Fahrsimulator: Fast echt

Author: Joachim Geiger

22. Nov. 2023 Sicherheit im Verkehr

Wie nah an der Realität muss ein Simulator dran sein, damit er in der Weiterbildung von Berufskraftfahrern zum Einsatz kommen kann? Fahrtrainer Thorsten Straube hat schon Profis erlebt, die ihre Fahrstunde im DEKRA Fahrsimulator mit zitternden Knien beendet haben. Jetzt plant Straube die nächste Generation der mobilen Systeme.

Wenn ein Lkw-Fahrer bei der Weiterbildung nach dem Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz (BKrFQG) ins Schwitzen kommt, dann kann das daran liegen, dass er es gerade mit einer besonders kniffligen Fahraufgabe im Simulator zu tun hat. Lkw fahren im Simulator? Dem einen oder anderen Profi dürfte diese Vorstellung abwegig vorkommen – die Wirklichkeit hinterm Steuer lässt sich schließlich nicht simulieren! Und wenn doch? Genaueres dazu weiß Thorsten Straube, Projektleiter des Qualifizierungsprogramms „ProFahrT“ der DEKRA Akademie. Bei seinen Einsätzen als Fahrtrainer hat er es immer wieder mit Vorbehalten zu tun – und kann die meisten Skeptiker letztlich eines Besseren belehren. Häufig genügen dazu ein paar Minuten Lenkzeit im Fahrsimulator, den der Münchener Hersteller Kraus-Maffei Wegmann (KMW) 2010 eigens für DEKRA aufgebaut hat. Das mobile System ist nämlich ein Highend-Simulator mit einer originalen Lkw-Kabine, die auf einer Plattform mit sechs Antrieben montiert ist. Damit lassen sich Kurvenfahrten, Beschleunigungs- und Bremssituationen, aber auch die Fahrt in unebenem Gelände und über Schlaglöcher realistisch reproduzieren. DEKRA ist mit dem Simulator europaweit für Kunden im Einsatz.
Mit dem 40-Tonner bei versagenden Bremsen auf die Notfallspur
„Mit unserem Fahrsimulator können wir das Verhalten in kritischen und unvorhersehbaren Situationen gezielt trainieren“, erklärt DEKRA Experte Straube. Das Programm hält dazu Szenarien wie Glatteis in der Kurve, Reifenplatzer und starken Seitenwind bereit. Auch einen Wildwechsel oder plötzlich vor dem Fahrzeug auftauchende Radfahrer und Fußgänger kann der Fahrtrainer aufrufen. „Vor einiger Zeit habe ich bei einer Übung einen 40-Tonner mit versagenden Bremsen auf der Notfallspur ins Kiesbett geschickt. Danach zitterten dem Fahrer beim Aussteigen die Knie und er sagte, dass er dieses Erlebnis nie wieder vergessen wird“, erinnert sich Straube. Hängt also die Leistungsfähigkeit eines Simulators von seiner Nähe zur Realität ab? Und lässt sich diese Nähe durch die verbaute Technologie steigern? Da scheint etwas dran zu sein, wie einschlägige Studien – unter anderem der TU München und der Bundesanstalt für Straßenwesen (BaSt) – belegen. Andererseits müssen die physikalischen Simulationsparameter nicht zwangsläufig weitgehend mit der Realität übereinstimmen. Die Studien deuten an, dass sich auch mit einfacheren Fahrsimulatoren Ergebnisse erzielen lassen, die hinreichend nahe an der Realität sind. Der europäische Gesetzgeber hat sich diese Einsicht bereits zu eigen gemacht. Die Richtlinie (EU) 2018/645 vom April 2018 sieht vor, dass leistungsstarke Simulatoren bei der Grundqualifikation oder Weiterbildung von Berufskraftfahrern einen Teil der praktischen Fahrstunden ersetzen können.
Vorteil für DEKRA Kunden ist das Training im Simulator vor Ort
Mittlerweile gehört der Einsatz von Simulatoren in der Aus- und Weiterbildung quer durch Europa zum Stand der Technik. Neben Fahrschulen und Bildungsanbietern setzen hier und dort auch Verlader und Transportunternehmen auf das virtuelle Training zur Weiterbildung von Berufskraftfahrern – in der Schweiz zum Beispiel die Einzelhandels-Genossenschaft Migros, in Österreich die internationale Spedition Nothegger. In Deutschland wiederum bietet DEKRA seinen Kunden die Möglichkeit, die Module in Sachen wirtschaftliches Fahren sowie Fahrsicherheit, Gefahrenlehre und Sicherheitstechnik im Simulator zu absolvieren. Die Weiterbildung findet überwiegend bei den Speditionen vor Ort statt. „Das bedeutet null Emissionen, null Schäden am Fuhrpark und keine Anfahrwege für die Fahrer“, bringt Straube die Vorteile auf den Punkt. Ein weiteres Arbeitsfeld für den Simulator bilden Spezialtrainings – etwa Anti-Rollover-Trainings für die Fahrer von Tankfahrzeugen auf dem Vorfeld von Flughäfen. Gern gebucht wird das mobile System auch von Polizei und Rettungskräften, in denen die Einsatzfahrt mit Blaulicht trainiert wird. Im Schnitt ist der DEKRA Simulator rund 100 Tage im Jahr im Kundeneinsatz. Das ist eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass ein Schulungstag in der Regel mit zwei Tagen für An- und Abfahrt verbunden ist. Unterm Strich addieren sich die Anfahrten zu Kunden sowie zu Auftritten bei Messen und Veranstaltungen auf rund 40.000 Kilometer pro Jahr.
