Rollin‘ Justin bringt das Wasser

Author: Regina Weinrich

12. Dez. 2018 Sicherheit bei der Arbeit / Innovation

In Krankenhäusern und Pflegeheimen werden sie bereits gesichtet: Roboter. Sie sollen Wasser oder Tabletten bringen und beim Gedächtnistraining helfen. Das Pflegepersonal werden Rollin‘ Justin oder Edan aber lange noch nicht ersetzen.

„Nein“, sagt Birgit Graf lachend, „Pflegekräfte werden in den nächsten 20 oder 30 Jahren nicht durch Roboter ersetzt. Die Frage ist, ob das überhaupt jemals Wirklichkeit wird.“ Die Wissenschaftlerin muss es wissen, denn Robotik in der Pflege ist ihr Spezialgebiet. Sie forscht dazu seit mehreren Jahren am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und ist damit ganz nah an einem anderen Thema: dem Pflegenotstand in einer überalterten Gesellschaft.
Personal ist in vielen Krankenhäusern und Altersheimen knapp, und da der Beruf sehr anstrengend sein kann, ist Nachwuchs Mangelware. Die Krankenstände rangieren in der Statistik immer ganz weit vorn, nicht wenige Pflegekräfte scheiden aufgrund der hohen körperlichen und psychischen Belastung frühzeitig aus. Auch Alexander Huhn kennt die Problematik nur zu gut. Er ist Kreisgeschäftsführer des Caritas-Zentrums in Garmisch-Partenkirchen, zu dem auch ein ambulanter Pflegedienst und das Altenheim St. Vinzenz gehören. Die oberbayrische Kommune ist gewissermaßen ein Brennpunkt im Land – fast ein Drittel der etwa 30.000 Einwohner ist über 65 Jahre alt.
Huhn steigt deshalb im Laufe des kommenden Jahres mit seinem Heim in die Grundlagenforschung ein. Mit „Edan“, einem Rollstuhl mit Roboterarm, und „Rollin‘ Justin“, einem schon eher selbstständigen Roboter, soll gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen in den nächsten fünf bis acht Jahren untersucht werden, wie die zwei für die Raumfahrt entwickelten Maschinen als Assistenzsysteme menschliche Tätigkeiten ergänzen können. Dabei sollen die Vorstellungen und Wünsche von Mitarbeitern und Senioren im Mittelpunkt stehen.
„Wir sind da ganz am Anfang“, betont Huhn. „Und die Pflege wird immer beim Menschen bleiben“, sagt er auch. Aber Tabletten oder Wasser könnten von einem Roboter gebracht werden, genauso wie er wohl Gedächtnistraining oder Mobilisierungsmaßnahmen übernehmen könne, auch bei der Pflegedokumentation über Sprachsteuerung könne er hilfreich sein. Sehr viel verspricht sich der Sektor auch von einer Unterstützung beim Heben und Bewegen von Personen.
Roboter übernehmen ausschließlich unterstützende Funktion
„Hier gibt es tatsächlich einen Riesenbedarf“, sagt Birgit Graf. Die Funktionen bereits existierender Personenlifter mit robotischen Assistenzfunktionen zu ergänzen und dadurch die Bedienung für das Personal zu vereinfachen ist allerdings eine große Herausforderung. „Die Sicherheit spielt bei der Entwicklung neuer Lösungen eine wichtige Rolle, schließlich agiert man mit starken Motoren direkt am Menschen“, erläutert sie. Zudem müsse ein solches Gerät letztlich auch wirtschaftlich vertretbar sein, eine Anforderung, die durch viele aktuell verfügbare Forschungsplattformen, die als Generalisten ausgelegt sind, nicht erfüllt wird. Wie in allen anderen Einsatzbereichen, hätten die Roboter künftig aber auch hier ausschließlich eine unterstützende Funktion. „Denn ob die Person richtig liegt oder Schmerzen empfindet, kann nur der Pfleger einschätzen.“
Für Aufgaben, wie sie sich auch in der herkömmlichen Logistik oder in der Automobilindustrie stellen, sind Roboter bereits unterwegs. In großen Krankenhäusern transportieren sie Wäsche oder Essen, auch das Konzept eines intelligenten Pflegewagens könnte bald nicht mehr nur als Prototyp zu finden sein. Er stellt den Pflegekräften notwendige Utensilien automatisch bereit, dokumentiert ihren Verbrauch und fährt zum Nachfüllen selbstständig ins Lager. Der Roboter wurde mehrere Monate in zwei Altenpflegeeinrichtungen und einer Klinik getestet und kam dabei sehr gut an.
„Zu den aktuell käuflichen oder kurz vor der Serienreife stehenden Robotern gehören noch keine Modelle, die mit Armen aktiv anpacken können“, stellt Wissenschaftlerin Graf fest. „Das ist erst der nächste Schritt.“ Hier müssten zum einen grundlegende Sicherheitsfragen geklärt werden, andererseits sind die Umgebungen für mögliche Einsätze äußerst komplex, was entsprechend hohe Anforderungen an die Sensorik und Datenverarbeitung des Roboters stellt. „Ich gehe davon aus, dass wir nach 15 Jahren die ersten Systeme in der Anwendung haben“, schätzt Geschäftsführer Huhn. Jedenfalls sei es wichtig, von Anfang an dabei zu sein, wenn Weichen für die Zukunft gestellt würden – „schließlich wollen wir auch die gesellschaftlichen und ethischen Fragen mitdiskutieren.“