Politische Arbeit für DEKRA in Brüssel

14. Juli 2023
An der Brüsseler Avenue de Cortenbergh im Brüsseler Europaviertel spiegeln sich die Flaggen vieler verschiedener Nationen in den hohen Glasfassaden. An Hausnummer 52 ist die österreichische Flagge gehisst. Unten, im Erdgeschoss des Gebäudes, kann man schon von Weitem Oliver Deiters, Head of Global External Affairs and Public Policy bei DEKRA, an seinem Schreibtisch sitzen sehen. In bester Lage, im selben Haus, in dem auch Vertreterinnen und Vertreter der österreichischen Botschaft sitzen, hat das Team der politischen Repräsentanz von DEKRA in Brüssel seinen Sitz.
Oliver Deiters und sein Team beginnen die wöchentliche digitale Konferenz mit den Kolleginnen und Kollegen aus Berlin und Stuttgart. Es geht zum Beispiel um aktuelle Entwicklungen bei der EU-Gesetzgebung zum Thema Assistenzsysteme, bald soll hierzu ein Bericht angegeben werden. In Berlin beschäftigt man sich mit Themen wie dem Prüfgeschäft von Aufzügen und plant eine Veranstaltung, um den neuen Verkehrssicherheitsreport vorzustellen.

Die Kunst des Networkings

Die Kolleginnen und Kollegen aus Brüssel, Berlin und Stuttgart machen das, was man gemeinhin als Lobbyarbeit bezeichnet. Ihre Aufgabe ist es, die politischen Interessen von DEKRA in der Europäischen Union, den Vereinten Nationen, auf Bundes- und Länderebene zu vertreten. Und dabei sind sie in Brüssel und Berlin ganz nah am Geschehen. Ihre Kernaufgaben sind die Vernetzung und das Pflegen von Kontakten mit Politikerinnen und Politikern und Verbänden, um DEKRA auf politischer Ebene Gehör zu verschaffen. Denn die Dienstleistungen und Services des Unternehmens sind an die aktuelle Gesetzgebung gebunden. „Zunächst muss man alles im Auge behalten: Welche Gesetzesinitiativen kommen auf uns zu?“, erklärt Oliver Deiters. „Wir müssen immer auf dem aktuellen Stand sein.“ Dann gilt es, unter den Themen diejenigen rauszufiltern, die für DEKRA relevant sind. „Es ist wie ein Trichter, der permanent gefüllt wird.“ Oliver Deiters und sein Team sind so etwas wie Pfadfinder. „Bei hunderten von Gesetzestexten und Abhandlungen kann ich noch so ein toller und schneller Leser sein. Die Kunst ist es, einen direkten Kontakt zu etwa dem Kommissionsmitarbeitenden aufzubauen, der einem sagen kann: Auf den 500 Seiten ist Seite 398, unterer Absatz, für dich relevant.“
Networking, sagt Deiters, könne man an keiner Uni der Welt lernen. „Es ist Typsache. Das muss einem liegen. Es bedarf einer nonchalanten Art und Weise, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Ich muss einen Standpunkt vermitteln können, ohne damit zu nerven. Das kriege ich nicht hin, wenn ich ein krampfiger Typ bin, der am liebsten abends um 18 Uhr die Füße hochlegt.“ Man muss rausgehen, mit Leuten in Kontakt kommen, auch in der Mittagspause und nach Feierabend.

Das Trust-Center-Modell

Auf Deiters Agenda für den Tag steht eine Verabredung zum Mittagessen – eine Gelegenheit, um über den „Data Act“ zu sprechen. DEKRA steht in diesem Zusammenhang für das „Trust-Center-Modell“ ein, dem der universelle Zugang zu Daten zugrunde liegt. „Daten fließen in alle Produkte und Dienstleistungen ein“, erklärt Deiters. „Dabei geht es nicht nur um das Fahrzeug, aber es ist das erste Produkt – mal abgesehen vom Smartphone –, das in diesem Zusammenhang intensiv diskutiert wird.“ Fahrzeugdaten können kompliziert sein: Das Fahrzeug bewegt sich im dreidimensionalen Raum und soll dann noch automatisierte Funktionen haben. „Am Ende weiß keiner mehr genau, wer gefahren ist – die Fahrerin/der Fahrer, das Auto oder die Software?“ Die Krux dabei ist, dass das Fahrzeug bei Typprüfung und Inverkehrbringen zwar abgenommen und für sicher erklärt wird, dann aber mittels Softwareupdate wieder verändert werden kann. „Das prüft dann keiner mehr. Assistenzsysteme können nachträglich so verändert werden, dass sie sich negativ auf die Verkehrssicherheit auswirken“, so Deiters. Etwa, wenn der Spurhalteassistent ausfällt oder das Navigationssystem abbiegen empfiehlt, sich aber an besagter Stelle gar keine Straße, sondern ein Bürgersteig befindet. „Darum plädieren wir für einen neutralen Platz für die Daten, das Trust- Center-Modell. Daten für hoheitliche Tätigkeiten sollten ungefiltert gespeichert und abgerufen werden können – von uns als Prüfgesellschaft, aber beispielsweise auch für die Nachverfolgung von Unfällen.“

