Helfer der Lüfte

Author: Michael Vogel

19. Juli 2023 Innovation / Mobilität der Zukunft

Drohnen für den Privatgebrauch sieht man immer wieder. Doch in deren Windschatten bekommen Drohnen für kommerzielle Anwendungen immer größere Bedeutung. Ein Überblick.

Der Markt für zivil genutzte Drohnen wächst rasch. War in der Vergangenheit in vielen Ländern die private Nutzung ein wichtiger Treiber, so haben kommerzielle Drohnen-Anwendungen in jüngerer Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen. Beispiel Deutschland: Insgesamt sind laut einer Studie des Verbands Unbemannte Luftfahrt von 2021 mehr als 400.000 Drohnen im Umlauf, 96 Prozent davon in privatem Besitz. Die Zahl der kommerziell genutzten Drohnen sei mit 45.000 deutlich niedriger. Aber seit 2019 habe deren Zahl um 138 Prozent zugelegt, sich also mehr als verdoppelt, während die Zahl der privat genutzten Drohnen rückläufig sei.
Angaben zum Weltmarkt weisen abhängig vom jeweiligen Marktforschungsunternehmen eine sehr starke Streuung auf. Gemeinsam ist allen Untersuchungen, dass der Umsatz 2022 auf einen ein- bis zweistelligen Milliardenbetrag beziffert wird und dass bis 2030 ein jährliches Wachstum von weit über 20 Prozent erwartet wird.
Der prognostizierte starke Anstieg in der Verbreitung von Drohnen ist ihren inzwischen vielfältigen Einsatzmöglichkeiten geschuldet, die Wirtschaft und Behörden bislang nur zu einem Bruchteil nutzen. Egal ob Landwirtschaft, Filmbranche, Vermessungswesen, Überwachung, Wartung, Gutachten oder Logistik und Verkehr – kommerzielle Drohnen bieten Vorteile, wie folgende Beispiele verdeutlichen.
Unfallgutachten
Bei komplexen Verkehrsunfällen benötigen Polizei oder Gerichte oft Gutachten, die zum Beispiel auch DEKRA erstellt. „Wir haben rund 400 ausgebildete Unfallanalytiker, die an unseren Niederlassungen stationiert sind, zu ihrer Ausrüstung gehören auch Drohnen“, sagt Peter Rücker, Leiter Unfallanalytik und Unfallforschung bei der DEKRA Automobil GmbH. Der Einsatz der Drohnen für diesen Zweck ist bereits seit knapp zehn Jahren Praxis. „Abhängig von der Komplexität des Unfalls und der Beschaffenheit des Unfallortes fliegen die Kolleginnen und Kollegen eine Drohne auf größenordnungsmäßig zehn Metern Höhe, um senkrecht nach unten Aufnahmen zu machen.“ Früher gab es nur die Möglichkeit, mit einer Kamera an einem hohen Stab oder von einer erhöhten Position Bilder zu schießen. „Das geschieht heute noch immer, wenn es zum Beispiel stürmisch ist oder dunkel, weil dann die Einsatzmöglichkeiten einer Drohne stark beschränkt sind“, so Rücker, „aber oft reichen bereits die Drohnenbilder.“ Das spart Zeit. Dank Drohnen bekomme man „schneller einen differenzierten Überblick“ über die Unfallszenerie. Außerdem sind die Bilder Basis für die Erstellung eines digitalen 3D-Modells der Unfallstelle.
Landwirtschaft, Bergbau und Geologie
Immer mehr landwirtschaftliche Betriebe ersparen sich dank Drohnen aufwendige Kontrollfahrten, die zudem oft keinen guten Überblick liefern. So lässt sich mit Drohnen überprüfen, wo gezielt Dünger, Wasser oder Pflanzenschutzmittel erforderlich sind. Laut dem Bundesinformationszentrum Landwirtschaft lassen sich zum Beispiel über Maisfeldern Kapseln mit Eiern einer Schlupfwespe abwerfen. Diese Wespen setzen einem gefürchteten Maisschädling zu. Dank Drohne dauere die Ausbringung vier Minuten pro Hektar – ohne Drohne dauerte es fünfmal so lange. Auch bei der Rettung von Rehkitzen helfen Drohnen. Die Jungtiere legen sich zum Beispiel in Getreidefeldern auf den Boden, um sich zu verstecken, wenn sie einen dröhnenden Mähdrescher hören. Durchsucht vorab eine Drohne das Feld, lassen sich die Kitze jedoch retten.
Drohnen können auch Felshänge überwachen. In den Alpen kommt es immer wieder zu Muren, Gesteinsabgängen. Georeferenzierte Drohnen – bei denen also immer präzise bekannt ist, von wo sie gerade Messungen in Bezug zu einer Geländeformation machen – können sehr viel schneller Verformungen eines Hanges erfassen, als dies mit konventioneller Vermessungstechnik vom Boden aus möglich wäre. So lassen sich neuralgische Punkte zuverlässiger erkennen, die einer intensiven Überwachung bedürfen. Drohnen spielen aber auch in der Beurteilung von Bodeneigenschaften oder Lagerstätten eine zunehmende Rolle.
