Mobilität der Zukunft
September 2021: Die futuristisch anmutenden Mini-Busse fahren flüsterleise mit etwa 18 km/h durch die Gegend und bimmeln nur beim Anhalten und Losfahren wie früher die Straßenbahnen. Die maximale Fahrgastkapazität liegt bei sechs Personen, wegen Corona sind nur drei plus Sicherheitsfahrer zugelassen. Ob eine Gruppe Jugendlicher oder die Bewohner und Bewohnerinnen eines Seniorenheims: Das E-Shuttle ist zur Stelle. Während der Fahrt steht ein Sicherheitsfahrer oder eine -fahrerin auf einer markierten Stelle im Fahrgastraum und kann das Fahrzeug bei Bedarf manuell per Joystick steuern.
E-Shuttle im Prüfstand
Beim vorgeschriebenen morgendlichen Check, der unter anderem aus einem Bremstest, der Reinigung und Überprüfung der Sensoren sowie der Beleuchtung besteht, ist DEKRA Teamleiterin Yvonne Köhne im Einsatz. Seit 2013 ist die 46-Jährige in der Abteilung Gesamtfahrzeug im Technology Center Klettwitz und derzeit für das Team Advanced Driver Assistance System, Fahrerassistenzsysteme und Cybersecurity zuständig. Sie kennt die Shuttles des Herstellers EasyMile deshalb sehr gut. „Wir arbeiten bereits lange mit dem französischen Hersteller zusammen.“, erzählt sie. Unter anderem in Frankfurt, Kelheim, Berlin oder Wusterhausen sind die Shuttles mit einer Einzelbetriebserlaubnis von DEKRA schon im Einsatz. Der in Hamburg eingesetzte EasyMile ist bereits die dritte Generation, und als Projektverantwortliche macht sich Yvonne Köhne immer auch ein Bild der Shuttles im Einsatzgebiet.
Ein Fahrzeug für die letzte Meile
Das Besondere am Projekt „eMOIN“ ist neben der Strecke von 7,3 Kilometern und der damit abgedeckten Fläche, die so groß ist wie nirgendwo sonst, auch der Piloteinsatz des MK100 Bremssystems von Continental. Das Brake-by-Wire-System wurde zum sicheren, komfortablen Abbremsen und Anhalten von unbemannten Fahrzeugen unter allen Betriebsbedingungen verbaut. Dazu kommt die Einbindung einer App, über die eine schnelle Buchung von Fahrten möglich ist. Völlig unabhängig von einem Fahrplan – „on demand“ eben. Denn die Idee hinter „eMOIN“ ist die „letzte Meile“, die Verbindung zwischen Bahnhof oder Haltestelle mit dem Wohngebäude der Benutzer und Benutzerinnen.
Sicherheit geht vor
Yvonne Köhne bereitet den Bremstest vor, indem sie den DEKRA HU-Adapter auf dem Boden des Shuttles platziert. Mittels des eingebauten Verzögerungsmessgeräts lässt sich die Nickneigung beim Einfedern messen und so der mittlere Bremsverzögerungswert bestimmen. „Weil das eMOIN-Shuttle nur 18 km/h fahren darf, muss diese Messung in voller Fahrt gemacht werden. Im manuellen Betrieb sind die Werte einfach zu gering“, so die Spezialistin. Auch die aktiven Sicherheitsfeatures des Gefährts müssen geprüft werden, wie zum Beispiel der Nothalt. „Die Sensoren erzeugen quasi eine unsichtbare Sicherheitszone rund um das Fahrzeug“, erklärt Köhne. „Kommt ein Hindernis, also zum Beispiel ein anderes Auto oder auch ein Fußgänger, auf einen Meter heran, verlangsamt das Shuttle die Fahrt sofort. Und sobald ein halber Meter unterschritten wird, bremst das Fahrzeug selbstständig komplett ab.“
Ferngesteuerte Fahrt
Im regulären Fahrbetrieb schlägt spätestens dann die Stunde der Sicherheitsfahrerinnen und -fahrer. Denn das E-Shuttle lässt sich nur durch einen Bestätigungsklick per Hand auf einem Monitor in der Fahrgastzelle wieder zur Weiterfahrt animieren. Im Falle eines größeren und dauerhaften Hindernisses müssen sie das Shuttle mit dem Joystick daran vorbeimanövrieren, allerdings nur mit einer Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h. Denn komplett autonom sind die Fahrzeuge natürlich nicht. „Sie bewegen sich auf einer vorher eingemessenen Strecke quasi wie auf Schienen“, wie Yvonne Köhne erklärt. Menschliches Eingreifen ist nötig, wenn es abseits dieser Strecke fahren muss.
Erfolgreicher Pilot
Das Interesse der Bevölkerung am Projekt ist groß: Insgesamt haben mehr als 1.000 Menschen den Dienst der drei selbstfahrenden Mini-Busse genutzt. Nach sechs Wochen hat das Forschungsprojekt eMOIN den Probebetrieb Ende Oktober 2021 planmäßig eingestellt, die Bilanz ist positiv. Yvonne Köhne resümiert: „Das Projekt hat aus unserer Sicht wichtige Erkenntnisse gebracht. Am Ende stehen ganz konkrete Erfahrungen, wie automatisierte Fahrzeuge in der Anbindung eines Stadtviertels an das bestehende Öffentliche Verkehrsnetz bedarfsgerecht und sicher eingesetzt werden können. Alle Beteiligten nehmen aus diesem Praxis-Einsatz auch Lerneffekte in Bezug auf die Herausforderungen mit, die es bei der Weiterentwicklung und Zulassung solcher zukunftsweisenden Konzepte für den Einsatz im größeren Stil noch zu lösen gilt.“