Wasserstoff: Mit Hochdruck zu emissionsfreien Nutzfahrzeugen

Author: Hannes Rügheimer

21. Sept. 2022 Mobilität der Zukunft / Nachhaltigkeit / Automobil

Wenn es darum geht, schwere Lkw und Busse in Zukunft emissionsfrei zu betreiben, führt wohl kein Weg an Brennstoffzellen und Wasserstoff vorbei. Auch wenn die Nutzfahrzeughersteller parallel an mehreren Antriebstechnologien arbeiten, liegt H2 bei ihnen voll im Trend.

Anfang Juli 2022 vermeldete der niederländische Nutzfahrzeughersteller DAF, dass ein ­batterieelektrisch angetriebener 26-Tonner die österreichische Großglockner-Hochalpenstraße hinauf und zurück passiert habe – ohne zwischenzeitliches Nachladen. Um realistische Bedingungen zu simulieren, hatte der E-Lkw immerhin acht Tonnen Wasser geladen. Mit vollgeladener Batterie legte das Fahrzeug pro Richtung 68 Kilometer mit bis zu zwölf Prozent Steigung und insgesamt 3.350 Höhenmetern zurück. Am Ende der Fahrt hatte die Hochvoltbatterie noch einen Ladestand von 45 Prozent – was allerdings nicht zuletzt der Rekuperation auf der Talfahrt zu verdanken war.
Das Experiment führt der Hersteller als Beweis für die Tauglichkeit batterieelek­trisch angetriebener Lkw im Schwerlastverkehr an. Doch bei genauem Hinsehen verdeutlicht es auch die Einschränkungen dieser Antriebstechnik. Stellvertretend für viele Experten konstatiert Dr. Christoph Flink, Vice President Hydrogen Economy Program Management bei DEKRA: „Batterieelektrische Antriebe sind vor allem für die Langstrecke zu groß, zu schwer und zu teuer.“ Akkubetriebene Lkw seien somit vor allem für Kurz- und Mittelstrecken interessant. Für emissionsfreie Nutzfahrzeug-E-Mobilität auf längeren Strecken sieht der DEKRA Experte die aktuell vielversprechendste Lösung hingegen in der Betankung mit Wasserstoff und Erzeugung der Antriebsenergie per Brennstoffzelle. Neben dem Einsatz für Langstreckentransporte spiele sie ihre Vorteile auch in anderen Szenarien aus, die hohe Reichweiten beziehungsweise Laufzeiten zwischen den Betankungen erforderten – beispielsweise für Reise- und auch Nahverkehrsbusse oder auch Nutzfahrzeuge für städtische Dienstleistungen wie Müll­abfuhr oder Straßenreinigung.
Daimler und Volvo setzen auf ­Tiefkühltanks
Das sehen die meisten Nutzfahrzeughersteller sehr ähnlich. Auch wenn viele von ihnen parallel batterieelektrische Modellvarianten entwickeln und testen, setzen sie für den Langstreckeneinsatz in erster Linie auf Wasserstoff. So arbeitet zum Beispiel Daimler Truck mit seinem GenH2 Truck an einem Brennstoffzellen-Lkw. Der Ende 2020 vorgestellte Prototyp basiert auf dem Serienmodell Actros und besitzt zwei 40-Kilogramm-Tanks für auf minus 253 Grad Celsius gekühlten Flüssigwasserstoff (sogenanntes sLH2 – „subcooled liquid hydrogen“). Vorteil der Tiefkühlung: Bei dieser Temperatur ist Wasserstoff flüssig und im Vergleich zum gasförmigen Zustand auch energiedichter. Somit lässt sich Wasserstoff so wie konventionelle Treibstoffe in nur wenigen Minuten tanken. Zudem benötigen die ebenfalls auf diese Temperatur gekühlten Tanks weniger Bauraum als die Gastanks. Das Brennstoffzellensystem des GenH2 Truck liefert aus dem sLH2 230 kW (313 PS) Dauerleistung. Eine zusätzliche Batterie, die während der Fahrt kontinuierlich nachgeladen wird, kann diese Leistung in Bedarfssituationen auf bis zu 330 kW (449 PS) „boosten“. Mit dieser Kombination soll der Truck eine Reichweite von bis zu 1.000 Kilometern erreichen. In die Kundenerprobung soll das Konzept ab 2023 gehen, eine Serienproduktion käme ab 2026 infrage.
