Gefährdungsanalyse in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
Schmuck, Gemälde, Statuen, Pokale, seltene Möbel: In Dresden, einem der bedeutendsten Fürstenhöfe der Neuzeit, kann man heute die Sammlungen in den wieder aufgebauten Prachtbauten wie dem Zwinger und dem Residenzschloss bewundern. Doch Kunst ist fragil und leicht zerstört. DEKRA Mitarbeiter Thomas Knippschild hat bei der Gefährdungsanalyse das große Ganze im Blick.
Die Bilder aus dem Jahr 2002, als die Elbe nach Dauerregen 9,40 Meter hoch stand, sind noch vielen präsent. Sie zeigen unter anderem den vollständig überfluteten Zwinger-Innenhof. Viele Kunstschätze, darunter sechs großformatige Gemälde und 17 Bilder auf Gemäldetrommeln sowie 300 historische Holzrahmen, konnten bei einer Notbergungsaktion unter anderem wegen ihrer Größe nicht aus den unterirdischen Depots geholt werden. Sie mussten anschließend aufwändig restauriert werden oder waren zerstört. 28 Millionen Euro Schaden meldeten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) dem Sächsischen Kunstministerium nach der Flut. Das Wasser hatte nicht nur nach den Kunstbeständen gegriffen und Wertvollstes bedroht, sondern auch Gebäude und Technik zerstört.
Risiken und Gefahren im Museum
„Ein ziemlich guter Anlass, über ein funktionierendes Hochwassermanagement und eine umfassende Gefährdungsanalyse nachzudenken“, resümiert Michael John, Leiter des Gebäudemanagements der SKD und damit verantwortlich für den sicheren Betrieb von 15 Museen und fünf Sammlungen. Angesichts des Hochwassers war klar, dass sich etwas ändern musste in der Betrachtung der Risiken, denen rund 4.650 Bilder und rund 11.000 Objekte aus der Skulpturensammlung in Dresden ausgesetzt sind: Neben Wasser stellen Feuer, Sturm oder auch Diebstahl existenzielle Gefahren für sie dar. Aber auch unsachgemäße Lagerung oder Transport, zu geringe oder zu hohe Feuchtigkeit in der Luft, Schädlinge oder Schadstoffe, die vom Menschen – Besucherinnen und Besuchern, Restauratorinnen und Restauratoren, Wach- und Aufsichtspersonal – ausgehen, sind potenzielle Bedrohungen für die Kunst.
Thomas Knippschild (47) vom DEKRA Fachbereich Mensch und Gesundheit hat all diese Gefahren konstant im Blick, denn er ist speziell dafür von den SKD als Fachkraft für Risikomanagement engagiert. Angefangen hat alles im Jahr 2004, als ihn sein damaliger Abteilungsleiter an der DEKRA Niederlassung Erfurt ansprach, ob er nicht Lust auf einen „eher ungewöhnlichen Auftrag“ in Dresden habe. Es ginge um das Aufsetzen eines Hochwassermanagementplans nach der Flutkatastrophe im Vorjahr. Er sagte zu und sagt heute: „Es war die beste Entscheidung meines Lebens.“ Aus dem einen Projekt entwickelte sich im Lauf der Jahre ein Portfolio, das von der Risikoanalyse bis hin zum Arbeitsschutz für die Mitarbeitenden reicht. Im Auftrag der SKD betreut Knippschild fast alle deren Liegenschaften, darunter die Semperoper, das Residenzschloss Dresden, das Ständehaus und Schloss Pillnitz. Darüber hinaus ist seine Expertise bei der Konferenz nationaler Kultureinrichtungen (KNK) als Autor und Referent gefragt. Michael John behauptet: „An Thomas Knippschilds Fachwissen kommt in Dresden und weit darüber hinaus keiner vorbei. Er hat sich über die Jahre seinen ganz eigenen ,Erfahrungs-Schatz‘ aufgebaut.“
Von der Gefährdungsanalyse zum Maßnahmenplan
Wie aber kommt DEKRA hier ins Spiel? Knippschild ist kein Experte für Kunstobjekte oder deren Restaurierung. „Mein Job besteht im Grunde genommen darin, einem ganzen Team von Fachleuten gut zuzuhören und die gewonnenen Informationen, Hinweise und Angaben zu einer Gefährdungsanalyse und später zu einem Maßnahmenplan zu verdichten“, so Knippschild.
