Wer, wenn nicht wir

16. Dez. 2022 Innovation / Konzern

In einer Welt der Ungewissheit steht auch DEKRA vor neuen Herausforderungen. Im Interview mit DEKRA solutions spricht der neue DEKRA CEO Stan Zurkiewicz über wegweisende Themen unserer Zeit und neue Möglichkeiten der Transformation.

Herr Zurkiewicz, was hat sich in Ihrem beruflichen Alltag verändert, seit Sie im April 2022 Vorstandsvorsitzender von DEKRA geworden sind?
Stan Zurkiewicz: In meinem Berufsalltag bin ich noch stärker eingespannt als vorher. Vor meiner Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden war ich als Vorstand für die Regionen, Operations und den Vertrieb zuständig, und diese Verantwortung habe ich auch heute noch. In meiner neuen Funktion als CEO geht es jedoch viel stärker um Strategie und Organisationskultur als um rein operative Themen. Die strategische Ausrichtung kommt weitgehend von mir und von meinen Vorstandskollegen Ulrike Hetzel und Wolfgang Linsenmaier. Auch der Stellenwert des Repräsentierens ist in meiner heutigen Arbeit stärker in den Vordergrund gerückt. Dazu gehören ebenso intensive Gespräche mit Regierungsbehörden und anderen Branchenvertretern.
Sie arbeiten für die Expertenorganisation DEKRA bereits seit vielen Jahren. Was haben Sie sich bis zum Ende des Jahres als CEO vorgenommen?
Zurkiewicz: Wenn man sich die derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa, aber auch anderswo auf der Welt anschaut, sind die Zeiten hart. Es ist wahrscheinlich, dass noch schwerere Zeiten auf uns zukommen. Meine Priorität für die nächsten Monate ist, DEKRA erfolgreich durch diese unruhigen wirtschaftlichen Gewässer zu steuern. Die Strategie 2025 ist eines der Themen: Hier sind wir auf einem guten Weg. Gemeinsam mit meinen Vorstandskollegen und den Executive Vice Presidents in den Regionen, Service Divisions und den Corporate Functions arbeiten wir einerseits intensiv an der Schärfung dieser Strategie und andererseits an der disziplinierten Umsetzung. Dabei stellen wir uns unter anderem folgende Fragen: Welche Art von Unternehmen wollen wir vielleicht erwerben? Mit welchen Unternehmen gehen wir Partnerschaften ein? Wie sieht unser Produktportfolio zukünftig aus? Darauf werden wir in den kommenden Monaten Antworten geben.
Die Vision 2025 von DEKRA lautet: „Wir werden der globale Partner für eine sichere und nachhaltige Welt.“ Wie wollen Sie das bis 2025 konkret erreicht haben? Und welche Meilensteine haben Sie heute schon erreicht?
Zurkiewicz: Sicherheit ist nach wie vor der Kern dessen, was wir sind und was wir tun. Aber im vergangenen Jahr haben wir die tiefgreifende und konsequente Entscheidung getroffen, unseren Auftrag um die Themen digitale Sicherheit („security“) und Nachhaltigkeit zu erweitern. Mit der digitalen Weiterentwicklung von Fahrzeugen, Maschinen und Anlagen wird die Bedeutung der Software immer wichtiger und damit auch die Cybersicherheit. Dazu kommt Nachhaltigkeit. Für mich ist das ein sehr entscheidendes Thema. Genau wie uns die Sicherheit seit fast 100 Jahren definiert, wird auch Nachhaltigkeit zum Kern unserer DNA. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit unserem Status als unabhängiger Dritter, mit unserer starken Marke und mit dem umfassenden Fachwissen unserer rund 48.000 Kolleginnen und Kollegen sehr gut aufgestellt sind. So können wir unsere Kunden bei der Erreichung ihrer Nachhaltigkeitsziele bestens unterstützen. Damit der Markt DEKRA als einen der kompetenten Nachhaltigkeitsdienstleister ansieht, müssen wir auch intern in puncto Nachhaltigkeit Spitze sein: Mit dem EcoVadis-Platin-Rating, das wir 2022 zum zweiten Mal in Folge erzielen konnten, haben wir bereits wichtige Schritte unternommen. Wir setzen diese wichtige Reise fort, um uns zu einem wirklich nachhaltigen, CO2-neutralen Unternehmen bis 2025 zu entwickeln.
