Recycling: Denken in Stoffkreisläufen
Author: Michael Vogel
Die EU-Kommission beabsichtigt, die Vorgaben für das Recycling von Fahrzeugen zu verschärfen. Und auch die Elektromobilität wird weitere Veränderungen mit sich bringen. Dabei sind Autos schon jetzt weltweit das am meisten recycelte Produkt.
Autos sind langlebige Produkte. Oft werden sie länger als 20 Jahre genutzt, wenn auch durch verschiedene Besitzer. Doch irgendwann ist Schluss – dann geht es um die Entsorgung. Und auch da hebt sich das Auto positiv ab: Es ist weltweit das am häufigsten recycelte Verbraucherprodukt. Laut dem Marktforschungsunternehmen Transparency Market Research sind die Recyclingraten in Europa und Nordamerika besonders hoch, dagegen steige das Bewusstsein bei Schwellenländern im Raum Asien-Pazifik erst in der jüngsten Zeit. Im weltweiten Schnitt liege die Recyclingquote bei 80 Prozent, bezogen auf das Fahrzeuggewicht.
Strenge Recycling-Quoten in der EU
In der EU müssen seit 2015 mindestens 95 Gewichtsprozent eines durchschnittlichen Fahrzeugs wiederverwendet oder verwertet werden, Letzteres kann auch energetisch geschehen: Durch Verbrennen entsteht dann Wärme oder Strom. 85 Gewichtsprozent müssen gar wiederverwendet oder stofflich verwertet, also recycelt werden. Laut der Statistikbehörde Eurostat lag die Quote 2019 – aktuellere Zahlen gibt es nicht – im Länderschnitt bei 89,6 Prozent. Erfasst wurden hierbei 6,1 Millionen Fahrzeuge aus den 27 EU-Ländern sowie aus Island, Norwegen und Liechtenstein. Ein Teil der ausgedienten Fahrzeuge wird illegal als Gebrauchtwagen deklariert und in Länder außerhalb der EU verschifft, wo sie unter mangelnden Umwelt- und Sicherheitsstandards verwertet werden. Die Zahlenangaben, wie viele Fahrzeuge diesen Weg nehmen, schwanken je nach Quelle stark. Das Brüsseler Büro der Heinrich-Böll-Stiftung schätzt: etwa vier Millionen Fahrzeuge.
Die zertifizierte Recyclingbranche geht bei der Zerlegung eines ausgedienten Fahrzeugs in mehreren Schritten vor. Zunächst werden gut erhaltene Bauteile ausgebaut, um sie nach Wiederaufbereitung und Test zurück in den Markt zu bringen. In den USA hat dies tendenziell eine größere Bedeutung als in Europa. Auch sämtliche Flüssigkeiten wie Kraftstoff, Kühl- und Kältemittel, Öle und Bremsflüssigkeit werden abgelassen. Ist das Fahrzeug ausgeschlachtet, wandert es in die Presse und dann in den Schredder.
Übrig bleiben ungefähr faustgroße Stücke, die dann in mehreren Schritten mit verschiedenen Verfahren maschinell nach Materialien getrennt werden. Es erfolgt eine Sortierung nach Metallen, Kunststoffen und Reststoffen, teils noch weiter differenziert in Untergruppen, etwa magnetische Metalle. Zu dieser Untergruppe gehören zum Beispiel Stähle, die dann wieder in den Kreislauf der Stahlherstellung zurückgeführt werden. Laut der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde erfordert die Produktion von Stahl aus Altstahl knapp drei Viertel weniger Energie als die Stahlproduktion aus Eisenerz.
Heterogene Recycling-Branche
Die Fahrzeug-Recyclingbranche ist sehr heterogen. Von zahlreichen kleineren Betrieben bis zu weltweit tätigen Konzernen tummelt sich hier alles. Die Namen vieler Unternehmen sind wenig bekannt, doch es gibt auch Ausnahmen: Volkswagen und Toyota sind ebenfalls im Recyclinggeschäft aktiv. Die Elektromobilität wird bei den Marktteilnehmern weitere Veränderungen mit sich bringen. So will zum Beispiel Mercedes-Benz 2023 ins Recyling von Hochvoltbatterien einsteigen. Die Rückgewinnung und Weiterverwertung von Lithium und anderen Batteriemetallen wie Nickel oder Cobalt wird maßgeblich für die Nachhaltigkeitsbilanz von Stromern sein. Ähnlich steht es um die in Stromern verbaute Leistungselektronik: Das Öko-Institut beziffert die wiedergewinnbaren Metallmengen aus einer Million Elektrofahrzeuge auf sieben Tonnen Zinn, 85 Kilogramm Gold, 300 Kilogramm Silber, 17 Kilogramm Palladium und 70 Tonnen Kupfer.
Nachhaltigere Fahrzeuge erfordern ein Mehr an Recycling, um die Stoffkreisläufe zu schließen. So ist es kein Wunder, dass die Marktforschungsfirma Imarc Group für diesen Weltmarkt bis 2026 ein jährliches Wachstum von fünf Prozent erwartet. 2020 hatte er ein Volumen von 20,6 Milliarden US-Dollar. Auch die europäischen Pläne im Rahmen des Green Deal befeuern dieses Wachstum. Die EU-Kommission beabsichtigt, die Vorgaben für das Recycling zu verschärfen. So sollen zum Beispiel die rund 40 verschiedenen Kunststoffarten, die in Fahrzeugen zu finden sind, besser recycelbar werden.