Ein gutes Beispiel ist der Hochwasser-Notfallplan, der vorgibt, was im Falle eines Falles einer Überflutung zu tun ist und von wem. Auf Anregung von Thomas Knippschild gibt es für alle Ausstellungsräume so genannte Laufkarten. Im handlichen DIN A5-Format stellen kleine Bilder sogar die einzelnen Kunstwerke dar. So können auch betriebsfremde Hilfskräfte, beispielsweise von der Feuerwehr, auf einen Blick erkennen, was zu tun ist. „Die Fragen bei einer Evakuierung sind immer dieselben“, so Knippschild. „Welche Kunstwerke sind am wertvollsten, sollten also zuerst von den Wänden oder von ihren Sockeln? Welche davon sind für eine Person leicht zu transportieren, für welche großformatigen Werke braucht es mehrere Personen? Wo kommen die Gemälde oder kunsthandwerklichen Relikte dann hin? Und so weiter und so fort.“ Denn wenn die Pegel steigen, muss es schnell gehen.
DEKRA Expertise verhilft zu mehr Sicherheit bei Hochwasser
Die akuten Evakuierungspläne werden natürlich ergänzt durch vorbeugende bauliche Maßnahmen, die heute im so genannten Notfallverbund organisiert werden. Alles zusammen funktioniert so gut, dass Dresden heute sein Hochwasser im Griff hat. Auch dank der Pläne von Thomas Knippschild und der ergriffenen Maßnahmen verursachte die zweite Flutwelle des 21. Jahrhunderts im Jahr 2013 mit einem Pegelstand von 8,78 Metern nicht annähernd so großen Schaden wie noch 2002. Der Innenhof des Zwingers blieb trocken. Eine weitere Maßnahme: Die Depots für die Kunstwerke sind in der Zwischenzeit überirdisch angelegt.
Die Arbeitssicherheit stets im Blick
Nicht nur der Kunst drohen Gefahren durch Wasser, Feuer oder UV-Strahlung, auch von den Gegenständen selbst können Gefahren ausgehen. Beispielsweise durch giftige Chemikalien, die frühere Generationen – in guter Absicht – zum Schutz vor Schädlingen anwendeten. Unter anderem wurden Objekte aus Holz vor dem Nagekäfer geschützt. Heute können dadurch aber Gefahren für Museumsmitarbeitende entstehen, etwa wenn diese die Rückstände einatmen oder über die Haut aufnehmen. Thomas Knippschild in seiner Eigenschaft als Fachkraft für Arbeitssicherheit muss dies bei den SKD ebenso im Blick haben. In Zusammenarbeit mit dem DEKRA Labor in Halle strengte der Experte eine groß angelegte Untersuchung vieler Sammlungsgegenstände an, um die Gefährdungslage zu beurteilen und daraus Maßnahmen abzuleiten. Seitdem sind Abzugshauben, Schutzhandschuhe und Laborkleidung beispielsweise an bestimmten Arbeitsplätzen in den Restaurationswerkstätten der SKD vorgeschrieben.
Mein Job besteht im Grunde genommen darin, einem ganzen Team von Fachleuten gut zuzuhören und die gewonnenen Informationen, Hinweise und Angaben zu einer Gefährdungsanalyse und später zu einem Maßnahmenplan zu verdichten.
Thomas Knippschild, Produktmanager Arbeits- und Gesundheitsschutz