Vision Zero Award für die finnische Stadt Mikkeli
Author: Hannes Rügheimer
In neun aufeinanderfolgenden Jahren von 2012 bis 2020 gab es in der finnischen Stadt Mikkeli keinen einzigen Verkehrstoten. DEKRA würdigte diesen Erfolg mit seinem Vision Zero Award 2022. Ein Blick auf die Stadt und ihre Maßnahmen gibt Hinweise, welche Faktoren solche Erfolge ermöglichen.
Die mittelgroße finnische Stadt Mikkeli liegt rund 230 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Helsinki. Sie zählt rund 53.000 Einwohner und hat – nicht untypisch für ländliche Regionen in Finnland – mit einer Fläche von rund 2.500 Quadratkilometer Land und rund 680 Quadratkilometer Wasser eine vergleichsweise geringe Bevölkerungsdichte.
In den neun Jahren zwischen 2012 und 2020 verzeichnete Mikkeli keinen einzigen Verkehrstoten. Damit steht sie in Finnland an der Spitze auf der interaktiven DEKRA Weltkarte unter www.dekra-vision-zero.com. Um sie zu erstellen, werten die DEKRA Experten kontinuierlich die jeweils neuesten verfügbaren Unfallstatistiken aus 26 Ländern in Europa, Amerika, Asien und Ozeanien aus. Die interaktive Karte verzeichnet diejenigen Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern, die seit 2009 in mindestens einem Jahr das Ziel von null Verkehrstoten erreicht haben.
Den Erfolg in Mikkeli würdigte DEKRA mit seinem „Vision Zero Award“, der 2022 in Brüssel zum sechsten Mal vergeben wurde. Mikkelis Stadtplanungsdirektor Topiantti Äikäs nahm den Preis von DEKRA Vorstandschef Stan Zurkiewicz entgegen.
Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer gleichermaßen berücksichtigen
Nach dem Erfolgsrezept für diese Leistung befragt, antwortet Topiantti Äikäs bescheiden: Der Erfolg habe sich vor allem aus den Rahmenbedingungen des finnischen Verkehrsplanungsrechts und vielleicht einigen Besonderheiten von Mikkeli ergeben. „Bei der Verkehrsplanung und Stadtentwicklung gilt es, die Bedürfnisse von Fußgängern, Radfahrern, Autos und anderem Verkehr gleichermaßen zu berücksichtigen“, betont der Stadtplanungsdirektor. Ein weiterer Grund für den Erfolg sei, dass die lokale Politik und ihre Vertreter auf der staatlichen Ebene gemeinsam an einem Strang ziehen. „Verkehrssicherheit, Nachhaltigkeit und Energiesparen sollten auf all diesen Ebenen ganz oben in der Zielbeschreibung stehen“, so Topiantti Äikäs. Im Interview mit DEKRA solutions betont er aber auch, dass Maßnahmen wie die Einrichtung von Kreisverkehren und innerstädtische Geschwindigkeitsbeschränkungen bis hinunter auf 30 km/h eine wichtige Rolle für die erreichte Verkehrssicherheit spielen.
„Immer wieder beweisen unsere Preisträger und viele weitere Städte der Welt, dass die Vision Zero erreichbar ist“, kommentiert DEKRA Vorstandschef Stan Zurkiewicz. „Rund 1.200 Städte haben null Verkehrstote in mindestens einem Jahr erreicht, viele davon in mehreren Jahren. Es bleibt aber dabei: Jeder Verkehrstote ist einer zu viel.“ Die Anstrengungen müssten weitergehen, um dem Ziel „null Verkehrstote“ in immer mehr Städten und auch außerhalb der urbanen Lebensräume immer näher zu kommen, so Zurkiewicz.
Fortschritte auf dem Weg zur „Vision Zero“
Mit seinem Vision Zero Award will DEKRA Städte und Länder weltweit inspirieren, dieses Ziel in seinen Verkehrssicherheitsstrategien und Planungen festzuschreiben. Dabei trägt das Unternehmen schon seit Langem selbst zu verbesserter Verkehrssicherheit bei: Im Oktober 2021 ist DEKRA ins Fahrzeugprüfgeschäft in Finnland eingestiegen – eine der Stationen befindet sich in Mikkeli.