Ähnliche Reichweiten strebt auch Volvo an. Sein noch namenloser Wasserstoff-Lkw-Prototyp basiert auf dem E-Modell Volvo FH Electric und könnte bis zu 65 Tonnen Gesamtgewicht ermöglichen. Zwei Brennstoffzellen werden ebenfalls mit dem tiefgekühlten, flüssigen Wasserstoff sLH2 gespeist und liefern daraus eine Leistung von bis zu 300 kW (408 PS). Roger Alm, Präsident von Volvo Trucks, gibt sich bei der Einschätzung zu künftigen Einsatzszenarien noch relativ vorsichtig. „Elektro-­Lkw mit wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen eignen sich besonders für lange ­Strecken und schwere, energieintensive Aufgaben. Sie könnten auch eine Option für Länder sein, in denen die Möglichkeiten zum Laden von Batterien begrenzt sind.“ Ein Serienanlauf sei für „die zweite Hälfte des Jahrzehnts“ denkbar. Vorher sind auch bei Volvo auf jeden Fall praktische Erprobungen bei Pilotkunden vorgesehen.
Kooperationen mit US-Firmen für 350-Bar-Trucks
Iveco arbeitet wiederum mit dem US-­Spezialisten Nikola zusammen, um einen Brennstoffzellen-Lkw auf Basis des Iveco-Trucks S-Way zu entwickeln. Noch 2022 soll ein batterieelektrisches Modell vorgestellt werden, eine Brennstoffzellen­variante könnte 2023 folgen. Der südkoreanische Konzern Hyundai kooperiert mit dem ebenfalls in den USA ansässigen Hersteller Hyzon und hat bereits 2020 zehn schwere H2-Lkw vom Typ Xcient Fuel Cell aus Südkorea in die Schweiz ausgeliefert. Das 190-kW-Antriebssystem (258 PS) nutzt zwei 95-kW-Brennstoffzellen-Einheiten. Insgesamt sieben Tanks speichern bis zu 32 Kilogramm Wasserstoff – in diesem Fall aber nicht tiefgekühlt, sondern bei einem Druck von 350 Bar. Die Reichweite mit einem 34-Tonnen-Anhängerzug liegt mit dieser Lösung bei rund 400 Kilometern. Das Betanken an einer 350-Bar-­Befüllstation sei in 8 bis 20 Minuten möglich. Bis 2025 will Hyundai weltweit schon 1.600 Exemplare seines Wasserstoff-Lkw produzieren und ausliefern. An einer Steigerung der Reichweite auf bis zu 1.000 Kilometer mit einer Tankfüllung arbeitet auch die südkoreanisch-US-amerikanische Unternehmenskonstellation intensiv.
Wasserstoff-Entwicklungshotspot rund um die Wiege des Automobils
Um Brennstoffzellen in der erforderlichen Menge produzieren zu können, haben Daimler Truck und Volvo Ende 2020 das Gemeinschaftsunternehmen Cellcentric gegründet, das zusätzlich zu seinen Präsenzen in der Region Stuttgart auch ein Entwicklungs- und Produktionszentrum in Burnaby, Kanada, aufbaut. An seinem Standort im baden-württembergischen Weilheim sollen künftig bis zu 800 Mitarbeiter für beide Nutzfahrzeughersteller Brennstoffzellen produzieren. Nicht ohne Stolz verweist das Unternehmen auf die räumliche Nähe zur Geburtsstätte des Automobils.
Schon seit Anfang 2020 testet die ebenfalls in der Nähe von Stuttgart ansässige Spedition Große-Vehne im Rahmen des öffentlich geförderten Projekts „Hylix-B“ einen 26-Tonner mit Brennstoffzelle und 350-Bar-Wasserstoffspeicher. Im Alltagsbetrieb erreichte das Fahrzeug, das auf dem Mercedes-Benz Actros basiert, eine Reichweite von circa 500 Kilometern. Das entspricht einem Wasserstoffverbrauch von rund 10 Kilogramm auf 100 Kilometern. Die Einsatzrouten wählt das Unternehmen danach aus, wo H2-Tankstellen tatsächlich bereitstehen. Die projektbegleitende Betrachtung der Total Cost of Ownership, die Anschaffungs-, Energie- und Betriebskosten berücksichtigt, erwartet spätestens 2030 einen Vorteil für Wasserstoff – nicht zuletzt angesichts steigender ­Dieselpreise.
Auch Umrüstungen werden bereits angeboten
Im Juni 2022 präsentierte auch der Nutzfahrzeugumrüster Clean ­Logistics mit dem H2-Truck Fyuriant seinen ersten Zero-Emission-Truck mit Brennstoffzellentechnologie. Das in Hamburg ansässige Unternehmen ersetzt in Bestandsfahrzeugen den herkömmlichen Dieselantrieb durch emissionsfreie Antriebstechnologie und innovative Steuerungstechnik. Im ­Fyuriant speichern ein oder mehrere Hochdrucktanks jeweils 40 Kilogramm Wasserstoff mit 350 Bar. Pro Tank kommt eine Brennstoffzelle zum Einsatz, die je nach Anwendungsfall und Lastprofil zwischen 120 und 240 kW (was 163 bis 326 PS entspräche) an die elektrische Achse mit Radnabenantrieb liefern kann. Die so erzielbare Reichweite taxiert Clean Logistics auf 400 bis 500 Kilometer. Schon heute verzeichnet das Unternehmen eine hohe Nachfrage nach umgerüsteten Trucks und Bussen – und baut deshalb seine Kapazitäten massiv aus.
