Reifen: Schwarz, rund – und immer nachhaltiger
Author: Matthias Gaul
Ob Einsatz recycelter Materialien, Runderneuerung oder längere Nutzungsdauer: In der Reifenindustrie stehen die Zeichen mehr denn je auf Grün.
Zirkuläres Wirtschaften mit dem Ziel, Rohstoffe so lange und häufig wie möglich zu nutzen und natürliche Ressourcen möglichst in Kreisläufen zu führen, gewinnt in der Wirtschaft angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel deutlich an Dynamik. Die Reifenindustrie ist hierfür ein gutes Beispiel. Das verwundert nicht, schließlich bestehen Autoreifen aus über 200 verschiedenen Materialien. Dazu gehören Natur- und Synthesekautschuk, Ruß und Silica, Stahl- und Textilverstärkungen sowie unterschiedliche Chemikalien. Bedenkt man, dass die Reifenhersteller, wie Michelin errechnet hat, weltweit zusammen jährlich etwa 1,6 Milliarden Autoreifen verkaufen, wird schnell klar, welches Potenzial in einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft steckt. Zumal ähnlich viele Reifen pro Jahr auf dem Müll landen.
Reifen aus recycelten Materialien und nachwachsenden Rohstoffen
Vor diesem Hintergrund hat sich beispielsweise Continental zum Ziel gesetzt, bis spätestens 2050 sukzessive 100 Prozent nachhaltig erzeugte Materialien in seinen Reifenprodukten einzusetzen. Auf dem Weg dorthin hat das Unternehmen erst kürzlich mit der deutschen Pyrum Innovations AG eine Entwicklungsvereinbarung geschlossen. Ziel der Zusammenarbeit ist es, das Recycling von Altreifen durch Pyrolyse weiter zu optimieren und auszubauen. So soll mittelfristig unter anderem qualitativ besonders hochwertiger Industrieruß gewonnen werden, um die Stabilität, Festigkeit und Haltbarkeit von Reifen weiter zu erhöhen. In einem Standard-Pkw-Reifen beträgt der Anteil von Ruß, dem Reifen ihre schwarze Farbe verdanken, 15 bis 20 Prozent. Was die Nachhaltigkeit anbelangt, hatte Continental auf der IAA Mobility 2021 in München bereits den „Conti GreenConcept“ mit einem 17-prozentigen Anteil recycelter Materialien und 35-prozentigen Anteil nachwachsender Rohstoffe präsentiert – darunter Naturkautschuk aus Löwenzahn, Silikat aus der Asche von Reishülsen sowie pflanzliche Öle und Harze.
Wettbewerber Goodyear will schon bis zum Jahr 2030 einen vollständig nachhaltigen Reifen entwickeln. In einem ersten Schritt stellte das Unternehmen im Januar 2022 einen Prototypen vor, der immerhin zu 70 Prozent aus nachhaltigen Materialien besteht. Dabei kommt etwa Ruß zum Einsatz, der aus Methan, Kohlenstoffdioxyd und pflanzlichen Ölen hergestellt wird. Außerdem Sojaöl als Ersatz für Produkte auf Erdölbasis sowie ebenfalls Silikat aus der Asche von Reisschalen.
Auch Michelin hat sich größtmögliche Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben und arbeitet unter anderem im Rahmen des „BioButterfly“-Projekts mit dem französischen Unternehmen Axens und dem französischen Forschungsinstitut IFP Energies Nouvelles zusammen, um Butadien – ein wichtiger Bestandteil synthetischen Kautschuks, der zur Herstellung von Reifen verwendet wird – nicht mehr aus Erdöl, sondern auf Basis von Biomasse aus Holz, Reishülsen, Blättern, Maisstängeln und anderen Pflanzenabfällen zu produzieren. Darüber hinaus realisiert das Unternehmen viele weitere Projekte, um PET zu regenerieren, Polystyrol zu recyceln oder Ruß aus Altreifen zurückzugewinnen.
Bridgestone wiederum hat in einer Kooperation mit dem niederländischen Unternehmen Arlanxeo und dem belgischen Unternehmen Solvay die „Techsyn“-Technologie entwickelt. „Techsyn“ kombiniert chemisch optimierten synthetischen Kautschuk mit Kieselsäure, die auf molekularer Ebene interagieren. Bei der Entwicklung wurde ein besonderer Fokus auf die Verbesserung des Reifenverschleißes gelegt, um hier einen geringeren Materialverlust zu gewährleisten und langfristig den Rohstoffverbrauch zu reduzieren.
Reifen mit längerer Nutzungsdauer
Zum Thema Verschleiß passt auch eine von Michelin speziell entwickelte 3D-Druck-Technik, die besonders filigrane Strukturen im Reifenprofil ermöglichen und den Reifen damit langlebiger machen soll. Die Reifen soll man Unternehmensangaben bis zur gesetzlichen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern herunterfahren können, dabei würden sie noch immer eine optimale Bremsleistung aufweisen.
Ein weiteres wichtiges strategisches Thema im Bereich zirkuläres Wirtschaften ist schließlich die Runderneuerung, wie sie von darauf spezialisierten Betrieben ebenso wie von zahlreichen Reifenherstellern seit Jahren beispielsweise bei Nutzfahrzeugreifen, im Motor-Rennsport oder bei Flugzeugreifen angeboten wird. Continental zum Beispiel prüft dabei aktuell auch den Einstieg in die Runderneuerung von Pkw-Reifen. Grundsätzlich kann die Runderneuerung den Einsatz wertvoller Ressourcen wie Rohöl, Naturkautschuk und Wasser deutlich reduzieren. Zusätzlich können CO2-Emissionen eingespart werden: Bei der Herstellung eines runderneuerten Nutzfahrzeugreifens ist beispielsweise im Vergleich zur Herstellung eines neuen Reifens bis zu 70 Prozent weniger Energie erforderlich.
DEKRA testet abgeschliffene Neureifen am Lausitzring
Christian Koch, Sachverständiger für Reifen und Räder bei der DEKRA Automobil GmbH, bewertet die Bemühungen der Hersteller um größtmögliche Nachhaltigkeit überaus positiv – auch unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit. In Sachen Profiltiefe respektive Nutzungsdauer sei es zwar so, dass der Grip des Reifens mit der Zeit vor allem auf nasser Straße verständlicherweise abnehme und sich dadurch der Bremsweg verlängere. „Aber von einer starren 3- oder 4-Millimeter-Regel muss man sich verabschieden, dafür sind die Reifen der Hersteller zu unterschiedlich“, so Koch.
Gespannt sieht er in diesem Zusammenhang auch den Ergebnissen einer Mitte März 2022 im DEKRA Technology Center am Lausitzring in Brandenburg durchgeführten Testreihe mit auf zwei Millimeter abgeschliffenen Neureifen und ihrem Verhalten auf trockener und nasser Fahrbahn entgegen. Was die Runderneuerung anbelangt, hat der DEKRA Reifenexperte ebenfalls keine Bedenken: „Die Qualität der Produkte von namhaften Runderneuerern ist angesichts der dafür eingesetzten Technologien durchaus mit Neureifen zu vergleichen.“