Oldtimer: Zwischen Automobilkultur und Lebensgefühl

Author: Thorsten Rienth

10. Sept. 2025 Sicherheit im Verkehr / Fahrzeugprüfung
Ein dunkelblauer Mercedes-Benz 230 SL taucht auf. Kein lautes Motorheulen, eher ein sonores Brummen. Der Wagen aus den 1960er-Jahren zieht die Blicke auf sich. Nicht, weil er schnell ist, sondern weil er anders aussieht als alles, was heute vom Band läuft. Klare Linien, viel Chrom, die charakteristische Form. Oldtimer sind mit einer besonderen Anziehungskraft unterwegs, stehen für ein Stück Lebensgefühl und immer mehr Menschen entdecken die Faszination für sich: In Deutschland hat sich beispielsweise nach Angaben von Statista der Oldtimer-Bestand in den Jahren 2012 bis 2022 mehr als verdreifacht – auf knapp 650.000 Fahrzeuge. Doch bei aller Faszination lohnt sich ein genauer Blick auf die Sicherheitsaspekte bei Oldtimern.
Oldtimer: Sicherheit fängt beim Fahrer an
Carsten Bräuer, Oldtimer-Experte und Leiter Projektkoordination bei DEKRA Automobil, beginnt beim Fahrer. „Ein Oldtimer fährt sich ganz anders als ein modernes Fahrzeug.“ Bremswege sind in aller Regel länger, da viele Klassiker weder Assistenzsysteme wie ABS oder ESP, noch Bremskraftverstärker besitzen. Auch die Lenkung erfordert mehr Kraft und bietet weniger Präzision. „Heißt: Eine weiterhin sichere Fahrt macht eine höhere Aufmerksamkeit und eine besonders vorausschauende Fahrweise nötig.“
Experte Bräuer gibt ein Beispiel. Bei einer Gefahrenbremsung in einem modernen Fahrzeug gelte bekanntlich: volle Kraft auf das Bremspedal. „Wenn Sie das beim ‚230 SL‘ machen, landen Sie mit großer Wahrscheinlichkeit im Graben oder im Gegenverkehr. Die Räder würden sofort blockieren und das Fahrzeug einfach in die letzte Bewegungsrichtung weiterschieben.“ Besser geht’s mit der sogenannten Stotterbremse: Das Bremspedal abwechselnd kräftig durchtreten und den Druck sofort nachlassen, sobald die Räder blockieren. „Wichtig: Diese Technik braucht etwas Übung und Fingerspitzengefühl. Das gilt auch, wenn es um die Beherrschung der fahrdynamischen Besonderheiten geht.“

„Die Unfallreparaturen bei Schäden übersteigen den Preis eines Trainings um ein Vielfaches.“

Carsten Bräuer, DEKRA Experte
Bräuer rät zur Teilnahme an speziellen Fahrsicherheitstrainings für Oldtimer. Die landläufige Bezeichnung: „Oldtimerfahrschule“. Dort lernen die Teilnehmenden in einem geschützten Umfeld, wie sich das eigene Fahrzeug ohne elektronische Helfer und Servolenkung in Grenzsituationen verhält. Gerade bei wertvollen Klassikern ist ein Fahrsicherheitstraining eine sinnvolle Investition, wie Bräuer unterstreicht. „Die Unfallreparaturen bei Schäden übersteigen den Preis eines Trainings um ein Vielfaches.“
Hauptuntersuchung (HU) ist Pflicht – zusätzliche Checks sinnvoll
Besondere gesetzlich vorgeschriebene Checks gibt es bei Oldtimern nicht. „Alle Oldtimer mit normaler Zulassung, also auch mit H-Kennzeichen, müssen alle zwei Jahre zur normalen Hauptuntersuchung, ‚HU‘ genannt“, erklärt Bräuer. Dabei wird geprüft, ob das Fahrzeug verkehrssicher ist und allen relevanten Vorschriften entspricht. Es gelten grundsätzlich die Zulassungsregeln aus dem Jahr der Erstzulassung. Viele damals nicht vorgeschriebene Sicherheitssysteme dürfen fehlen, etwa Sicherheitsgurte bei Fahrzeugen vor 1974. Lediglich Warnblinkanlage, Radabdeckungen und eine Sicherung gegen unbefugte Nutzung, also ein Schloss, sind mittlerweile auch für Oldtimer vorgeschrieben.
Regelmäßige technische Durchsichten vor der Saison und nach längeren Standzeiten hält Experte Bräuer bei Oldtimern dennoch für sinnvoll. „Auch wenn dies nicht gesetzlich vorgeschrieben ist: Die Prüfung von sicherheitsrelevanten Teilen wie Bremsen, Reifen, Lenkung, Lichtanlage, Flüssigkeitsstände, Batterie und Kraftstoffleitungen empfiehlt sich.“ Ältere Fahrzeuge seien oft rostanfällig, die regelmäßige Kontrolle – auch an tragenden Teilen und dem Unterboden – deshalb ratsam. Viele Oldtimer neigen zudem zu Undichtigkeiten an Motor oder Getriebe. „Das macht eine regelmäßige Sichtkontrolle sinnvoll, gerade auch, um teuren Folgeschäden vorzubeugen.“
Sicherheits-Updates mit Augenmaß
Wem ein Plus an Sicherheit wichtig ist, überlegt sich die Nachrüstung bestimmter Sicherheitsfeatures. „Dabei ist aber etwas Fingerspitzengefühl notwendig, um das H-Kennzeichen nicht zu gefährden“, sagt Bräuer. „Das Fahrzeug muss im weitestgehend originalen Zustand bleiben. Verbessert eine Neuerung Sicherheit oder Umweltverhalten, wird sie aber meistens toleriert.“ Ein nachgerüsteter Becken- oder Dreipunktgurt oder Kopfstützen, sofern entsprechende Befestigungspunkte vorhanden sind, machen also in der Regel keine Probleme. Ähnlich liegen die Dinge bei der Umrüstung auf hellere Scheinwerfer und ein moderneres 12-Volt-Bordnetz.
Will jemand alte Trommelbremsen gegen moderne Scheibenbremsen austauschen, müssen diese historisch ab Werk für das Modell verfügbar gewesen sein, wenn man weiterhin mit H-Kennzeichen fahren will. Gleiches gilt für die Nachrüstung einer Servolenkung. Moderne elektronische Features wie ABS oder Airbags lassen in Oldtimern im Nachhinein praktisch nicht mehr verbauen, da diese stets auf die Karosseriestruktur und das Crashverhalten der Fahrzeuge abgestimmt sein müssen. Grundsätzlich gilt: „Je älter das Fahrzeug, desto schwieriger ist der nachträgliche Einbau von neuen Sicherheitselementen.“
Umfassender DEKRA-Service
DEKRA unterstützt Oldtimer-Liebhaber mit langjähriger Expertise und einem breiten Serviceangebot. Die Sachverständigen erstellen detaillierte Wertgutachten, die Zustand, Historie und Restaurierungen berücksichtigen – eine verlässliche Grundlage für Versicherungseinstufungen, Kauf- und Verkaufsentscheidungen oder die Schadensregulierung. Der DEKRA Classic Check liefert eine kompakte und preiswerte Zustandsbeschreibung des Fahrzeugs, zum Beispiel als erste Einschätzung vor dem Kauf oder Verkauf. Der Check dokumentiert den Ist-Zustand des Klassikers und hilft, versteckte Mängel zu erkennen oder Schäden vor dem Transport festzuhalten. Ein Wertgutachten geht wesentlich mehr in die Tiefe und ist oft für die richtige Einstufung bei der Versicherung wichtig. Zusätzlich bietet DEKRA auch Services wie Schadengutachten, Hauptuntersuchung (HU), H-Zulassung und Beratungen rund um klassische Fahrzeuge an. Hier erhalten Sie mehr Informationen zum Service​.