Ein wesentlicher Treiber, um diese Vision zu erreichen, ist Ihre Strategie 2025 mit den fünf Corporate Focus Areas (CFA): Mobilität der Zukunft, Cybersicherheit, Remote Services, KI & Datenanalyse sowie Nachhaltigkeit. Über welche Erfolge können Sie heute schon berichten?
Zurkiewicz: Beginnen wir mit der Zukunft der Mobilität: Im Automobilsektor sind wir die international führende Organisation, wenn es um technische Sicherheitsdienstleistungen geht. Bei den Megatrends in der Mobilität sind vernetztes, automatisiertes, elektrisches Fahren sowie „Shared Mobility“ unabdingbar. Mit unserer Expertise und unserer Vordenkerrolle sind wir hier ganz vorne unter den TIC-Akteuren (Testing, Inspection, Certification). Wer, wenn nicht wir? Bei den anderen Fokus-Bereichen ist es auch unser Ziel, einer der weltweit führenden Player zu werden.
Welche drei besonderen Leuchtturmprojekte lassen sich herausgreifen?
Zurkiewicz: Es gibt mehrere Projekte, an denen wir parallel arbeiten. Aber eine der wohl spannendsten und innovativsten Dienstleistungen, die wir kürzlich entwickelt haben, ist eine Lösung zur Überprüfung des Batteriezustands in gebrauchten Elektrofahrzeugen. Während andere Lösungen mehrere Stunden für eine Messung benötigen und häufig eine vollständige Ent- und Aufladung der Batterie eines Elektrofahrzeugs erfordern, dauert unsere Dienstleistung nur wenige Minuten und erfordert kein Entladen der Batterie. Das spart Zeit und Kosten und ist viel nachhaltiger. Ein weiteres Beispiel: Wir wurden kürzlich von der kalifornischen Energiekommission ausgewählt, um ein einzigartiges „Vehicle-Grid Innovation Laboratory“ zu bauen. Das setzt den Maßstab für die Überprüfung der Interoperabilität von Ladestationen für Elektrofahrzeuge in den USA. Und im Bereich der Cybersicherheit waren wir einer der ersten technischen Dienste in Deutschland, der akkreditiert wurde, um großen Automobilherstellern entsprechende Dienstleistungen anzubieten. Wir konnten auch das Vertrauen von Technologiegiganten wie Google, Amazon und Apple gewinnen. Diese Unternehmen und ihre Zulieferer nutzen DEKRA regelmäßig, um die Cybersicherheit ihrer Produkte und Anwendungen zu bewerten. Außerdem bieten wir relevante Dienstleistungen in den Bereichen Consumer-IoT, Industrie, Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) oder medizinische Geräte an.
Stichwort CFA Cyber Security: Welche Dienstleistungen sind bei Cybersicherheit besonders relevant und werden stark nachgefragt?
Zurkiewicz: Die Nachfrage in allen Branchen, in denen wir tätig sind, ist extrem hoch. Unser Hauptengpass ist derzeit nicht die Nachfrage, sondern eher die Lieferkapazität. Wir haben daher beschlossen, unsere Ressourcen auf bestimmte Bereiche wie beispielsweise Cybersicherheit für Fahrzeuge zu konzentrieren. Angesichts unserer dominanten Position bei „Automotive TIC“ ist es für DEKRA besonders wichtig, eine Führungsposition im Bereich Cybersicherheit für Fahrzeuge zu erreichen. Aber es geht nicht nur um Automotive. Auch im industriellen Kontext gibt es wichtige Vorschriften für die Cybersicherheit kritischer Infrastrukturen. Außerdem ist Cybersicherheit auch zum Beispiel bei Medizinprodukten besonders wichtig: Wie Sie vielleicht wissen, gehören wir zu den führenden benannten Stellen für Medizinprodukte in Europa mit einer besonders starken Position im Segment der Hochrisikogeräte.