Austausch im Auftrag der Sicherheit

Auf EU-Ebene kommt man mit verschiedenen Personengruppen in Kontakt: Vertreter von Unternehmen, Verbandsleute, Ministerinnen, Parlamentarier. Als Interessenvertretung kann DEKRA sowohl bei der Gesetzesinitiative als auch bei der Diskussion um das Gesetz Einfluss nehmen. Wie das funktioniert? Oliver Deiters räumt mit einem gängigen Vorurteil auf: „Lobbyarbeit bedeutet nicht, dass wir uns dauernd zum Essen treffen oder auf Events Champagner schlürfen. Politikerinnen und Politiker, Verbände und andere Unternehmen zählen auf uns als fachliche Quelle. Wir bringen wichtige Erkenntnisse aus den jeweiligen Fachbereichen in den politischen Diskurs mit ein. Es geht um den Austausch von Informationen, Ideen, Projekten und Standpunkten." Dabei habe DEKRA einen entscheidenden Vorteil, so der Wahlbrüsseler. „Wir stehen für ein Produkt, das jede und jeder unterstützt, nämlich Sicherheit. Das ist etwas anderes, als wenn man Lobbyarbeit für Zigaretten oder Waffen macht.“ Natürlich sei es da zuträglich, wenn ein guter Kontakt bestehe oder Informationen ansprechend präsentiert würden. Und klar, ein persönlicher Kontakt helfe auch beruflich. „Ich kann auch so versuchen, jemanden aus der Europäischen Kommission zu erreichen. Aber er oder sie ist wahrscheinlich den ganzen Tag in Meetings. Abends sehe ich ihn oder sie vielleicht auf einem Empfang. Jackpot. Jetzt muss ich nur noch ins Gespräch kommen – und im Nachgang dranbleiben.“ Wen man treffe, sei da erstmal zweitrangig. „Es geht um ein funktionierendes Gesamt-Netzwerk, das man sich über Jahre aufbaut. So wird man auch mal an die passenden Personen verwiesen.“ Die Zusammensetzung der Gremien variiert je nach Wahl, das ist nicht nur auf EU-Ebene der Fall.
Dynamik bestimmt das Politikleben in Brüssel, und ist auch das Stichwort für Oliver Deiters. Der 54-Jährige ist seit fast 23 Jahren bei DEKRA, arbeitete zuvor für die Vertretung des Saarlandes bei der EU in Brüssel. „Bei all der Hektik in Brüssel ist es die Herausforderung, sich trotzdem auf das Wesentliche zu konzentrieren. Seinem Gegenüber genau zuzuhören – und nicht schon mit den Gedanken am nächsten Gesetzesentwurf zu sein.“ Deiters gilt als einer der erfahrensten Lobbyisten in Brüssel, er hat Viele kommen und gehen sehen. Warum er nie gewechselt habe, werde er oft gefragt. „Ganz einfach, weil der Job mir Abwechslung genug bietet. DEKRA als Unternehmen hat sich in den vergangenen Jahren unglaublich gewandelt. Es ist ein riesiges Spektrum an Themen hinzugekommen. Es geht heute nicht mehr nur um die Hauptuntersuchung; von gesetzlichen Regelungen für ein Hochrisiko-Medizinprodukt bis hin zur zerstörungsfreien Prüfung von Atomanlagen ist alles dabei. Mir ist jedenfalls nie langweilig geworden.“

Internationales Arbeiten in Brüssel

Good Morning? Bonjour? Goedemorgen? In Belgien gibt es drei offizielle Landessprachen: Französisch, Niederländisch und Deutsch; zahlreiche weitere kommen in Brüssel durch die EU-Institutionen hinzu. „Ich selbst spreche in der Woche mehr Englisch und Französisch als Deutsch“, sagt Deiters. Die Teams in Brüssel und Berlin müssen die Augen und Ohren immer offenhalten. Das gilt nicht nur mit Hinblick auf die Gesetzgebung – es muss auch andersrum funktionieren, in die Organisation hinein. „Wir sind ganz nah dran an den internen Fachexpertinnen und -experten. Wir sind auf ihre Expertise angewiesen, um schnell und adäquat auf entsprechende Gesetzesinitiativen reagieren zu können“, sagt Deiters. Da hatte die Corona-Pandemie auch ihre Vorteile. „Digital haben wir sehr viel mehr Leute zusammen an einen Tisch bekommen, als wir das physisch durch diverse Termin-Kollisionen je geschafft hätten.“ Früher besuchte das Team häufiger die Hauptverwaltung in Stuttgart, in der Pandemie ging das nicht mehr. Das soll sich bald wieder ändern.

Es geht um ein funktionierendes Gesamt-Netzwerk, das man sich über Jahre aufbaut. So wird man auch mal an die passenden Personen verwiesen.

Oliver Deiters, Head of Global External Affairs and Public Policy