Die Infrastruktur bleibt größte Herausforderung
So will Clean Logistics ab 2024 jährlich bis zu 450 Fahrzeuge umrüsten. Dennoch hängen die Absatzperspektiven nach Einschätzung von Dirk Graszt, CEO des Unternehmens, natürlich vor allem an der Verfügbarkeit geeigneter Wasser­stofftankstellen. Karin Radström, Mitglied des Vorstands der Daimler Truck AG, sieht die wesentliche Herausforderung ebenfalls im schnellen Aufbau einer transeuropäischen Wasserstoff­infrastruktur. Auch hier setzt das Unternehmen auf Partnerschaften. Gemeinsam mit den Energiekonzernen BP, Shell und Total sowie dem Gas-Experten Linde sollen zügig weitere Wasserstofftankstellen realisiert werden. Gemeinsam mit Volvo formuliert das Unternehmen aber auch Forderungen. Laut den Nutzfahrzeug­spezialisten sollen in Europa bis 2025 rund 300 Hochleistungs-Wasserstofftankstellen für schwere Nutzfahrzeuge entstehen – und rund 1.000 bis spätestens 2030. Wie schnell der Siegeszug der Wasserstofftechnologie im Nutzfahrzeugbereich gelingt, dürfte vor allem davon abhängen, ob sich diese ambitionierten Zielsetzungen erreichen lassen.
Drei Fragen an Dr. Christoph Flink
Herr Dr. Flink, aktuell wird wieder viel über E-Fuels diskutiert, und auch batterieelektrische Antriebe sind ja für Nutzfahrzeuge eine Option, auf die viele Hersteller bauen. Welche Antriebstechnologie wird sich im Schwerlastverkehr nach Ihrer Einschätzung durchsetzen?
Flink: Langfristig durchsetzen wird sich die Technologie, die am effizientesten funktioniert. In der Tat ist die Entwicklung im Fluss und das detaillierte Endergebnis noch schwer abzusehen. Ich bin aber überzeugt davon, dass Wasserstoff in diesem Technologiemix eine wichtige Rolle spielen wird. Rein batterieelektrische Antriebe sind vor allem für die Langstrecke zu groß, zu schwer und zu teuer. Und E-Fuels werden – ganz abgesehen von den Fragen nach Kosten und Energieeffizienz – nicht rechtzeitig in der benötigten Menge zur Verfügung stehen.
Sie beschäftigen sich für DEKRA vor allem mit den Entwicklungen rund um Wasserstoff. Welche Trends sehen Sie in diesem Bereich?
Flink: Das kritische Thema ist vor allem die Infrastruktur. Wir brauchen in Deutschland, Europa und weltweit einen schnellen Ausbau bei den Wasserstofftankstellen. Das erfordert eine transeuropäische Wasserstofflogistik, die von der Produktion von Wasserstoff – natürlich so weit wie möglich „grün“ – über Speicherung und Transport bis zu den Betankungsstationen reicht. Technisch sehen wir zudem einen Trend zu 350 Bar. Dieser Trend wird der Tatsache gerecht, dass Wasserstoff kaum in Pkw und kleineren Nutzfahrzeugen zum Einsatz kommt, wo aus Platzgründen die 700-Bar-Betankung gewählt wurde. In größeren Nutzfahrzeugen setzt sich hingegen die etwas leichter handhabbare 350-Bar-Technik durch.
Welche Rolle spielt DEKRA in diesem Zusammenhang?
Flink: DEKRA ist entlang der gesamten Logistik- und Wertschöpfungskette von Wasserstoff aktiv. Wir beraten unsere Kunden in Hinblick auf die Nutzung von Wasserstoff, zertifizieren die Sicherheit industrieller Anlagen und auch alle gerade angesprochenen Elemente der Wasserstoffinfrastruktur. Heute ist DEKRA einer der Marktführer bei der sicherheitstechnischen Prüfung von Mineralöltankstellen in Deutschland, in Zukunft streben wir diese Position auch bei den HRS an, den Hydrogen Refilling Stations. Und auch bei der Prüfung der Fahrzeuge an sich bereiten wir uns selbst­verständlich schon auf die Wasserstoffzukunft vor.