Wasserstoff: Das Gold der Zukunft
Author: Matthias Gaul
China will bis zum Jahr 2060 klimaneutral werden, die USA, Kanada und die EU schon bis 2050. Wasserstoff spielt dabei nach den Plänen vieler Regierungen weltweit eine wichtige Rolle. Für größtmögliche Nachhaltigkeit sollte das entzündliche Gas allerdings „grün“ sein – erzeugt also aus erneuerbaren Energien wie Sonne, Wasser oder Wind. Auch DEKRA sieht in H2, so das chemische Symbol für Wasserstoff, viel Zukunftspotenzial in Sachen Mobilität, Industrie und Gebäude.
„Ich bin davon überzeugt, meine Freunde, dass das Wasser dereinst als Brennstoff Verwendung findet, dass Wasserstoff und Sauerstoff, seine Bestandteile, zur unerschöpflichen und bezüglich ihrer Intensität ganz ungeahnten Quelle der Wärme und des Lichts werden.“ Eine Stellungnahme aus unseren Tagen? Mitnichten. Vielmehr stammen die Worte aus dem Jahr 1875. Der französische Autor Jules Verne hatte sie in dem Roman „Die geheimnisvolle Insel“ einem seiner Hauptprotagonisten in den Mund gelegt – genauer gesagt dem Ingenieur Cyrus Smith. Nach Ansicht des imaginären Wissenschaftlers werde in ferner Zukunft das mit Hilfe von elektrischem Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegte Wasser an Stelle von Kohle als Treibstoff dienen. Eine seinerzeit kühne Vision.
Knapp 150 Jahre später erfährt Wasserstoff als Energielieferant insbesondere angesichts des Klimawandels eine immer größere Aufmerksamkeit. Politik, Wissenschaft und Industrie in aller Welt forcieren die Technologie mehr denn je und sehen in ihr großes Potenzial im Hinblick auf die notwendige Transformation des Energie- und Mobilitätssystems. „Zwischen 2025 und 2030 muss Wasserstoff zu einem festen Bestandteil unseres integrierten Energiesystems werden“, heißt es zum Beispiel in der im Juli 2020 präsentierten Wasserstoffstrategie der Europäischen Kommission. Ab 2030 werde erneuerbarer Wasserstoff in großem Umfang in allen Sektoren eingesetzt, in denen die CO2-Emissionen bisher nur schwer gesenkt werden können.
Viele Baustellen auf dem Weg zur grünen Wasserstoffwirtschaft
„Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, bedarf es allerdings noch vieler Anstrengungen“, sagt Hildegard Bentele, die für die Europäische Volkspartei (EVP) im EU-Parlament sitzt und dort unter anderem im Entwicklungs-, im Umwelt- sowie im Industrieausschuss arbeitet. Angesichts der Tatsache, dass aktuell noch bis zu 95 Prozent des derzeit in der Industrie eingesetzten Wasserstoffs fossiler Herkunft sei, müssten zum Beispiel die Forschung wie auch die Investitionen in Anwendungen mit Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen erheblich ausgeweitet werden. „Was die Produktion von grünem Wasserstoff anbetrifft, sollte die EU insbesondere Partnerschaften mit Ländern etwa in Afrika strategisch vertiefen, in denen viel und günstige erneuerbare Energie produziert wird“, rät die EU-Abgeordnete. Bentele spricht damit ein akutes Problem an. Denn schließlich sind für den langfristigen Erfolg der Energiewende und für den Klimaschutz Alternativen zu fossilen Energieträgern gefragt. Wasserstoff wird hierbei aber nur dann eine Schlüsselrolle einnehmen, wenn er „grün“ ist, der für die Elektrolyse von Wasser erforderliche Strom also aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wasser oder Wind stammt und die Herstellung somit CO2-neutral erfolgt.
Auf dem Weg dorthin sieht die Politikerin aber auch noch zahlreiche weitere Baustellen. So zum Beispiel die schnellstmögliche Zertifizierung von kohlenstoffarm erzeugtem Wasserstoff, damit Investitionen getätigt werden können. Außerdem die Überarbeitung und Anpassung der entsprechenden Richtlinien sowie die Festschreibung von Sicherheitsstandards und Recyclingvorschriften. „Gerade im Bereich der Zertifizierungen wie auch der Sicherheitsstandards sehe ich vielfältige Betätigungsfelder für unabhängige Expertenorganisationen wie DEKRA, die mit ihrem Know-how eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit der klimaneutralen Wasserstofftechnologie spielen“, betont Bentele.
Dank Wasserstoff entstehen neue Wertschöpfungsketten
Für Jorgo Chatzimarkakis, Vorstandsvorsitzender des Fachverbandes Hydrogen Europe, zu dessen rund 300 Mitgliedern seit Juli 2021 auch DEKRA gehört, sind möglichst weltweit geltende Normen und Standards ebenfalls eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Transformation zur Wasserstoffwirtschaft. „Das wäre gut für den Klimaschutz wie auch für die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Player“, bekräftigt der deutsch-griechische Agrar- und Politikwissenschaftler. Zu diesen Playern könnte seiner Ansicht nach in naher Zukunft beispielsweise auch das Stuttgarter Start-Up-Unternehmen Oceanergy gehören. Finanziell unter anderem gefördert mit Mitteln der Landesregierung von Baden-Württemberg, entwickelt die Firma das sogenannte Kite Propulsion System K1 als Herzstück einer Höhenwind-Antriebstechnologie für innovative Kite Gas/Fuel Ships. Mit Hilfe von Gexneratoren und Turbinen wird dabei auf dem offenen Meer grüner Wasserstoff erzeugt und gespeichert sowie anschließend an Hafenterminals geliefert.
