Teleoperiertes Fahren – der Ruf aus der Ferne
Author: Joachim Geiger
Autos mit Fernlenkung sind für viele Kids das Allergrößte. Und wie steht es mit den richtig großen Kalibern? Das teleoperierte Fahren ist eine junge Technologie, Anwendungen in Verkehrsunternehmen und Logistik sind noch überschaubar. Hat das teleoperierte Fahren trotzdem das Zeug zur eigenständigen Spielart der Mobilität?
Ein Husarenstück mit einem fahrerlosen 1.200-PS-Elektroboliden hat Anfang September 2021 der Rennfahrer Tim Heinemann auf dem Red Bull Ring in der Steiermark abgeliefert. Der 22-Jährige, der für das Team HP Racing International in der DTM Trophy an den Start geht, hat das Fahrzeug in einem famosen Lauf über den 4.326 Meter langen Kurs gesteuert – am Lenkrad eines hochmodernen Fahrsimulators.
Aufgebaut war er beim Antriebsentwickler AVM im über 80 Kilometer entfernten Graz. Auch wenn es die meisten Rennsportfans bei dem Gedanken schütteln dürfte, dass fahrerlose Boliden in einer DTM-Serie über die Rennstrecke rasen könnten – das Event hat gezeigt, dass ferngesteuertes oder teleoperiertes Fahren ein beeindruckendes Leistungsvermögen an den Tag legen kann. Andererseits stellt sich die Frage, warum man den Fahrer im Fahrzeug überhaupt durch einen externen Fahrer ersetzen sollte. Als Referenz für einen fahrerlosen Betrieb jenseits des Society of Automotive Engineers (SAE)-Levels 4 wäre das teleoperierte Auto jedenfalls eine Mogelpackung – schließlich hat der Fahrer nach wie vor das Kommando, auch wenn die eigentliche Steuerung außerhalb des Fahrzeugs stattfindet. Gut möglich jedoch, dass die Technologie als Zwischenstation auf dem Weg zum tatsächlichen fahrerlosen Fahren eine Perspektive hat.
Kann das ferngelenkte Fahren einen wirtschaftlichen Mehrwert bieten?
Die Hardware für die Fernlenkung im Fahrzeug besteht im Wesentlichen aus hochauflösenden Kameras, optischen Sensoren und einer On Board Unit, die über Mobilfunk Zugriff auf die Fahrfunktionen ermöglicht. Die externe Steuerung wiederum findet in einem Leitstand oder Kontrollzentrum statt. Dort sitzt der Teleoperator vor großen Monitoren, die einen Überblick über das Umfeld des Fahrzeugs erlauben. Gesteuert wird mit Hilfe eines Joysticks oder mittels Lenkrads und Pedalen. Damit das Zusammenspiel von Telefahrer und Auto perfekt gelingt, sind eine sehr gute Netzabdeckung und jede Menge Bandbreite für die Übertragung der Videostreams gefragt. Kommt der Mobilfunkstandard 5G auf mittlere Sicht in der Breite an, dürfte das die Entwicklung des teleoperierten Fahrens begünstigen.
Dass diese Spielart der Mobilität aber auch ohne superschnelles Netz funktioniert, zeigt das Beispiel des Berliner Start-ups Vay, das sich mit seinem Modell eine Kombination aus Taxiservice und Carsharing auf die Fahnen schreibt. Seit zwei Jahren sammelt das Unternehmen in Berlin und Hamburg mit einer kleinen Flotte teleoperierter Elektroautos mit Sicherheitsfahrern an Bord fleißig Testkilometer. Das Arrangement sieht unter anderem vor, dass die Fahrzeuge Zugriff auf mehrere 4G-Mobilfunknetzwerke haben und nur in solchen Gebieten unterwegs sind, in denen eine lückenlose Abdeckung gewährleistet ist. Noch in diesem Jahr will Vay in der Hansestadt den kommerziellen Einsatz angehen. Die ferngelenkten Stromer sollen in erster Linie in den Außenbezirken unterwegs sein, die noch nicht hinreichend vom ÖPNV erschlossen sind. Der Kunde bestellt per App das Auto, das ein Telefahrer zur gewünschten Übernahme steuert. Am Ziel angekommen, steigt der Fahrer aus und gibt den Wagen direkt an den Operator zurück. Die Parkplatzsuche entfällt und das Fahrzeug steht für den nächsten Einsatz zur Verfügung.
Auch in der Logistik ließe sich ein Mehrwert für die Teleoperation finden. Zwar kommen vereinzelt in abgeschlossenen Betriebsanlagen schon fahrerlose Fahrzeuge zum Einsatz. In einem komplexen Umfeld sind sie mit selbstständigen Fahr- und Handlingaufgaben aber häufig überfordert. Der Logistik-Dienstleister DB Schenker hat daher gemeinsam mit dem Münchener Start-up Fernride in einer Fallstudie den Einsatz eines teleoperierten Umsetzers in der Hoflogistik untersucht. Teleoperator und Fahrzeug haben sich bei der Arbeit mit den Wechselbrücken offenbar sehr gut geschlagen – bei DB Schenker heißt es jetzt, die Teleoperation sei ein erster Schritt hin zu einer höheren Automatisierung der Betriebshöfe.
In Nordamerika sucht Einride professionelle Telefahrer für die Pods
Das Frachttechnik-Unternehmen Einride hat die Teleoperation schon länger auf dem Schirm. Die Schweden wollen im nordamerikanischen Austin demnächst eine Flotte ihrer automatisierten Trucks ohne Fahrerhaus (Pods) im Warentransport auf die Straßen bringen. Die erste offizielle Telefahrerin des Unternehmens ist die Ex-Truckerin Tiffany Heathcott, die vergangenes Jahr ein eigens konzipiertes Ausbildungsprogramm durchlaufen hat. Allerdings geht es bei Einride gerade nicht um das dauerhafte Lenken per Fernsteuerung – die Pods sollen sich schließlich den Weg in Eigenregie suchen. Kernaufgabe der Telefahrer ist die Überwachung und Unterstützung der Lkw bei der Durchführung der Transporte. Die Telefahrerin stellt also gewissermaßen die Rückfallebene sicher – und hätte genug Zeit, in einer Schicht mehrere fahrerlose Trucks gleichzeitig unter ihre Fittiche zu nehmen. Auch in Deutschland stehen bei Verkehrsunternehmen und im ÖPNV fahrerlose Fahrzeuge in den Startlöchern. Tiffany Heathcott hätte mit einer Bewerbung als Telefahrerin allerdings keine Chance. Weder das Gesetz zum autonomen Fahren vom 12. Juli 2021 noch die „Verordnung zur Regelung des Betriebs von Kraftfahrzeugen mit automatisierter und autonomer Fahrfunktion und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ vom 1. Juli 2022 sehen eine direkte teleoperierte Fernsteuerung vor.
Der deutsche Gesetzgeber schließt eine direkte Fernsteuerung noch aus
Stattdessen beschreibt die Verordnung, für die noch die Zustimmung des Bundesrats aussteht, folgendes Szenario: Im Fall einer Betriebsstörung oder bei außergewöhnlichen Vorkommnissen – etwa einem Hindernis auf der Straße – versetzt sich das Fahrzeug in den risikominimalen Zustand. Es bleibt dann an geeigneter Stelle stehen und fordert bei der Technischen Aufsicht eine Entscheidung über das weitere Vorgehen an. Wird ein manueller Betrieb erforderlich, bieten sich zwei Alternativen an: Eine fahrzeugführende Person – die nicht mit der Technischen Aufsicht identisch sein muss – kann die Steuerung über eine im Nahfeld befindliche Fernsteuerung übernehmen. Das setzt aber voraus, dass das Fahrzeug nicht schneller als Schrittgeschwindigkeit fährt und der Operator sich maximal sechs Meter davon entfernt befindet. Soll ein höheres Tempo möglich sein, muss das Fahrzeug im Inneren mit der Ausstattung für einen manuellen Fahrbetrieb aufwarten – der Fahrer übernimmt dann auf herkömmliche Weise das Steuer.
Der Automobilzulieferer Bosch verfolgt indes einen Ansatz, wie die Technische Aufsicht einem Fahrzeug auch mithilfe eines teleoperierten Manövers aus der Bredouille helfen könnte. Im EU-geförderten Projekt 5GCroCo (5G Cross Border Control), das nach dreijähriger Laufzeit Ende Juni 2022 endete, hat Bosch das Modell einer indirekten Kontrolle untersucht. Die Technische Aufsicht legt hier anhand der Videobilder einen alternativen Fahrweg fest und übermittelt dem Fahrzeug eine Reihe sogenannter Trajektorien, die um das Hindernis herumführen. Das fahrerlose Fahrzeug folgt nach der Freigabe durch die Technische Aufsicht selbstständig dem Umweg und kehrt in der Folge auf den regulären Fahrweg zurück.