Rettungskarte rettet Leben – ganz analog

Author: Hannes Rügheimer

17. Mai 2022 Sicherheit im Verkehr

Moderne Sicherheitstechnologien senken wirksam das Verletzungsrisiko bei Verkehrsunfällen. Werden in schweren Fällen aber doch Insassen im Fahrzeug eingeklemmt oder eingeschlossen, könnte das die Rettung erschweren. Hier leistet die Rettungskarte einen wichtigen Dienst – und zwar in analoger Form.

Wenn es zum Schlimmsten kommt, sind Autofahrer heute besser geschützt denn je: Moderne Sicherheitstechnologien und hochfeste Werkstoffe sorgen auch bei Crashs mit höheren Geschwindigkeiten für stabil bleibende Fahrgastzellen und senken das Verletzungsrisiko der Fahrzeuginsassen. Nicht zuletzt die steigende Bedeutung der Euro-NCAP-Crashtests (European New Car Assessment Programme) hat diese Entwicklung vorangetrieben – auch wenn diese Tests nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, spornten sie die Fahrzeughersteller doch dazu an, die Fahrgastzellen in modernen Autos immer stabiler zu machen. Dies hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Zahl der Verkehrstoten in den letzten Jahren stark gesunken ist.
Dennoch hat diese sehr erfreuliche Entwicklung auch eine Kehrseite: Kommt es in Extremfällen dazu, dass Insassen im Fahrzeug eingeklemmt oder eingeschlossen werden, können die erheblich stabileren Konstruktionen eine Rettung erschweren. Gerade mit älteren hydraulischen Spreizern und Schneidgeräten tun sich Rettungskräfte dann oft schwer, eine durch den Unfall verformte Karosserie zu öffnen und die Fahrzeuginsassen daraus zu befreien. So entstehende Verzögerungen können schwerwiegende Folgen haben, weil bei der Rettung von Schwerverletzten jede Sekunde zählt.
Standardisierte Informationen helfen Rettern
Um dieser Problematik zu begegnen, gibt es die sogenannte Rettungskarte. Entwickelt wurde das Konzept vom VDA-Arbeitskreis Retten, dem unter anderem Fahrzeughersteller, Vertreter der Feuerwehren und weitere Experten aus dem Rettungswesen angehören. 2009 stellte dieser Arbeitskreis ein Konzept für herstellerübergreifende, einheitliche Rettungsdatenblätter vor. Der standardisierte Aufbau enthält eine schematische Darstellung des jeweiligen Fahrzeugs in Ansichten von der Seite und von oben. Darin sind alle relevanten Bauteile wie die Lage von Karosserieverstärkungen, der Batterie, von Airbags und ihren Steuergeräten, des Kraftstofftanks beziehungsweise der Hochvoltbatterien und anderer Komponenten gekennzeichnet. Bei Elektro- und Hybridfahrzeugen sind überdies Hinweise enthalten, wie sich das Hochvoltsystem durch die Einsatzkräfte zuverlässig deaktivieren lässt.
Diese Rettungskarten werden von den Fahrzeugherstellern erstellt und aktuell gehalten. Mit den darauf verfügbaren Informationen lässt sich die zum „Aufschneiden“ eines verunfallten Fahrzeugs benötigte Zeit im Ernstfall deutlich verkürzen. Zumal Praktiker aus dem Rettungswesen eindrücklich schildern: Verunfallte Fahrzeuge sind bisweilen so stark verformt, dass sich das konkrete Modell selbst für geschulte Augen oft nicht mehr erkennen lässt.
Die Rettungskarte gibt es zum kostenlosen Download im Internet
Fahrzeughalter können die Rettungskarte für ihren Fahrzeugtyp kostenlos im Internet herunterladen. Sie sollten das Dokument in Farbe ausdrucken und hinter der Sonnenblende auf der Fahrerseite anbringen. Durch diese Übereinkunft wissen Rettungskräfte, wo sie im Ernstfall nach den wichtigen Informationen suchen sollen.