Ein neuer Fahrsimulator tritt seinen Dienst an
Auch wenn in den nächsten Jahren noch einige Kilometer dazu kommen – die Tage des mobilen DEKRA Fahrsimulators sind gezählt. Tatsächlich arbeitet Thorsten Straube bereits am Lastenheft für ein völlig neues System, das auf mittlere Sicht in der DEKRA Akademie den Dienst antreten soll. Die Logik dahinter liegt auf der Hand: Auch wenn der aktuelle Fahrsimulator immer noch als Spitzenprodukt gelten darf, ist er nicht mehr zeitgemäß. Schließlich haben in den letzten Jahren die Technologien der Nutzfahrzeuge einen großen Sprung nach vorne gemacht – auch im Hinblick auf die elektronischen Assistenzsysteme. Gleichzeitig hat sich bei der Entwicklung der Simulatortechnologie enorm viel getan. Und wohin könnte jetzt die Reise gehen? Großes Potenzial sieht Straube bei den neuen Bewegungssystemen.
„Wir legen großen Wert auf ein System, das schnelle und präzise Bewegungen ermöglicht, um eine realistische Darstellung der Fahrzeugdynamik zu erreichen“, erklärt Straube. Um dieses Ziel zu erreichen, muss heute nicht mehr die gesamte Kabine in Bewegung gesetzt werden, sondern nur noch der Fahrersitz. Dazu reichen aber einige wenige Aktuatoren, die direkt am Sitz fixiert sind. Spitzenprodukte können Vibrationen, Stöße und Beschleunigungskräfte direkt auf den Fahrersitz übertragen – eine automatische Notbremsung zum Beispiel ließe sich auf diese Weise nahezu perfekt simulieren.
Die Software entscheidet über eine realitätsnahe Gestaltung der Umwelt
Weit oben im Lastenheft steht auch eine moderne Grafik-Engine, mit der sich die Interaktion von Fahrer, Fahrzeug und Verkehrsumgebung in der virtuellen Welt realitätsnah gestalten lässt. Eine zentrale Rolle spielt hier die Fahrsimulationssoftware. Eine hochwertige Gestaltung der Szenarien mit umfassender Bebauung sowie realistischen Fahrbahnbreiten und Kurvenradien trägt dazu bei, dass der Proband die Umwelt im Simulator auf ähnliche Weise wie in der Realität wahrnimmt. Dabei basiert das Verhalten des simulierten Fahrzeugs auf ausgefeilten physikalischen Modellen, während das Verhalten der Verkehrsteilnehmer in den jeweiligen Szenarien auf neueste Modelle der Verkehrssimulation zurückgeht. Das i-Tüpfelchen einer hoch entwickelten Simulationssoftware wäre ein Soundmodell, das die Geräusche des simulierten Fahrzeugs und die der anderen Verkehrsteilnehmer nachempfindet. Mit diesen zusätzlichen Informationen könnte der Fahrer die aktuelle Verkehrslage im Simulator noch besser einschätzen.
Für Thorsten Straube ist es am Ende nur folgerichtig, wenn die Neukonzeption des DEKRA Fahrsimulators auch die mobile Basis in den Blick nimmt. Die bisherige Lösung mit einem kompletten Sattelzug wäre dem Experten jedenfalls eine Nummer zu groß. Straube hat festgestellt, dass sich die Lkw-Kabine des Simulators auch in einem größeren Pkw-Anhänger mit entsprechendem Ausschub unterbringen ließe. Anstatt eines Zugfahrzeugs mit Anhänger könnte dann ein handlicher Transporter übernehmen. Der Gewinn wären deutlich mehr Flexibilität und geringere Transportkosten.
Hochleistungs-Fahrsimulatoren in Europa
Der europäische Markt für Hochleistungs-Fahrsimulatoren ist vergleichsweise übersichtlich. In Deutschland sind es Unternehmen wie SiFaT RoadSafety (Berlin) und SimuTech Gesellschaft für Fahrsimulation (Bremen), die Simulatoren in originalen Lkw-Kabinen mit entsprechenden Bewegungsplattformen anbieten. Aus französischer Produktion kommen die in Marseille und Montpellier gebauten Simulatoren von Ediser, in Polen setzt das mit Kraus-Maffei Wegmann kooperierende Unternehmen Autocomp Management in Szczecin die Geschichte des KMW-Simulators fort. Ebenfalls aus Polen kommt Hersteller Motion Systems aus Nadolice Wielkie mit seinem Lkw-Simulator TS-10, der auf der Verwendung einer Mercedes-Kabine basiert. Im spanischen San Sebastián schreibt sich das Unternehmen Lander Simulation & Training Solutions die Entwicklung maßgeschneiderter Simulatoren für die Ausbildung von Berufskraftfahrern auf die Fahnen.