Zeitreise zur Nachhaltigkeit

Author: Joachim Geiger

26. Juli 2023 Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist keine Erfindung der Neuzeit. Schon in Mittelalter und Altertum machten sich die Menschen Gedanken, wie sie die Ressourcen der Erde nutzen konnten.

Der Begriff der Nachhaltigkeit hat als politische Metapher über alle Grenzen hinweg seit Jahren Hochkonjunktur. Trotzdem lässt sich immer noch trefflich über die Auslegung streiten. Eine der grundlegenden Definitionen geht auf den sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz zurück, der 1713 erstmals eine Vorstellung von Nachhaltigkeit als Grundprinzip einer Forstwirtschaft formuliert hat. „Schlage nur so viel Holz, wie durch Wiederaufforstung nachwachsen kann“, lautete sein Credo. Moderne Politiker und Umweltschützer stellen dagegen auf den Dreiklang von Ökologie, Ökonomie und Sozialem ab. Wie aber steht es um die Nachhaltigkeit, wenn das Gleichgewicht zwischen diesen Faktoren gestört ist? Kann ein Verhalten nachhaltig sein, das die vorhandenen Ressourcen konsequent ausnutzt? Das der Sicherung des Lebensunterhalts und nicht dem Schutz des Lebensraums die höchste Priorität beimisst? Neue Antworten kann ein Blick in die Vergangenheit liefern. Auch Historiker und Archäologen beschäftigen sich nämlich mit der Frage, welchen Umgang die Menschen im Mittelalter, in der Antike und in der Frühzeit mit ihren Ressourcen pflegten.
Im Mittelalter entstanden am Bodensee die ersten Regeln für mehr Nachhaltigkeit
Eine Zeitreise in Sachen Nachhaltigkeit könnte zunächst ins 14. Jahrhundert an den Bodensee führen. Die Fischer rund um das Binnengewässer hatten sich damals zu Kooperationen zusammengeschlossen und gemeinsam mit den lokalen Herrschaften eine spezielle Form des Ressourcenmanagements entwickelt. Man wollte dadurch verhindern, dass aufgrund der hohen Nachfrage nach Fisch die Bestände im See überfischt werden. Entstanden ist eine Fischereiordnung zum Schutz der Fischarten, die unter anderem klare Regeln im Hinblick auf Schonzeiten und die Mindestgröße von Fischen für den Fang festlegte. Seinen Zweck erfüllt hat das Regelwerk allemal – immerhin hatte die Ordnung bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts Bestand. Damit fügt sie sich in ein Verständnis von Nachhaltigkeit ein, wie es der Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen bereits 1987 eingängig definiert hat. Demnach ist eine Entwicklung nachhaltig, wenn sie die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne dabei zu riskieren, dass nachfolgende Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.
In der Antike veränderten Griechen und Römer das Bild der Landschaft
Einem Menschen in der Antike wäre eine solche Denkweise freilich fremd gewesen. Griechen und Römer haben in einem mehr als 1.000 Jahre umspannenden Zeitraum der Landschaft ihren Stempel aufgeprägt. Ihre agrarisch geprägten Kulturen basierten auf der Nutzung erneuerbarer Energien wie Wasser- und Windkraft, Holz und Olivenöl. Bergbau und Waldrodungen galten als zivilisatorischer Fortschritt. Vor allem der Bau von Siedlungen und Städten verschlang unglaubliche Mengen an Stein und Holz. Dazu kamen gewaltige Flottenbauprogramme, mit denen die Metropolen Athen und Rom ihre politische Macht im Mittelmeerraum festigten. Ganze Küstenregionen wurden durch den enormen Holzbedarf regelrecht entwaldet. In späteren Zeiten wurde schließlich das Baumaterial knapp und die Beschaffung immer aufwendiger. Wie eine nachhaltige Problemlösung im alten Rom aussehen konnte, können Archäologen jetzt anhand neuer Untersuchungen belegen. Beim Bau des Pantheon, der Villa Hadriana und der Diokletiansthermen kamen aufbereitete Bauteile aus älteren Gebäuden zum Einsatz. Die Motivation für diese Form des Recyclings war jedoch nicht ökologischer Natur – hier ging es schlicht darum, die Baukosten niedrig zu halten.