Überdies zeigt die Initiative immer mehr Erfolge. So hat beispielsweise die griechische Regierung – unter anderem inspiriert durch die Vision-Zero-Karte von DEKRA – im aktuellen Entwurf ihrer Verkehrssicherheitsstrategie das Ziel festgehalten, bis 2025 in mindestens 40 Städten über 50.000 Einwohner die Marke von null Verkehrstoten zu erreichen. Bis 2030 sollen es schon 49 Städte sein.
In Finnland ist Mikkeli eine von insgesamt 18 Städten, die in mindestens einem Jahr seit 2009 das Ziel von null Verkehrstoten erreicht haben, und die einzige, der das insgesamt zehnmal gelungen ist. Denn auch für 2021 kann Mikkeli null Verkehrstote verzeichnen.
Doch ein elftes Jahr wird die Stadt wohl leider nicht mehr an ihren Erfolg anhängen können. Stadtplanungsdirektor Äikäs berichtet betrübt: „2022 hatten wir leider einen Verkehrsunfall mit Todesfolge in unserer Stadt. Es handelt sich um einen Radfahrer, der nach dem mir bekannten Ermittlungsstand während der Fahrt betrunken war. So etwas ist tragisch und vollkommen unnötig – aber Sie können es mit der besten Verkehrsplanung nicht zu hundert Prozent verhindern.“ Auf seinem Weg beirren lässt sich Mikkeli von diesem Rückschlag aber nicht.
Drei Fragen an Topiantti Äikäs, Stadtplanungsdirektor Stadt Mikkeli
Gab es von Anfang an einen gezielten Plan, Unfalltote in Mikkeli auf die Zahl Null zu reduzieren?
Äikäs: Die Zahl Null war zunächst nicht das zentrale Ziel. Ich würde eher sagen, dass sich dieser Erfolg aus den Rahmenbedingungen und vielleicht einigen Besonderheiten von Mikkeli ergeben hat. Die Verkehrsplanung in Finnland verfolgt selbstverständlich ohnehin das Ziel, jeden Verkehrstoten zu vermeiden. Die Größe und besondere Lage unserer Stadt – wir liegen an einem Verkehrsknotenpunkt und haben viele eingemeindete, kleinere Kommunen, die heute zu Mikkeli gehören – hat die Umsetzung aber sicherlich begünstigt. So ist die staatliche Straße, die durch unsere Stadt führt, zum Beispiel ohnehin in einem sehr guten Ausbauzustand.
Welche konkreten Maßnahmen haben Sie darüber hinaus umsetzt?
Äikäs: Vieles davon sind einfach Beispiele guter Verkehrsplanung – gute Einsehbarkeit auf den Straßen, die Nutzung von Kreisverkehren statt Kreuzungen, aber etwa auch vergleichsweise strenge Geschwindigkeitsbegrenzungen in innenstädtischen Bereichen. Vor Kindergärten, Schulen oder auch Einkaufszentren reduzieren wir durchaus auf 30 km/h, an vielen anderen Stellen zumindest auf 40 km/h. Wer unaufmerksam fährt, bekommt somit schnell eine Verwarnung – aber der Erfolg gibt uns recht. Ein wichtiger Aspekt ist aber auch eine ganzheitliche Sicht auf die Stadtplanung. Auch in Finnland sind die Ressourcen der öffentlichen Hand begrenzt. Enge Zusammenarbeit und gute Abstimmung zwischen allen Beteiligten sind deshalb ein wichtiger Erfolgsfaktor. Wir beauftragen auch private Beratungsunternehmen, uns bei den Planungen zu unterstützen – diese stehen aber in einem Wettbewerb untereinander.
Haben Sie Erkenntnisse und Erfahrungen gewonnen, die Sie anderen Städten mitgeben können?
Äikäs: Letztlich obliegt die Planung und Umsetzung natürlich jeder Kommune selbst. Ich denke, grundsätzlich wichtig ist, dass staatliche und regionale Entscheider dieselben Ziele verfolgen. Verkehrssicherheit, Nachhaltigkeit und Energiesparen sollten auf all diesen Ebenen ganz oben in der Zielbeschreibung stehen. Das finnische Planungsrecht sieht auch eine sehr enge Einbeziehung der betroffenen Bürger vor. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, ihre Vorschläge, Ideen oder auch Bedenken ernst zu nehmen und sie in der Planung und Ausführung entsprechend zu berücksichtigen.