Mit der Entscheidung des EU-Parlaments zum Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2035 werden die Weichen im Automobilsektor neu gestellt. Was bedeutet dies für DEKRA Dienstleistungen wie beispielsweise Fahrzeugprüfung?
Zurkiewicz: Die Automobilindustrie befindet sich in einem Transformationsprozess. Das ist in Breite und Geschwindigkeit eine Entwicklung, wie wir sie noch nie erlebt haben. Das bevorstehende Ende des Verbrennungsmotors ist einer dieser Paradigmenwechsel. Für uns als weltgrößte Kfz-Prüforganisation wird sich der Markt radikal verändern. So wird beispielsweise die Zahl der Fahrzeuge auf den Straßen wahrscheinlich im Laufe der Zeit zurückgehen. Einige der Gründe für diesen Rückgang sind die insbesondere von jüngeren Menschen getroffenen Life- style-Entscheidungen, der Trend zur hybriden Arbeit, die Entwicklung des Stadtverkehrs und die stärkere Nachfrage nach „Shared Mobility“. Auch die Abgasuntersuchungen (AU), die wir im Rahmen der Fahrzeuginspektion weltweit durchführen, sind heute im Zuge des Klimawandels wichtiger als je zuvor. Die AU wird aber langfristig mit der schrittweisen Abschaffung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor weniger relevant.
Aber ich bin überzeugt, dass dieser Wandel mehr Chancen als Risiken für uns bereithält. Zum Beispiel benötigt ein E-Auto keine AU mehr, dafür müssen andere Aspekte wie Batterien und Hochspannungskomponenten überprüft werden. Hinzu kommt, dass das Auto immer mehr Funktionen selbstständig übernimmt, die traditionell vom Fahrer durchgeführt wurden. Ein weiteres Beispiel: Updates werden in modernen Autos laufend „over-the-air“ eingespielt. Diese Aktualisierungen können sicherheitskritische Auswirkungen haben und müssen von einem unabhängigen Dritten wie DEKRA validiert werden.
„Customer Centricity“ ist Ihnen ein Herzensanliegen. Wie lebt DEKRA das heute und in den kommenden Monaten und Jahren?
Zurkiewicz: Sie haben vollkommen recht: Ein sehr starker Kundenfokus liegt mir wirklich am Herzen. Warum? Einer der Gründe ist, dass die meisten regulierten Dienstleistungen, die von der TIC-Branche erbracht werden, inhaltlich per Definition ziemlich identisch im Wettbewerb sind. Nun stellt sich die entscheidende Frage: Wenn eine Dienstleistung inhaltlich identisch ist, wie können wir uns dann differenzieren und warum sollten sich die Kunden für DEKRA entscheiden? Da kann es viele Gründe geben – zum Beispiel die geografische Abdeckung und die günstige Lage unserer Standorte und Labore oder das einzigartige Know-how unserer Experten. Oder unsere schlanken, effizienten und zunehmend digitalisierten Prozesse und die Kraft der Marke DEKRA. Ich bin der Überzeugung, dass das Kundenerlebnis einer der Hauptgründe ist, warum sich Kunden für einen TIC-Dienstleister entscheiden – sowohl beim physischen als auch beim digitalen Erlebnis. Das setzt voraus, dass wir unsere Prozesse und Systeme ständig verbessern. Ausschlaggebend dafür ist die richtige Unternehmenskultur. Dazu werde ich „Customer Centricity“ bei DEKRA weiter stärken und vorantreiben.
