroantrieb zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor. Was es aus Sicht von Experten jedoch braucht, ist eine flächendeckende, leistungsfähige und sichere Infrastruktur fürs Hochfahren der E-Mobility. Gefragt sind deutlich mehr Ladestationen für Elektrofahrzeuge entlang der Straßen, Autobahnen und an den Wohnorten und Arbeitsstätten. Hierbei unterstützt beispielsweise DEKRA als Prüf- und Zertifizierungsorganisation. DEKRA bietet den kompletten Prüfumfang für EV-Ladegeräte und verfügt in Arnheim/Niederladen über das führende Labor mit den meisten Akkreditierungen und Anerkennungen in der Branche. Gefragt sind Interoperabilität, Konformität, elektrische Sicherheit, drahtlose und elektromagnetischer Verträglichkeit (EMV), Zuverlässigkeit und Leistung. Zudem hat DEKRA letztes Jahr einen eigenen Prüf- und Zertifizierungsstandard für die Cyber Security von Ladesäulen entwickelt.
Deutschland und Frankreich setzen auf Kurs „E“
Beim Ausbau der Elektromobilität ist jetzt die Klima- und Verkehrspolitik am Drücker. In Deutschland zum Beispiel ist das Elektromobilitätsgesetz (Juni 2016) der Dreh- und Angelpunkt zur Förderung der Elektromobilität. Neben einer zehnjährigen Steuerbefreiung sieht es unter anderem Kauf- und Innovationsprämien für Elektroautos vor, wobei eine reformierte Förderrichtlinie seit 1. Januar 2023 nur noch Hilfen für reine Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeuge erlaubt. Darüber hinaus fördert der Bund den Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie der Batterieproduktion im Rahmen des Klima- und Transformationsfonds mit jeweils rund einer Milliarde Euro. Das ambitionierte Ziel: Bis 2030 will die Bundesregierung mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw auf die Straßen bringen.
Auch Frankreich zieht alle Register zur Umstellung auf eine CO2-neutrale Mobilität. Den juristischen Rahmen bilden das Mobilitätsgesetz und das Klimagesetz. Demnach soll es zum Beispiel ab 2030 ein Verkaufsverbot für Fahrzeuge mit CO2-Emissionen über 95 Gramm je Kilometer geben. Außerdem hat die Regierung ein Investitionsförderprogramm (France 2030) für Elektromobilität aufgelegt, das die Automobilindustrie beim Umbau mit einer Milliarde Euro unterstützt. Die eindeutige Marschrichtung: Bis 2030 soll Frankreich zwei Millionen E-Fahrzeuge pro Jahr produzieren.
Italien fördert die Branche auf dem Weg zur nachhaltigen Mobilität
Und wie hält es Italien, der viertgrößte Automarkt in Europa, mit der Elektromobilität? Das Klimagesetz verpflichtet die Regierung, ihre Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels zu verstärken. Eine Transformation der Verkehrspolitik lässt sich jedoch bislang nur in Ansätzen erkennen. Immerhin gibt es einen rund acht Milliarden Euro schweren Automobilfond, um der Branche den Übergang zu einer nachhaltigen Mobilität zu erleichtern. Aus diesem Fonds stammen auch die bis Ende 2024 vorgesehenen Mittel für eine Förderung beim Kauf elektrifizierter und schadstoffarmer Fahrzeuge. Klimaexperten sehen diesen Kurs kritisch. Der Think Tank „Ecco“ in Mailand etwa stellt in einem gerade publizierten Bericht zur Klimapolitik Italiens fest, dass das Anreizsystem für den Kauf von Autos nicht geeignet ist, die Umstellung der Flotte auf Elektromobilität in entscheidender Weise zu voranzubringen. Stattdessen finanziere man Technologien, die bereits vollständig in den Markt integriert sind. Demnächst müssen übrigens alle Mitgliedsstaaten der Union zum Stand in Sachen Energiewende und Klimaschutz ihre Karten auf den Tisch legen: Die Governance-Verordnung der EU sieht vor, dass der Kommission regelmäßig die Nationalen Energie- und Klimapläne (NEKP) zur Bewertung vorzulegen sind. Deadline für die nächste Abgabe ist im Juni 2024.
Gesetze und Verordnungen auf dem Weg zur Klimaneutralität:
  • Startpunkt ist das Konzept des „European Green Deal“ (Dezember 2019), der die Klimaneutralität bis 2050 ebenso festschreibt wie den Zwischenschritt, bis 2030 die Treibhausgasemissionen der Union um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren.
  • Das Europäische Klimagesetz (Juni 2021) schreibt die Ziele des Pariser Abkommens für die Union und ihre Mitgliedsstaaten verbindlich fest und bestätigt die Vorgaben zum European Green Deal.
  • „Fit für 55“ (Juli 2021) wiederum ist ein Gesetzgebungspaket, das den Rechtsrahmen für die europäische Klima- und Energiepolitik absteckt.