Bevölkerungsschutz und Sicherheit
Drohnen helfen Polizei, Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Rettungsdiensten dabei, einen raschen Überblick über die Lage in einer Gefahrensituation zu bekommen. Mit Drohnen lässt sich zudem bodennah nach Vermissten suchen, auch Glutnester bei der Brandbekämpfung oder Gefahrstoffe können sie helfen zu erkennen. Nicht alles, was inzwischen technisch möglich ist, wird bereits umgesetzt, doch die zuständigen Organisationen und Behörden führen dazu realitätsnahe Praxistests durch.
Wartung und Überwachung
Eine einzige Industrieanlage verfügt über hunderte Meter bis zig Kilometer an offen verlegten Rohrleitungen. Viele dieser Leitungen müssen die Betreiber regelmäßig auf Schäden kontrollieren. Drohnen unterstützen dabei. Genauso lassen sich Gebäude, Solarfarmen, Windräder oder Hochspannungsleitungen kontrollieren. Relevante Themen sind neben der Frage nach erkennbaren Schäden zum Beispiel bei Solarmodulen deren Verschmutzungsgrad oder im Bergbau die Vermessung von Halden oder die Bestimmung von aktuellen Fördermengen. Die Betreiber nutzen dabei aus, dass sich Drohnen nicht nur mit optischen Kameras ausstatten lassen, sondern auch mit Infrarotkameras, Gassensoren oder Laserscannern. Ein weiterer Vorteil: Für Inspektionen „von oben“ muss oft der Betrieb nicht ruhen, weil sich das Personal nicht in sicherheitskritischen Bereichen aufhalten muss.
Film und Foto
Dass zum Profifotografen bei festlichen Anlässen wie etwa Hochzeiten inzwischen auch die Drohne für ungewöhnliche Perspektiven dazugehört, haben viele Menschen sicher schon selbst erlebt. Ein weiteres großes Feld für den Drohneneinsatz sind Dokumentar- und Spielfilme. Gerade bei den Dreharbeiten für Spielfilme kann eine Drohne manche Perspektive, bei der die Kamera mitbewegt werden muss, mit deutlich geringerem finanziellem Aufwand filmen als eine klassische Lösung. Ein Hubschrauberflug zum Beispiel ist deutlich teurer, bei ihm kommen für ein paar Stunden Einsatzzeit schnell mehrere tausend Euro zusammen. Eine der Kampfszenen des Marvel-Films „Infinity War“ wurde in Edinburgh gedreht. Die Crew filmte die dabei eingesetzte Feuerwerkstechnik mit Drohnen aus sicherer Entfernung. Auch die Eröffnungsszene im James-Bond-Film „Skyfall“, eine Verfolgungsjagd per Motorrad über die Dächer Istanbuls, wurde mit Drohnen aufgenommen.
Logistik und Verkehr
In der Logistik sind Drohnen zum Beispiel für die Inventur ausgedehnter Hochregallager interessant. Dort erfassen sie ungenutzte oder beschädigte Lagerplätze oder scannen Barcodes, um falsch einsortierte Ware rasch und bequem zu identifizieren. Perspektivisch soll auch der Fracht- und Personenverkehr von Drohnen profitieren. Hier steht die Industrie allerdings erst am Anfang. Seit über einem Jahrzehnt experimentiert sie mit Frachtdrohnen. Amazon, die Alphabet-Tochter Wing oder Walmart-Tochter Droneup – sie alle stellen Waren durch die Luft zu. Nach eigenen Angaben ist das bei Amazon inzwischen hundertmal gelungen, bei Droneup 110.000-mal und Wing 330.000-mal. Das US-Unternehmen Zipline reklamiert bereits gar 600.000 Zustellungen für sich, zumeist in Afrika und Australien. Konzepte für die Flugraumüberwachung in den geringen Höhen, in denen solche Drohnen unterwegs sind, stecken allerdings noch in den Kinderschuhen und limitieren den Einsatz von Frachtdrohnen gerade im städtischen Umfeld.
Auf diese Flugraumüberwachung wären auch Passagierdrohnen angewiesen, die technologisch noch nicht so weit wie Frachtdrohnen sind. Laut der Vertical Flight Society gibt es weltweit rund 350 Unternehmen, die solche Passagierdrohnen entwickeln wollen. Derzeit hat eine Konsolidierungswelle die noch junge Branche erfasst. Ankündigungen für die Aufnahme eines regulären Flugbetriebs waren in der Vergangenheit zahlreich, wurden aber immer wieder von der Realität eingeholt – viel Risikokapital allein schafft noch keinen Markt. In den nächsten Jahren wird es aber sicher so weit kommen. Allerdings wird zunächst ein Pilot mitfliegen müssen, was es nicht leichter macht, solche Passagierdrohnen wirtschaftlich zu betreiben. Sie haben schließlich nur wenige Sitzplätze.