Chatzimarkakis führt noch viele weitere Beispiele für die Dynamik der Wasserstoffwirtschaft zur Dekarbonisierung von Industrie und Mobilität an. Dazu zählt das europäische Mega-Projekt HyDeal, in dessen Rahmen in Spanien aus Solarstrom hergestellter grüner Wasserstoff über Pipelines nach Frankreich, Spanien und Deutschland gebracht werden soll. Bis 2030 wollen die Initiatoren in Spanien Elektrolysekapazitäten von 67 Gigawatt aufgebaut haben. Bis 2040 sind in den EU-Ländern über 230 Elektrolyseur-Projekte mit einem Umfang von rund 136 Gigawatt angekündigt. „Wir stehen am Beginn einer neuen Zeitrechnung, die ganz neue Wertschöpfungsketten schafft“, sagt der CEO von Hydrogen Europe. Die Politik sei jetzt angehalten, groß zu denken und sich nicht im Klein-Klein zu verzetteln.
So funktioniert der Wasserstoffkreislauf
Grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyse von Wasser hergestellt, wobei hierfür ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien zum Einsatz kommt. Das Gas lässt sich in Großspeichern verwahren und in Pipelines transportieren und steht dann für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche zur Verfügung – etwa im Verkehr, in der Industrie und in Gebäuden.
Drei Fragen an Joakim Wikeby, Executive Vice President DEKRA Group, Head of Service Division Industrial Inspection
Wie bewerten Sie die Potenziale der Wasserstofftechnologie?
Wikeby: Tatsache ist, dass der Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft im Sinne des Pariser Klimaschutzabkommens am Ende nur durch die Umsetzung einer auf grünem Wasserstoff basierenden Technologie gelingen kann. Die Einsatzmöglichkeiten sind grundsätzlich sehr vielfältig – ob als Kraftstoff im Bereich der Mobilität, als Rohstofflösung für emissionsintensive Industrien wie die Düngemittel-, Chemie-, Stahl- und Zementindustrie oder als Brennstoff für die gewerbliche und private Gebäudewärme. Darüber hinaus eignet sich Wasserstoff ideal als Speicher- und Transportmedium für grüne Energie.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Zukunft?
Wikeby: Für eine zuverlässige Versorgung mit grünem Wasserstoff muss die Politik möglichst schnell die notwendigen Rahmenbedingungen in Sachen Infrastruktur und Wirtschaftlichkeit schaffen, damit Verbraucher, Unternehmen und Länder sich auf einen ununterbrochenen Zugang zu ausreichenden Mengen an Wasserstoff verlassen können. Zugleich müssen bei der Produktion und dem Transport wie auch der Speicherung und Bereitstellung von Wasserstoff für alle Beteiligten höchste Standards in Sachen Sicherheit und Umweltverträglichkeit gewährleistet sein.
Welche Dienstleistungen und Lösungen bietet DEKRA rund um das Thema Wasserstoff?
Wikeby: Mit Gefährdungs- und Risikoanalysen, Zertifizierungen von Druckgeräten, Prüfungen von Gashochdruckleitungen und Lagerbehältern oder Services im Bereich Explosionsschutz sind wir in diesem Punkt bereits gut aufgestellt. Gleichzeitig arbeiten wir mit Hochdruck daran, unser Kompetenz-Portfolio nachhaltig zu erweitern – unter anderem zum Beispiel um Pipeline-Inspektionen.
Eigens für die Koordination unserer Dienstleistungen über alle Service Divisions von DEKRA hinweg und die Beratung hierzu haben wir erst kürzlich neues Personal eingestellt und einen Wasserstoff-Programmmanager ernannt. Unser Ziel ist es, den Kunden eine Lösungsplattform aus einer Hand zu bieten.
Top 3 der aktuell größten Wasserstoff-Projekte weltweit
Asian Renewable Energy Hub: Auf einer Fläche von 6.500 Quadratmetern sollen in der Region East Pilbara im Nordwesten von Australien 26 Gigawatt (GW) Wasserstoff mit Hilfe von Windturbinen und Photovoltaikanlagen erzeugt werden. Wegen Bedenken seitens des australischen Umweltministeriums liegt das Mega-Projekt momentan allerdings auf Eis. Eine endgültige Investitionsentscheidung wurde für das Jahr 2025 angesetzt.
NortH2: Im Norden der Niederlande wollen Shell, Equinor, Gasunie, RWE und der Hafen Groningen Seaports gemeinsam ein System aus Offshore-Windparks, Elektrolyseuren, Gasspeichern und Leitungen aufbauen. Bis 2030 ist eine Kapazität von vier GW geplant, bis 2040 von mehr als zehn 10 GW.
AquaVentus: Auf Helgoland plant ein aus rund 40 Unternehmen bestehender Förderverein bis 2035 eine Erzeugungsleistung von 10 GW für grünen Wasserstoff aus Offshore-Windenergie sowie dessen Transport an Land.