Alternative Antriebe für Nutzfahrzeuge: Zwischen Anspruch und Realität
Author: Matthias Gaul
Von Elektro- über Wasserstoff-Antrieb bis zu Biokraftstoff-Lkw: Wo stehen die Technologien im Güterverkehr und wie sehen die realen Vorteile für Fuhrpark und Klima aus?
Der Umstieg auf emissionsfreie Antriebe im Straßengüterverkehr ist im Gange – doch die Zahlen zeigen: Von einem Durchbruch ist Europa noch weit entfernt. Laut der European Automobile Manufacturers’ Association (ACEA) waren im ersten Halbjahr 2025 nur 3,6 Prozent aller neu zugelassenen mittelschweren und schweren Lkw in der EU emissionsfrei. Das ist zwar ein Plus gegenüber 2,1 Prozent im Vorjahr, aber noch immer ein sehr kleiner Marktanteil. Fast vier von fünf Zero-Emission-Vehicles entfielen dabei auf die fünf Märkte Schweden, Niederlande, Österreich, Dänemark und Frankreich. Tatsache ist: Die Hersteller zumindest haben geliefert. Alle großen Marken bieten inzwischen vollelektrische Lkw für den Verteiler- und Regionalverkehr an. Reichweiten von 400 bis 600 Kilometern oder mehr sind kein Problem mehr – und mit dem kommenden Megawattladen lassen sich Batterien künftig in einer halben Stunde von 20 auf 80 Prozent aufladen.
Ladeinfrastruktur als Nadelöhr der Transformation
Unternehmen wie Daimler Truck, die Traton Group oder die Volvo Group investieren dabei nicht nur massiv in die Entwicklung der entsprechenden Fahrzeuge, sondern auch in den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Und das ist auch dringend nötig. Denn laut ACEA gibt es EU-weit derzeit nur rund 1.100 öffentliche Schnellladestationen über 350 Kilowatt, die überhaupt für schwere Lkw geeignet sind. Viele davon lassen sich mit Sattelzügen gar nicht anfahren. Dabei verpflichtet die EU-Verordnung über alternative Kraftstoffe (AFIR) die Mitgliedstaaten, bis Ende 2025 entlang von mindestens 15 Prozent des transeuropäischen Verkehrsnetzes leistungsfähige Ladestandorte bereitzustellen. Bis 2030 soll flächendeckend nachgerüstet werden – doch der Ausbau verläuft schleppend, insbesondere außerhalb von Westeuropa.
Nutzfahrzeuge mit alternativen Antrieben rollen langsam, aber sicher auf Europas Straßen. Doch trotz technischer Fortschritte bleibt der Markt klein. Insbesondere fehlende Ladepunkte und suboptimale Rahmenbedingungen – das haben auch die Vorträge und Diskussionen auf dem 6.
DEKRA Zukunftskongress Nutzfahrzeuge
Ende Oktober in Berlin gezeigt – bremsen den Weg zum klimaneutralen Güterverkehr.
Alternative für die Logistik: Battery Swapping im Fokus
Auch beim Depotladen fehlen vielerorts die nötigen Netzanschlüsse. Neue Ansätze wie das „Battery Swapping“, also der Austausch leerer gegen volle Batterien, könnten hier eine Alternative bieten. Das Fraunhofer IML untersucht im Auftrag mehrerer Logistikunternehmen, wie sich solche Wechselstationen wirtschaftlich betreiben lassen. In China ist die Technologie längst Standard – ein Lkw ist dort in wenigen Minuten wieder startklar. Die Vorteile: Innerhalb kürzester Zeit steht der Lkw wieder einsatzbereit auf der Straße und die Netze werden entlastet.
Batterieelektrische Lkw die günstigste Option für CO₂-freien Transport
Neben der Infrastruktur bleibt die Wirtschaftlichkeit der zentrale Faktor. Nach Berechnungen des International Council on Clean Transportation (ICCT) werden batterieelektrische Lkw bis 2030 in den meisten Klassen die günstigste Option für den CO₂-freien Gütertransport sein. Schon heute sind leichte und mittelschwere E-Lkw im Stadtverkehr auf TCO-Niveau (Total Cost of Ownership) mit Dieselfahrzeugen gleichauf. Bei schweren Sattelzugmaschinen im Fernverkehr wird die Kostenparität voraussichtlich 2026 erreicht. Anders sieht es bei alternativen Kraftstoffen aus: Lkw mit HVO-, Bio- oder E-Diesel könnten laut ICCT bis 2030 15 bis 45 Prozent höhere Betriebskosten aufweisen als batterieelektrische Modelle. Sie bleiben eine Übergangslösung – insbesondere für Bestandsflotten und schwer elektrifizierbare Anwendungen.
Wasserstoff als Langstreckenlösung
Für besonders lange Strecken und hohe Nutzlasten gilt Wasserstoff weiterhin als Hoffnungsträger. Brennstoffzellen-Lkw punkten mit kurzen Tankzeiten und Reichweiten von über 700 Kilometern. Doch auch hier fehlen Tankstellen: EU-weit sind es derzeit laut dem European Alternative Fuels Observatory gerade mal 150 Standorte mit 350-Bar-Druck, die Schwerlastfahrzeuge versorgen können. Mietmodelle wie das der Kölner Firma Hylane, die Wasserstoff-Lkw inklusive Wartung und Versicherung anbietet, sollen Unternehmen den Einstieg erleichtern.
CO₂-Emissionen neuer Lkw müssen sinken
Die politischen Ziele sind klar formuliert: Ab 2030 müssen die CO₂-Emissionen neuer Lkw um 45 Prozent gegenüber 2019 sinken, bis 2035 um 65 Prozent und bis 2040 um 90 Prozent. Hinzu kommen neue Vorgaben für Trailer und Auflieger: Ab 2030 müssen auch sie ihren CO₂-Ausstoß um 10 Prozent reduzieren. Für die Hersteller bedeutet das gewaltige Investitionen – und das Risiko empfindlicher Strafzahlungen bei Zielverfehlung in Höhe von 4.250 Euro pro Gramm CO2 je Tonnenkilometer. Abhängig von der Zahl verkaufter Trailer, können hier schnell dreistellige existenzbedrohende Millionenbeträge zusammenkommen. Branchenvertreter fordern deshalb, Effizienz nicht nur am Fahrzeug, sondern über den gesamten Lebenszyklus zu bewerten, einschließlich Produktion, Materialien und Recycling.
Die Transformation des Güterverkehrs braucht Planungssicherheit
Die Transformation des Güterverkehrs erfordert enorme Investitionen – und das Vertrauen, dass sich diese lohnen. Spediteure und Logistiker brauchen Planungssicherheit, stabile Strompreise und verlässliche Förderstrukturen. Die CO₂-differenzierte Lkw-Maut in Deutschland gilt als richtiger Anreiz, in vielen EU-Ländern fehlen solche Instrumente jedoch noch. Ohne ökonomische Stabilität aber wird der Hochlauf der Null-Emissions-Flotten nicht im gewünschten Maß gelingen.
Dabei ist der Wandel auch angesichts der prognostizierten weiteren Zunahme des Güterverkehrs erforderlich. Denn nach Angaben der Europäischen Umweltagentur könnte die Verkehrsleistung im Straßengüterverkehr in der EU bis 2050 ohne politische Eingriffe („Business-as-usual“-Szenario) auf etwa 2.500 Milliarden Tonnenkilometer ansteigen. Das wäre eine Steigerung um rund 30 Prozent gegenüber 1.900 Milliarden Tonnenkilometern im Jahr 2020. Trotz aller Bemühungen um Schiene und Wasserstraße bleibt der Lkw somit das Rückgrat der Logistik. Wie hoch der Zuwachs am Ende auch ausfallen mag: Damit der Transport mit dem Nutzfahrzeug so nachhaltig und effizient wie möglich erfolgt, sind die richtigen Weichenstellungen mehr denn je von entscheidender Bedeutung. Gefragt ist vor allem gemeinsames Handeln von Politik, Industrie und Energieversorgern.
Um das Ziel eines klimaneutralen Straßengüterverkehrs zu erreichen, sind folgende Eckpunkte zentral:
- Massive Beschleunigung beim Ausbau von Schnell-Ladestationen (Megawatt-Laden) sowie Wasserstoff-Tankstellen für Schwerlastfahrzeuge.
- Wirtschaftliche Anreize und kalkulierbare Rahmenbedingungen für Spediteure und Fahrzeughersteller.
- Skaleneffekte bei der Serienproduktion von Elektro-Lkw und Brennstoffzellen-Lkw, damit die Anschaffungskosten sinken.
- Anwendungsgerechte Fahrzeuge für alle Einsatzbereiche – vom städtischen Verteilerverkehr bis zum Fernverkehr.
- Harmonisierung der Regelwerke in Europa, damit die Umstellung nicht nur in Vorreiterländern gelingt.