Auf der Suche nach neuen energieeffizienten Trennverfahren
Kunststoffe helfen dabei, Fahrzeuge leichter und damit energieeffizienter zu machen. Stoßfänger, Sitzpolster, Armaturenbretter, Türverkleidungen, Kabelummantelungen und Dichtungen bestehen aus Kunststoffen. Sie machen 150 bis 200 Kilogramm des Fahrzeuggewichts aus. Die unvollständige Aufzählung verdeutlicht, wie vielfältig die Einsatzgebiete von Kunststoffen sind. Bislang werden sie vor allem energetisch verwertet. Für eine hochwertige Zweitverwertung, am besten wieder im Auto, laufen einige Forschungsprojekte. Ziel ist es dabei, neue wirtschaftliche und energieeffiziente Trennverfahren zu entwickeln.
Besonderes Kopfzerbrechen bereiten auch Faserverbundwerkstoffe. Es sind Kunststoffe, die mit Kohlenstofffasern verstärkt wurden. CFK ersetzt tragende und sicherheitsrelevante Stahlteile, was eine deutliche Gewichteinsparung mit sich bringt. Auch wenn die Rolle von CFK im Automobilbau nicht so rasch an Bedeutung gewinnt, wie einst vermutet, bleibt das Recyclingproblem virulent. Derzeit lässt sich CFK nur energetisch verwerten, weil die Bestandteile schwer zu trennen sind. Und auch dafür bedarf es spezieller Anlagen, sonst könnten krebserregende Partikel übrigbleiben.
Jetzt will die Automobilindustrie bereits beim Design neuer Fahrzeuge verstärkt an Wiederverwertung und Recycling denken. Das führte schon zu ersten Bauteilen, die vollständig aus recycelten Kunststoffen bestehen, die aus Altfahrzeugen stammen. Zudem sind international vereinheitlichte Anleitungen für die Zerlegung von Baugruppen entstanden, damit sich die Verwerter leichter tun. BMW zeigte auf der letztjährigen IAA Mobility mit dem BMW i Vision Circular eine Designstudie, die zu 100 Prozent aus Altmaterial und nachwachsenden Rohstoffen bestand. Bis es so etwas in Serie geht, werden allerdings noch viele Fahrzeuge in den Schredder wandern.
„Lebenszyklus-Analysen decken Schwachpunkte auf“
DEKRA unterstützt Kunden mit Critical Reviews, Bestätigungen und Verifizierungen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Gerade bei Lebenszyklusanalysen von Produkten geht es dabei auch immer wieder um das Thema Recycling. Drei Fragen an Christina Bocher, Nachhaltigkeits-Expertin und Business-Line-Manager Sustainability in der Service-Division Consulting.
Wo sehen Sie weitere Stellschrauben beim Recycling von Fahrzeugen?
Bocher: Nach wie vor bei den Schredder-Resten, also dem, was übrigbleibt, nachdem das Fahrzeug zerlegt, verwertet und zerkleinert wurde. Denn der Trend zur Leichtbauweise verändert die schon heterogene Zusammensetzung, weil Leichtstoffe wie Polymere oder Aluminium zunehmen. Bei den vielen verschiedenen Kunststoffarten gibt es auch noch Potenzial. Die Herausforderung liegt hier in der Materialtrennung, um Sortenreinheit zu erlangen. Außerdem wird durch die Elektromobilität natürlich das Recycling von Batteriematerialien relevant.
Kann ein Zuviel an Recycling die Lebenszyklusanalyse eines Produkts verschlechtern?
Bocher: Recycling hat immer auch Umweltauswirkungen. Je nach Technologie kann ein Recyclingverfahren mehr oder weniger effizient und energieintensiv sein. Auch kommt es auf den Werkstoff an. In manchen Fällen kann die thermische Verwertung unterm Strich nachhaltiger sein als Materialrecycling. Für die Lebenszyklusanalyse eines Produkts ist es auch entscheidend, ob die recycelten Materialien im Stoffkreislauf verbleiben oder in einem anderen eingesetzt werden, dann meist für niederwertigere Produkte. Um es am Beispiel der PET-Flasche zu verdeutlichen: Werden aus PET-Recyclat Fasern für Kleidungsstücke hergestellt, fehlt dieses PET im eigenen System und damit für die Herstellung neuer Flaschen. Dies würde die Lebenszyklusanalyse der gesamten PET-Flasche verschlechtern.
Was lernt man aus Lebenszyklusanalysen, was nicht?
Bocher: Sie ermöglichen Produkte hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen zu bewerten und Schwachstellen aufzuzeigen. Dabei muss der gesamte Lebenszyklus konsequent von Anfang bis Ende betrachtet werden. Lebenszyklusanalysen sind aber immer ein Kompromiss. Letztlich erstellt man ein Modell, trifft vereinfachte Annahmen über die Realität. Und am Ende muss abgewogen werden, ob bei der Produktentwicklung zum Beispiel der CO2-Fußabdruck auf Kosten der Wasserqualität oder Biodiversität verbessert wird oder nicht. Die Grenzen des betrachteten Systems sind entscheidend. Daher ist es auch so wichtig, die Fragestellung, die einer Lebenszyklusanalyse zugrunde liegt, sehr präzise zu formulieren.