Geruchsmessungen: Immer der Nase nach

05. Juli 2023
Mitten im Industriegebiet von Sindelfingen, südwestlich von Stuttgart, befindet sich die Kläranlage eines großen Entsorgungs-Zweckverbands. Eine turnusmäßige Routineprüfung steht an. Der Transporter von Jürgen Bachmann und Steffen Gerdung von der Messstelle für Luftreinhaltung ist vollgepackt mit merkwürdigen Gerätschaften. Zum Vorschein kommt eine verstärkte Plexiglasröhre, gefüllt mit einem Hauch von nichts. Die Röhre dient unter anderem zum Schutz eines Probenbeutels. Der wiederum ist nichts anderes als ein handelsüblicher Bratschlauch. Mit dieser Vorrichtung sammeln die DEKRA Kollegen geruchsbeladene Luft ein. Jürgen Bachmann erklärt: „Damit haben wir ein lebensmittelechtes Material, das die Proben nicht beeinflusst.“ Mit einer kleinen Pumpe wird die Röhre evakuiert, so dass die Luft der Geruchsquelle durch den Unterdruck in den Beutel gesaugt wird. Wichtig dabei: Geruchsneutrale Komponenten sollten möglichst wenig Kontakt zur Probenluft haben. „Sonst“, sagt Jürgen Bachmann, „hätten wir eine Verunreinigung des Testmaterials.“

Geruchsproben der besonderen Art

Eine besondere Sonde ist die belüftete Probenahme-Haube. Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn es gilt, an nicht durchströmten Flächen, die aktiv keinen Geruch an die Luft abgeben, zu messen. Wie etwa im Vorklärbecken in Sindelfingen, das Bachmann und Gerdung an diesem Tag untersuchen. Das System besteht aus einer Haube, die mit zwei Radialgebläsen mit konstantem Volumenstrom zwangsdurchlüftet wird. Das Zuluftgebläse saugt über einen Aktivkohlefilter gereinigte Außenluft von oben in eine Ecke der Haube. Von dort aus verteilt sich die Luft über die gesamte normgerechte Haubenfläche, nimmt dabei die abgebenden Geruchsstoffe auf und wird an der gegenüberliegenden Ecke vom zweiten Radialgebläse abgesaugt. Vor dem zweiten Gebläse wird die Luft für die Probe abgezweigt. 30 Minuten dauert die Prozedur im Regelfall.

Die menschliche Spürnase

Doch damit allein ist die Probe noch nicht ausgewertet. Das ganze Equipment dient nur dem Sammeln der Geruchsstoffe. Steffen Gerdung macht deutlich, warum eine Sensorik hier nicht hilft: „Eine elektronische Spürnase‘ müsste für jeden Stoff neu kalibriert werden. Wenn man weiß, dass der Odem eines Schweinestalls sich aus mehreren tausend Geruchskomponenten zusammensetzt, erkennt man die Grenzen der Technik. Es gibt noch kein technisches Messgerät, das eine solche Vielzahl von Gerüchen messen kann.“ Deshalb kommt jetzt der Mensch ins Spiel: Der Mensch und seine Nase, die Sonde für den hochkomplexen Riechapparat. Der Berufsverband der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte beschreibt den menschlichen Geruchssinn so: „Im Geruchsorgan der Nase werden Duftstoffe aus der Atemluft verarbeitet. Über die Riechschleimhaut im Inneren der Nase werden Duftmoleküle aus der eingeatmeten Luft aufgenommen, die dann über Riechnerven an den Riechkolben und weiter zu bestimmten Riechzentren im Gehirn geleitet werden. Dieser Vorgang geschieht innerhalb von Sekunden – wir nehmen den Geruch als angenehm oder unangenehm wahr, ordnen ihn bestimmten Erinnerungen, bekannten Gerüchen zu.“ Übrigens: Die meisten Menschen können bis zu 10.000 Gerüche unterscheiden. Schwierig ist es nur, sie zu benennen.

Normen und Standards für die Nase

Die Geruchsmessung findet im nach DIN EN ISO/IEC 17025 zertifizierten DEKRA Labor in Stuttgart statt. Dort steht ein sogenanntes Olfaktometer. In dieses Gerät kommt die zuvor gewonnene Geruchsprobe. Mindestens vier Geruchsprüfer und Geruchsprüferinnen müssen diese am Olfaktometer beurteilen. Dass die Messung korrekt abläuft, überwachen Jürgen Bachmann und Steffen Gerdung wechselweise als Prüfungsleiter. Gerdung: „Gerüche sind sehr subjektiv, deshalb braucht es das mehrköpfige Testpanel.“ Die Anforderungen an die Prüferinnen und Prüfer sind in VDI-Richtlinien und DIN-Normen konkret definiert. Ganz entscheidend: Es sind keine Supernasen gefragt. Mit einem Eignungstest wird vorab sichergestellt, dass Prüfer die Durchschnittsnase repräsentieren und sie damit weder zu empfindlich noch zu unempfindlich sind. Das rund 20-köpfige Testteam wird akribisch auf seine Aufgabe vorbereitet und auf die Tagesform getestet. Bachmann: „Nicht nur Schnupfen oder Nebenhöhlenentzündung beeinträchtigen das Riechvermögen. Jeder von uns hat eine nasale Tagesform.“ Deshalb wird vor jedem Test die aktuelle Form getestet. Zur Kalibrierung der Nase werden Riechproben durchgeführt, anfangs mit gerösteten Kaffeebohnen, danach mit n-Butanol und Schwefelwasserstoff in unterschiedlicher Konzentration. So wird festgestellt, ob sich der Kandidat im Normbereich befindet. Dann geht es los. Denn nach der Probeentnahme bleiben nur sechs Stunden bis zur Auswertung. Jürgen Bachmann: „Gerüche sind nicht nur subjektiv, sondern auch flüchtig.“

Gerüche sind sehr subjektiv, deshalb braucht es ein mehrköpfiges Testpanel.

Steffen Gerdung, DEKRA Messstelle für Luftreinhaltung