Zukunftstrends – quo vadis, Logistik?
Author: Gerd Grüner
Sind Cloud, Big Data, Roboter und Künstliche Intelligenz die Zukunft der Logistik? Aktuelle Studien deuten an, dass die Welt in 20 Jahren für Logistiker nicht einfacher wird. Trotzdem lohnt es sich, neue Trends mit wachen Augen zu verfolgen. Dann bleibt genug Zeit, die eigenen Unternehmensziele, Ressourcen und Prozesse auf Vordermann zu bringen.
Von der Pyramide der alten Ägypter zum römischen Aquädukt, von der Hansekogge zur Lokomotive, vom Seecontainer zum Barcode – unter Branchenexperten besteht in der Regel ein breiter Konsens darüber, welche Meilensteine die Logistik in Vergangenheit und Gegenwart geprägt haben. Wie aber steht es mit den Meilensteinen der Zukunft? Hier wird die Antwort schwieriger. Eine gute Wissensquelle bieten aktuelle Studien, in denen Logistiker, Wissenschaftler und Beratungsunternehmen die Trends in der Logistik unter die Lupe nehmen. Natürlich hat nicht jeder Trend das Zeug zum Meilenstein – aber wenn sich Trends über Jahre verfestigen, kann daraus eben auch ein Meilenstein werden. Welche Technologien und Innovationen bestimmen also die Zukunft der Logistik?
Zu den Megatrends gehört zweifellos das Thema Nachhaltigkeit, das sich aus Sicht fast aller Autoren als Reaktion auf Klimawandel, und andere ökologische Bedrohungen darstellt. Treiber der Entwicklungen sind in der Transportlogistik strenge Umweltauflagen sowie die Nachfrage der Kunden nach umweltfreundlichen Transporten. Hier wären die ersten Meilensteine schon in Sicht.
Im Verteilerverkehr zum Beispiel könnten künftig Nutzfahrzeuge, die auf elektrischen Katzenpfoten durch die Innenstädte schleichen, Anspruch auf diesen Titel haben. Im Fernverkehr wären Lastwagen mit Brennstoffzellenantrieb gute Kandidaten. In der City-Logistik wiederum hätte der Smart City Loop Chancen auf die Kür. Das spektakuläre Transportsystem für die vorletzte Meile, in dem Güter vom Stadtrand in unterirdischen Röhren vollautomatisch auf Paletten oder in Transportbehältern zu einem City-Hub in der Innenstadt befördert werden, könnte in Hamburg demnächst Realität werden. Eine Machbarkeitsstudie für die Hansestadt geht davon aus, dass täglich bis zu 5.000 Paletten in der Röhre auf die Reise gehen können und sich damit je nach Fahrzeugart und Strecke bis zu 1.000 Lkw-Fahrten einsparen lassen.
Big Data Analytics und fliegende Luftschiffe als Warenlager – hat das Zukunft?
Der Grat zwischen Science-Fiction und solider Prognose ist natürlich bisweilen schmal. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA geht in einer Studie über die Veränderungen im Supply Chain Management bis 2040 davon aus, dass sich Fahrzeuge und Maschinen auf Betriebsgeländen, in Häfen, auf Güterbahnhöfen oder in Postverteilzentren selbst be- und entladen und die Zustellung übernehmen. Als einen Megatrend identifiziert die Studie die Fähigkeit selbstlernender neuronaler Netze, große Datenmengen maschinell auszuwerten (Big Data Analytics). Dadurch soll es möglich werden, dass Maschinen erfahrungs- und regelbasierte Entscheidungen des mittleren Managements in Eigenregie übernehmen.
Die zur Porsche AG gehörende MHP Management- und IT-Beratung beschreibt in ihrem White Paper zur Logistik 4.0 das Konzept eines US-amerikanisches Unternehmens, in dem ein großes Luftschiff als fliegendes Lager für Güter und Pakete dient. Die letzte Meile zum Endkunden übernehmen automatische Drohnen direkt aus dem Luftschiff heraus. Welche Chancen das Forschungsprojekt auf Umsetzung hat, steht in den Sternen. Drohnen dagegen erscheinen in den meisten Studien als eine für die Zukunft qualifizierte Technologie. Dabei fliegen Drohnen derzeit noch unter dem Radar ihrer Möglichkeiten – vor allem in städtischen Ballungsgebieten stehen ihrem Einsatz massive Bedenken im Hinblick auf Sicherheit und Wirtschaftlichkeit im Weg. Auf lange Sicht allerdings dürften Schwerlast- und Transportdrohnen auch als Technologietreiber für die kommerzielle Luftfahrt eine Rolle spielen.
Automatisiertes Fahren büßt an Strahlkraft ein
Tatsächlich stellen die Studien hier und dort auch die Zukunftsfähigkeit von Technologien in Frage, die bisher als künftige Meilensteine gesetzt schienen. Dem 3D-Druck zum Beispiel räumen die Auguren derzeit keine große Perspektive ein. Sie attestieren der Technologie zwar hohes Innovationspotenzial für neue Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle. Allerdings lasse gerade bei höheren Losgrößen der Durchbruch in der industriellen Anwendung auf sich warten. Noch nicht gelöst seien die Gewährleistung der Qualität von sicherheitsrelevanten Teilen und der Schutz vor Produktpiraterie. Auch das automatisierte Fahren – etwa mit automatisierten Pakettransportern – hat an Strahlkraft eingebüßt. Kritisch diskutiert werden unter anderem Haftungsfragen im Zusammenhang mit der Teilhabe hochautomatisierter Fahrzeuge am öffentlichen Straßenverkehr.
Dauerbrenner Digitalisierung – KI, Blockchain und Cloud auf dem Vormarsch?
Der Dauerbrenner unter den am häufigsten genannten Megatrends ist die Digitalisierung. Allerdings gäbe es gute Gründe, diesen Begriff künftig genauer zu fassen. In vielen Logistikunternehmen ist die digitale Sphäre schließlich bereits Realität – auch wenn bei der Tiefe der Durchdringung noch erhebliche Unterschiede gibt. Wie eine 2019 veröffentlichte Studie des Digitalverbands Bitkom belegt, sind die meisten Logistiker in Deutschland davon überzeugt, dass digitale Technologien praktische Vorteile beim Warentransport sowie sinkende Logistikkosten und weniger anfällige Transportketten ermöglichen. Geht es jedoch um Innovationen wie verteilte Datenspeicherung und Rechenleistung (Cloud Computing), Künstliche Intelligenz und Blockchain, gehen Interesse und Engagement der Logistiker häufig stark zurück. Dass Auswahl und Gewichtung der Trends in den Studien stets auch vom Standort der Autoren abhängt, zeigt der Logistics Trend Radar 2020 des Logistikkonzerns DHL. Die renommierte Studienreihe nimmt auf Basis einer umfassenden Analyse von Makro- und Mikrotrends die globale Logistikbranche in den Blick. In der fünften Ausgabe des Logistics Trend Radar heißt es, dass Quantencomputing, Blockchain und Weltraumlogistik den Logistikanbietern neue Chancen für großangelegte Lösungen und Services eröffnen könnten. In den Bereichen Datenanalytik, Künstliche Intelligenz und Robotertechnik würde ein dynamisches Wachstum bereits eine neue Normalität für die Logistik signalisieren.