Auch DEKRA unterstützt diese sinnvolle Schutzmaßnahme umfangreich. Mit der erst vor Kurzem neu gestalteten Website www​.dekra​.de/de/rettungskarte gibt es einen zentralen Anlaufpunkt, wo Autofahrer die für ihr Modell passende Rettungskarte herunterladen können und alle weiteren Informationen rund um das Thema finden. Zusätzlich bietet DEKRA kostenlos einen Aufkleber für die Windschutzscheibe an, der darauf hinweist, dass eine Rettungskarte im Fahrzeug hinterlegt ist.
Analog auf Papier als universale Lösung
Für manchen mag das analoge Ausdrucken und Hinterlegen lebenswichtiger Informationen im Zeitalter von Smartphones und Internet etwas anachronistisch wirken. Markus Egelhaaf, DEKRA Experte im Bereich Unfallforschung, erklärt den Hintergrund: „Natürlich gibt es auch zunehmend digitale Wege zu diesen Informationen. Einige Feuerwehrleitstellen können zum Beispiel über eine Kennzeichenabfrage den Fahrzeugtyp ermitteln, das zugehörige Rettungsdatenblatt abrufen und an die Einsatzleitung übertragen.“ Das Problem sei aber, dass dies nicht durchgängig der Fall ist – weder in Deutschland noch im Ausland. Grundsätzlich ist die Rettungskarte aber in allen europäischen Ländern bekannt, ihr Format ist sogar weltweit standardisiert. Deshalb empfiehlt es sich im Übrigen nicht nur für deutsche Fahrer auf Auslandsreisen, sondern für alle Autofahrer in allen Ländern, so eine Karte hinter der Sonnenblende ihres Fahrzeugs zu platzieren – auch wenn sich Qualität und Breite der Umsetzung dieses Konzepts natürlich von Land zu Land unterscheiden. Markus Egelhaaf: „Die Rettungskarte auf Papier auszudrucken und hinter der Sonnenblende zu platzieren, ist unter diesen Bedingungen eine Sicherheits- beziehungsweise Fallback-Lösung, auf die im eigenen Interesse kein Autofahrer verzichten sollte.“
Drei Fragen an Markus Egelhaaf, DEKRA Unfallforschung
Welche Rolle spielt DEKRA rund um die Rettungskarte?
Egelhaaf: Wir unterstützen das Konzept mit allem Nachdruck und stellen jedem Autofahrer – egal ob DEKRA Kunde oder nicht – den Zugang zur spezifischen Rettungskarte, soweit vom Hersteller angeboten, für sein Fahrzeug zur Verfügung. Hinzu kommen weitere Serviceangebote wie der kostenlose Hinweisaufkleber für die Windschutzscheibe oder eine ebenfalls kostenlose Schutzhülle für die ausgedruckte Karte. Alle diese Angebote bündeln wir auf der Website www​.dekra​.de/de/rettungskarte , die wir vor Kurzem grundlegend überarbeitet haben.
Was empfehlen Sie in diesem Zusammenhang den Autofahrern?
Egelhaaf: Die Karte für das eigene, spezifische Fahrzeugmodell herunterladen – dabei kommt es auch auf Antriebsvariante und gegebenenfalls Karosserieform an. Dann das Dokument in Originalgröße in Farbe ausdrucken und hinter der Sonnenblende auf der Fahrerseite platzieren. Gibt es dort keine Lasche, tut es auch ein stabiles Gummi- oder Klettband. Zusätzlich einen Aufkleber an der Windschutzscheibe, aber außerhalb des Fahrer-Sichtfelds, anbringen, der darauf hinweist, dass eine Rettungskarte im Fahrzeug hinterlegt ist. Außerdem sollte man etwa einmal pro Jahr überprüfen, ob die Karte noch leserlich und noch aktuell ist.
Gibt es auch Aspekte an dem Konzept, die verbesserungswürdig sind?
Egelhaaf: Der möglichst frühzeitige digitale Zugang zu den sicherheitsrelevanten Informationen durch die Einsatzkräfte ist ein wichtiger Schritt. Der genaue Fahrzeugtyp wird beim eCall, also elektronischen Notrufen, automatisch mit übermittelt oder kann von entsprechend ausgestatteten Leitstellen durch eine Abfrage der Fahrzeugkennzeichen beim Notruf ermittelt werden. Diese „digitale Rettungskette“ ist aber noch nicht überall durchgängig im Einsatz – wichtig ist daher, sie schnell und konsequent auszubauen.