Was für ein Theater!

Author: Achim Geiger

07. Sept. 2022 Sicherheit bei der Arbeit

Als Theater-Profi übernimmt Felix Malkowski mit Vorliebe tragende Rollen auf der Bühne. Applaus aus Rängen und Parkett darf er dafür allerdings nicht erwarten. Sein Part ist die Sicherheit der Veranstaltungstechnik – dazu nimmt der DEKRA Experte meistens gleich das ganze Theater in Beschlag. Aktuell steht ein Engagement bei den Münchner Kammerspielen auf dem Dienstplan.

Wenn Radfahrer freihändig auf dem Hochseil fahren, Göttervater Wotan mit Getöse aus dem Nichts erscheint und geflügelte Fabelwesen durch fantastische Kulissen schweben – dann dreht die Illusionsmaschine Theater auf hohen Touren. Aber auch wenn die Kunst auf der Bühne das Sagen hat, gelten trotzdem die Gesetze der Physik. Das Spektakel gelingt nur deshalb, weil hinter den Kulissen Tragwerk, Maschinentechnik und elektronische Steuerung perfekt ineinandergreifen. Tatsächlich ist die Technik im Theater eine eigene Welt. „Die Bühnentechnik ist in der Regel Sondermaschinenbau, der von spezialisierten Herstellern für einen einzigen Anwendungsfall geplant, ausgeführt und mit Sicherheitstechnik ausgestattet wird“, erklärt Felix Malkowski, Sachverständiger für Maschinen- und Anlagentechnik bei DEKRA in Nürnberg.
Der 38-Jährige kennt sich auf den Brettern, die die Welt bedeuten, bestens aus. Er hat nicht nur eine Ausbildung als Fachkraft für Veranstaltungstechnik am Theater in der Tasche, sondern auch einen Meistertitel im Bereich Theater- und Bühnentechnik. Als Bühnenmeister war er fünf Jahre lang für das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel unterwegs, das als Tourneetheater einige Hundert Gastspiele im Jahr in Nordrhein-Westfalen absolviert. Anschließend hat sich Malkowski mit einem Maschinenbaustudium neue berufliche Perspektiven rund ums Theater erschlossen: Bei einem internationalen Bühnenplaner in Bayreuth war er fünf Jahre als Projektleiter tätig, bevor er 2019 zu DEKRA wechselte.
Nur ermächtigte Sachverständigen dürfen prüfen
„Eine Besonderheit der Bühnentechnik besteht darin, dass Lasten über Personen schweben und bewegt werden dürfen“, weiß Malkowski. Die entsprechenden Regeln im Hinblick auf Betriebssicherheit und Unfallverhütung gibt die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) vor. Demnach müssen sicherheits- und maschinentechnische Einrichtungen in Veranstaltungs- und Produktionsstätten für szenische Darstellung mindestens alle vier Jahre geprüft werden. Dieser Job ist ausschließlich den ermächtigten Sachverständigen vorbehalten, die nach erfolgreichem Examen von der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) in Hamburg ernannt werden. Auch DEKRA Experte Felix Malkowski gehört zu diesem illustren Kreis. Seine Kunden sind zum Beispiel Unternehmen und Dienstleister aus den Bereichen Film, Funk, Fernsehen, Schauspiel und Musiktheater, aber auch Messen, Ausstellungsmacher und Museen – hier wie dort sind häufig schwebende Lasten über Personen im Spiel. Auch wenn ein Shoppingcenter seine Weihnachtsdekoration über der Verkaufsfläche aufhängt, ist der Betreiber zur Prüfung nach der Betriebssicherheitsverordnung verpflichtet.
Bei den Münchner Kammerspielen hat DEKRA eine tragende Rolle
Ein besonderes Engagement sieht der Dienstplan von Felix Malkowski im September in der bayerischen Landeshauptstadt vor. Für die Münchner Kammerspiele – eines der bedeutendsten Sprechtheater im deutschsprachigen Raum mit knapp 700 Zuschauerplätzen – übernimmt DEKRA während der Sommerpause die wiederkehrende Prüfung der Veranstaltungstechnik. Dazu nimmt Malkowski das komplette Theater in Beschlag. Allerdings stellen die Münchner dem Sachverständigen bei Bedarf einen Techniker des Theater-Teams zur Verfügung, der die Anlage bestens kennt. Das Angebot nimmt Malkowski gerne an – immerhin kommen allein im Bühnenbereich bis zu 50 Maschinenzüge zum Einsatz, die für eine zeitgleiche Bewegung miteinander verbunden werden können. Damit lassen sich große und schwere Dekorationselemente auf den Millimeter genau positionieren. Auch das szenische Fliegen von Darstellern ist mit speziellen Antrieben möglich. Dass sich zur gleichen Zeit andere Personen im Bereich der Bewegungsfläche aufhalten dürfen, ist nur dank zahlreicher Sicherheitsfunktionen möglich – bei einem Antrieb können bis zu 14 verschiedene elektronisch geregelte Schutzmaßnahmen zum Einsatz kommen, die untereinander Geschwindigkeit, Position und Lastverhalten abgleichen.
