Jeder fünfte Lkw-Fahrer ist ein Gurtmuffel
Author: Matthias Gaul
Zu viele Menschen in Europa sind im Nutzfahrzeug nach wie vor ohne angelegten Sicherheitsgurt unterwegs. Das ist das Ergebnis der jüngsten Verkehrsbeobachtung der DEKRA Unfallforschung.
Zumindest in ganz Europa müssen sich Lkw-Fahrer in ihren Fahrzeugen anschnallen. In Deutschland gilt diese Vorschrift bereits seit dem Jahr 1992, in Frankreich seit 2003 und EU-weit seit 2006. Doch wie viele Fahrer halten sich tatsächlich an diese Pflicht und wie hoch ist die Zahl der „Gurtmuffel“? Die von der Bundesanstalt für Straßenwesen jährlich erhobenen Zahlen zeichnen zumindest für Deutschland grundsätzlich ein einigermaßen zufriedenstellendes Bild. Danach lag die sogenannte Gesamtsicherungsquote der Fahrer im Güterkraftverkehr 2021 bei 92,7 Prozent und damit um 5,5 Prozent höher als 2020 mit 87,2 Prozent – ermittelt auf der Basis von 4.500 Fahrzeugen.
Doch lassen sich diese Zahlen flächendeckend bestätigen, und wie sieht es außerhalb Deutschlands aus? Um diese Fragen zu klären, führte die DEKRA Unfallforschung zwischen April und Juli 2022 eine Verkehrsbeobachtung durch – neben Deutschland auch in Frankreich, Tschechien und Dänemark. Die Ergebnisse sind allerdings eher ernüchternd, denn von den dabei insgesamt knapp 17.000 erfassten Personen waren nur rund 14.000 angeschnallt. Das entspricht einer durchschnittlichen Quote über alle vier Länder von lediglich 83 Prozent. „Es ist vollkommen unverständlich, dass sich heute immer noch fast jeder fünfte Nutzfahrzeug-Insasse nicht anschnallt“, sagte Jann Fehlauer, Geschäftsführer der DEKRA Automobil GmbH, bei der Präsentation der Zahlen auf der diesjährigen IAA Transportation in Hannover. Schließlich sei der Sicherheitsgurt bei aller Weiterentwicklung aktiver Sicherheitssysteme nach wie vor der Lebensretter Nummer 1 im Straßenverkehr.
Immer noch viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit notwendig
Ausgewertet wurden in den vier Ländern die Fahrzeugklassen N1 (unter 3,5 Tonnen zulässige Gesamtmasse), N2 (3,5 bis 12 Tonnen) und N3 (über 12 Tonnen) – jeweils an unterschiedlichen Standorten innerorts, außerorts und auf Autobahnen. Am niedrigsten war die Gesamt-Anschnallquote dabei in Tschechien (77 Prozent), am höchsten in Frankreich (87 Prozent). Deutschland (82 Prozent) und Dänemark (83 Prozent) lagen dazwischen. In allen Ländern war die Anschnallquote in der Transporter-Klasse (N1) am höchsten. Die meisten „Gurtmuffel“ gab es in Tschechien und Frankreich in den leichten Lkw (N2), in Deutschland und Dänemark in den schweren Lkw (N3). Insgesamt wurde der Sicherheitsgurt in allen Ländern und allen Fahrzeugklassen von Personen auf dem Fahrersitz häufiger angelegt als von Mitfahrenden auf dem Beifahrersitz.
Die Zahlen aus Deutschland lassen sich mit früheren Untersuchungen der DEKRA Unfallforschung aus den Jahren 2004 bis 2014 vergleichen. Grundsätzlich ist über die Jahre ein teils deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Das gilt für alle Fahrzeugklassen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Vor allem bei den schweren Lkw (N3) war das Ausgangsniveau 2004 sehr niedrig. Besonders auffällig ist etwa die Steigerung in der Klasse N3 innerorts von nur rund 21 Prozent im Jahr 2004 und 49 Prozent im Jahr 2014 auf 73 Prozent aktuell. Ebenso in der Klasse N3 auf der Autobahn von 16 Prozent im Jahr 2004 und 66 Prozent im Jahr 2014 auf heute 82 Prozent.
„Der Trend geht insgesamt in die richtige Richtung – dennoch sind die Zahlen, die unsere Kollegen 2022 ermittelt haben, nach wie vor beunruhigend und letztlich nicht akzeptabel“, betont Jann Fehlauer. Eine Verbesserung werde ohne spürbare Sanktionen und entsprechende Überwachung kaum zu erreichen sein. Vor allem aber sei immer noch viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit notwendig. DEKRA werde sich hierfür auch weiterhin mit Nachdruck einsetzen.
Passive Sicherheit: Warum Anschnallen auch im Lkw Leben retten kann
Ob Electronic Stability Control, Notbremsassistent, Spurverlassenswarner oder Spurhaltesystem: Aus Sicht der Unfallforschung steht zweifelsfrei fest, dass derartige Fahrerassistenzsysteme die Verkehrssicherheit von Nutzfahrzeugen wesentlich erhöhen und dabei dem Schutz aller Unfallbeteiligten dienen. Die neuen Sicherheitstechniken und Fahrerassistenzsysteme dürfen über eines aber nicht hinwegtäuschen: Noch immer ist die Benutzung des Sicherheitsgurts die wichtigste Maßnahme zur Senkung des Risikos schwerer Verletzungen von Fahrzeuginsassen. Dies gilt gleichermaßen für alle Fahrzeugklassen und somit auch für schwere Nutzfahrzeuge. Verschiedene Studien gehen davon aus, dass von allen im Verkehr getöteten, nicht angeschnallten Lkw-Insassen zwischen 40 und 50 Prozent hätten überleben können, wäre der Sicherheitsgurt korrekt angelegt gewesen.
Als Rückhaltesystem im Fahrzeug schützt der Gurt im angelegten Zustand die Fahrzeuginsassen vor dem Herumschleudern im sowie dem Herausschleudern aus dem Fahrzeug. Durch die direkte Verbindung zur Karosserie kommt die Wirkung der Knautschzone den angeschnallten Insassen voll zugute. Die Kombination aus definierter Dehnbarkeit der Gurtbänder mit Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer führt dazu, dass die Verzögerungswerte für die angeschnallten Insassen selbst bei schweren Kollisionen vertretbar bleiben. Die übrigen Komponenten der Ausstattung der passiven Sicherheit wie Airbags sind ebenfalls auf angeschnallte Insassen ausgelegt und können daher nur bei der Benutzung des Gurts ihr optimales Schutzpotenzial entfalten.