DEKRA wächst und stellt seit vielen Jahren Fachkräfte ein. Warum lohnt es sich, bei DEKRA zu arbeiten?
Zurkiewicz: Für jedes Unternehmen ist es heutzutage eine Herausforderung, die richtigen Arbeitskräfte zu gewinnen und zu halten, vor allem talentierte Menschen. Ich glaube aber, dass es mehrere Aspekte gibt, die DEKRA einzigartig und als Arbeitgeber sehr attraktiv machen. Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, aber aufgrund unserer einzigartigen Eigentümerstruktur haben wir nicht nur wirtschaftliche Ziele. Unsere Vision ist, der globale Partner für eine sichere, nachhaltige Welt zu sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit dem, was wir tun, einen wichtigen Beitrag leisten zum Schutz und zur Sicherheit von Menschenleben und zu einer besseren, nachhaltigeren Welt. Das macht den entscheidenden Unterschied. Ich glaube, dass dies viele unserer Kolleginnen und Kollegen – mich eingeschlossen – an der Arbeit bei DEKRA besonders reizt. Ich glaube auch, dass die Menschen gerade in der Zeit nach der Pandemie nicht nur attraktive Arbeitsbedingungen suchen. Neben persönlichen Aufstiegsmöglichkeiten, einem dynamischen, vielfältigen und innovativen Umfeld zählt vor allem auch der Sinn einer Tätigkeit. Sie suchen einen Arbeitsplatz, an dem sich das Management wirklich um seine Mitarbeitenden kümmert und die Unternehmenswerte mit den persönlichen Überzeugungen übereinstimmen. Ein solches Umfeld bieten wir bei DEKRA.
Lassen Sie uns noch einen Blick auf die weltwirtschaftliche Lage werfen: Wie beurteilen Sie die Aussichten für DEKRA angesichts von Herausforderungen wie Inflation, Pandemie, Ukraine-Krieg, Lieferketten? Worin sehen Sie die Stärken von DEKRA?
Zurkiewicz: Wir sind stark und widerstandsfähig. Das haben wir in den Pandemiejahren 2020 und 2021 unter Beweis gestellt. Und ich bin überzeugt, dass wir unsere Stärke und Widerstandsfähigkeit auch angesichts der schwierigen wirtschaftlichen und geopolitischen Rahmenbedingungen erneut unter Beweis stellen werden. Aber es ist klar, dass eine Kombination aus Rezession und hoher Inflation für jedes Unternehmen, auch für DEKRA, herausfordernd ist und dass auch schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen. Wir sind zwar nicht immun gegen die sich verschlechternden Rahmenbedingungen, aber mit einem klaren Plan und mit so unglaublich engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind wir besser als manche anderen.
Herr Zurkiewicz, Sie sind ein ambitionierter Sportler. Wie hilft Ihnen Sport auch bei Ihrem neuen Posten als CEO?
Zurkiewicz: Meine sportlichen Leistungen wurden vielleicht ein wenig übertrieben dargestellt. Aber ich bin tatsächlich ein sehr disziplinierter Mensch und treibe an sieben Tagen in der Woche mindestens einmal, normalerweise zweimal Sport. Für mich ist das unerlässlich. Es geht nicht nur um die körperliche Gesundheit und Energie, die ich für meine Arbeit aufbringen kann. Es ist mein Anspruch, meine geistige Stärke und geistige Belastbarkeit zu erhalten – privat wie beruflich.
Zur Person
Stan Zurkiewicz, geboren 1979 in Gdynia, Polen, ist seit dem 6. April 2022 CEO und Vorstandsvorsitzender von DEKRA e. V. und DEKRA SE. Seit dem 1. Januar 2021 ist der begeisterte Ausdauer- und Kampfsportler (Judo und Taekwondo) DEKRA Vorstandsmitglied und verantwortlich für die DEKRA Regionen, Operations und Vertrieb. Bis Ende 2020 war er als Executive Vice President für die Region Ost- & Südasien verantwortlich.