Der Maschinist muss sich stets auf die Technik verlassen
Dass Sicherheit in diesem Fall großgeschrieben wird, liegt auf der Hand. Aber warum gelten im Theater überhaupt verschärfte Sicherheitsauflagen? „Dazu muss man sich vor Augen halten, wie eine Anlage häufig gesteuert wird“, berichtet Theater-Profi Malkowski. Der Maschinist, der die fliegenden Darsteller und Dekorationselemente auf der Bühne bewegt, sitzt häufig im Bereich der Seitenbühne. Dort hat er aber nur ein eingeschränktes Sichtfeld auf seine Lasten. Als zusätzliches Handicap können schlechte Lichtverhältnisse dazukommen, gerne auch in Kombination mit künstlichem Nebel. Wenn dann noch die Regie verlangt, dass eine Bewegung exakt im Einklang mit der Musik stattfindet, hat es der Maschinist mit einer Reihe von Unsicherheitsfaktoren zu tun – er muss sich also vollständig auf die Antriebs- und Steuertechnik verlassen.
In der Bühnentechnik eines Theaters gilt stets das Grundprinzip der Einfehlersicherheit, das bei der wiederkehrenden Prüfung im Umfang der Abnahmeprüfung verifiziert wird. Einfehlersicherheit bedeutet, dass ein Fehler in der Anlage – egal welcher – nicht dazu führen darf, dass die Anlage in einen gefährlichen Zustand gerät. Aus diesem Grund sichert man alles doppelt ab – es gibt nicht nur eine Bremse am Antrieb, sondern zwei, die unabhängig voneinander arbeiten. Fällt eine Bremse aus, kann die andere die Last übernehmen. Außerdem überwachen sich die verschiedenen Systeme gegenseitig – Bremsen, Steuerungstechnik und Antrieb müssen alle Abweichungen zum Soll-Zustand bemerken und die Anlage sicher zum Stehen bringen können.
Wenn zehn Tonnen Dekoration an einem einzelnen Maschinenzug hängen
Ein typisches Szenario, das Felix Malkowski bei seiner Prüfung durchspielt, ist die Bewegung eines zehn Tonnen schweren Deckenelements, das gemeinsam von vier Maschinenzügen gehoben wird. Stellt jetzt einer dieser Züge fest, dass er ein Problem hat und hält in der Folge an, kommt es entscheidend darauf an, wie sich die anderen Maschinenzüge in dieser Situation verhalten. Wenn die Systeme auch nur ein kleines Stück weiter abfahren, würde die gesamte Last an dem defekten Maschinenzug hängen bleiben – der wäre dann auf einen Schlag völlig überlastet. „Bei jeder Prüfung ist genau abzuwägen, wie sich der entsprechende sichere Zustand darstellt“, beschreibt Malkowski sein Vorgehen. Dabei geht es nicht nur darum, einen möglichen Defekt aufzuspüren. Im Prinzip erfolgt eine logische Prüfung, ob die Abläufe und die Kommunikation der Maschinenzüge untereinander funktionieren.
Bei fliegenden Bauten muss der DEKRA Experte passen
Eine Woche lang ist der Malkowski in der Sommerpause bei den Münchner Kammerspielen in Sachen Sicherheit zu Gast. Dabei ist das Zeitfenster durchaus knapp bemessen. Schließlich gibt’s in diesem Theater nicht nur Lasten, die von oben kommen. In der Untermaschinerie etwa gehören auch mehrere hydraulische Versenkungstische zum Portfolio, die das szenische Auftauchen oder Verschwinden eines Darstellers ermöglichen. Auch hier muss die Maschinen- und Sicherheitstechnik auf Herz und Nieren geprüft werden. Und wenn das Engagement beendet ist? Könnte der DEKRA Experte vielleicht auch auf dem legendären Oktoberfest einen Auftrag übernehmen? Schließlich spielen Achterbahnen, Riesenräder, Geisterbahnen und Karussells als technische Anlagen in einer ähnlichen Liga wie Veranstaltungstechnik im Theater?
„Genau das stimmt nicht“, schränkt Felix Malkowski den Rahmen seines Portfolios ein. Die Erklärung ist juristischer Natur: Die Fahrgeschäfte auf der Wiesn in München firmieren als fliegende Bauten – vergleichbar mit einem festen Gebäude, auch wenn die Anlage selbst nicht fest mit dem Boden verbunden ist. Trotzdem fallen sie in den gleichen Rechtsbereich wie feste Gebäude – hier ist dann nicht die Betriebssicherheitsverordnung, sondern die Landesbauordnung für das Genehmigungsverfahren zuständig.