Die alten Römer pflegten einen sorglosen Umgang mit ihren Ressourcen
Auch die Lebensart der Römer war eng mit der Nutzung der Ressource Holz verbunden. In den öffentlichen Bädern, aber auch in Privathäusern und militärischen Anlagen sorgten Hypokausten-Heizungen für Wohlfühltemperaturen. Bei dieser Flächenheizung zirkuliert die durch ein starkes Feuer erzeugte Warmluft durch ein System von Schächten und Röhren, um Wasserbassins, Fußböden und Wände zu beheizen. Dass es im vierten Jahrhundert nach Christus allein in Rom rund ein Dutzend großer Badepaläste und 900 kleinere Thermen gegeben haben soll, beleuchtet, wie groß die Nachfrage im römischen Reich nach Feuerholz gewesen sein muss. Tatsächlich ist der sorglose Umgang der Römer mit den Ressourcen der Erde und die damit einhergehende Umweltverschmutzung bereits prominenten Autoren wie Plinius und Seneca bitter aufgestoßen. Im Fokus ihrer Kritik standen jedoch die Gier und Luxussucht der Zeitgenossen – und weniger ein Interesse an der Integrität der Umwelt.
Mit technischen Innovationen ließen sich Ressourcenengpässe vermeiden
Im Fall der Hypokausten-Heizung zeichnet die Wissenschaft mittlerweile ein anderes Bild. Der Energieverbrauch dieser Einrichtungen war ohne Zweifel hoch. Trotzdem lässt sich die landläufige Vorstellung, dass der römischen Badekultur ganze Waldgebiete auf der italischen Halbinsel zum Opfer gefallen sind, nicht mehr halten. Heute weiß man, dass die in manchen Regionen des Mittelmeers stark verkarstete Landschaft unter anderem auf umfassende Rodungen im 19. Jahrhundert zurückgeht. Wie aber haben die alten Römer den drohenden Ressourcenengpass für ihre Heizungen in den Griff bekommen? Der Schlüssel dazu waren technische Innovationen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass doppelt verglaste Fenster und die Verwendung von Isolierungen die thermische Effizienz der Hypokausten verbessert haben.
Die Jäger der Altsteinzeit waren mitverantwortlich für ein Artensterben
Unterm Strich betrachtet war die Antike sicher keine Blütezeit der Nachhaltigkeit. Mehr Erfolg verspricht eine Zeitreise, die gleich einige zehntausend Jahre zurück in die Altsteinzeit führt. Das Lebensmodell der eiszeitlichen Jäger scheint jedenfalls dem Ideal einer Einheit zwischen Mensch und Natur ziemlich nahezukommen. Das Fleisch der Beutetiere ernährte die Gruppe, das Fell wurde für wärmende Kleidung und Decken verwendet, Knochen, Geweih und Zähne für Werkzeuge, Waffen und Schmuck. Die Ressourcen wurden nahezu vollständig verarbeitet, um den Lebensunterhalt der Gemeinschaft zu sichern. Sieht man sich die Umstände jedoch genauer an, kommen Zweifel an der Idylle auf. Die Eiszeitjäger haben sich ihre dominierende Rolle in der Nahrungskette durch technische Hilfsmittel für Herstellung und Nutzung von Jagdwaffen erarbeitet. Erst dadurch konnten sie sich neue Ressourcen erschließen – übrigens sehr zum Nachteil des Jagdwilds. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass das vollständige Verschwinden von Höhlenbär und Wollmammut in Europa, von Mastodon und Säbelzahntiger in Nordamerika auch auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist.